
Brutus - Unison life
Hassle / CargoVÖ: 21.10.2022
Feuer in der Trommel
Jeder Song sollte sich anfühlen, als sei es ihr letzter. Brutus' Vorsatz für ihr drittes Album "Unison life" mag Kenner*innen trotz seiner Hybris wenig überraschen, schließlich steckten bereits "Burst" und "Nest" voller Crescendos und vertonter Weltuntergänge, gegen die das belgische Trio gleichermaßen ankämpfte, wie es sie mit viel Echo nachhallen ließ. Es spricht für die drei, dass sie entgegen ihrer Ansage nun nicht einfach die Intensitätsregler auf Elf stellen, wie direkt der verblüffende Opener "Miles away" klarmacht. Die singende Drummerin Stefanie Mannaerts lässt die Sticks liegen, um ohne jede perkussive Begleitung über Ambient-Flächen zu gleiten. Brutale Saiten-Blitze krachen hinein, doch anstatt den Track zum Einsturz zu bringen, verglühen sie einfach. Es ist sinnbildlich für das ganze Album, das im Vergleich zu seinen ohnehin sehr guten Vorgängern noch einmal einen Sprung nach vorne macht. Brutus' hochenergetischer Postcore und -rock vermochte schon vorher, Metal-Heads und Genre-Fremde vereint zu begeistern – in einer solchen Dimension, dass sie Support für etwa Cult Of Luna und Foo Fighters spielten –, doch auf "Unison life" sind sie mit geschärftem Songwriting und hochgeschraubter Dynamik an ihrem bisherigen Karrieregipfel angekommen.
Dort zeichnen sie sich vor allem mit Strukturen aus, die gleichzeitig fokussiert bleiben und die Stücke in unerwartete Richtungen lenken, ohne dass es zu unschönen Brüchen kommt. "Brave" beginnt mit einem aus Stahlbeton geschnitzten Hardcore-Groove, ehe man sich in der Bridge inmitten wortloser Vocals und Gitarren-Schemen wie in einem Sandsturm wähnt. "Victoria" fegt alle Staubwolken vom Himmel, lässt als schnörkellos mitreißender Neunziger-Alternative-Brecher mit mehr als nur einem Bein im Shoegaze Mannaerts allen Raum, um sich den dunklen Belag von der Seele zu schreien. "Some things never change", singt sie da, und konnte man diesen Vorwurf den ersten zwei Platten zuweilen noch attestieren, ist "Unison life" hörbar aus dem Kokon geschlüpft – nicht zuletzt auch deshalb, weil Brutus sich hier nicht schämen, ihre schon immer präsente melodische Seite mal auf ungefilterter Songlänge auszuleben. Auch die Lead-Single "Liar" brilliert durch ihre Geradlinigkeit, verliert ihren treibenden Pop-Appeal auch in einer kurzen Verschnaufpause mit Windspiel nicht und könnte mit etwas weniger bösem Bass in einer Playlist neben Paramore laufen. "What have we done" entzieht gar dem ollen Begriff der "Rock-Ballade" jeden Fremdschamfaktor, gerade weil die obligatorischen Ausbrüche hier eine rohe, zentnerschwere Wucht entwickeln.
Für diesen Effekt spielt freilich auch Mannaerts' Stimme eine entscheidende Rolle: keine Screams oder Growls, sondern ein aggressiver Klargesang auf konstantem Anschlag, der sich manchmal in björkige Höhen auftürmt, aber nie die Bodenhaftung verliert. "I am so tired / Of everyone that's breathing down my neck", giftet sie in "Dust", trommelt sich in Hochgeschwindigkeits-Rage, während Stijn Vanhoegaerden und Peter Mulders den Umgebungskrach beisteuern – und alles ein unerwartet niedergeschlagenes Ende findet. "Chainlife" rappelt sich für besonders harsch gerifftes Blastbeat-Geholze wieder auf, bevor "Dreamlife" straight auf den kathartischen Abgrund zusteuert. Zeilen wie "There's a thunder in my heart / Lightning in my head / Sometimes I'd wish I was never ever there" mögen auf dem Papier keine große Literatur darstellen, doch Mannaerts' Vortrag führt zur völligen Gefühlsüberwältigung. Ähnlich lässt sich das finale "Desert rain" beschreiben, ein angeschwärzter Post-Metal-Brocken, bei dem jeder Trommelschlag, jeder Break, jedes Crescendo wahrlich so klingt, als sei es die letzte Musik einer untergehenden Welt – auch wenn den wirklichen Schlusspunkt bloß eine Frau und ein paar einsam perlende Saiten setzen. Das letzte Monument der neuen Selbstverständlichkeit einer Band, die nicht am lautesten schreien muss, um von allen gehört zu werden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Victoria
- Liar
- Dreamlife
- Desert rain
Tracklist
- Miles away
- Brave
- Victoria
- What have we done
- Dust
- Liar
- Chainlife
- Storm
- Dreamlife
- Desert rain
Im Forum kommentieren
NeoMath
2024-11-29 14:06:52
Oh, ist es denn offen, dass noch was kommt?
Feine Performance übrigens, danke für den Tipp :-)
Schon sehr gelungen, auch wenn ich -wie du- kein Fan von diesem Orchester-Gedöns bin.
Gomes21
2024-11-29 12:02:10
https://www.youtube.com/watch?v=3_Vys58zvTk&ab_channel=Brutus
Ich muss zugeben: Fan von dem "Wir spielen das mal mit einem Orchester" bin ich nicht.
Aber das ist schon sehr geil.
Ja schon vergleichsweise geil, hatte auch etwas Gänsehaut beim gucken, aber im Enfeffekt ist mir das doch wieder zu kitschig. Brutus funktioniert super so wie sie sind :-). Ich würde mich auf jeden Fall über neues Material freuen sofern was kommen sollte.
Klaus
2024-11-29 11:09:40
Zusätzlich kam noch mit "The Deadly Rhythm" ein Refused-Cover
Glufke
2024-11-29 10:53:45
Neuer Song "Paradise" seit einer Woche draußen, der hätte auch gut auf "Unison Life" Platz gefunden.
Ist aber wohl nur ein Beitrag zu einem Soundtrack, kein Vorbote für ein neues Album.
Randwer
2024-09-07 13:39:53
in der Tat
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