Mount Kimbie - MK 3.5: Die cuts | City planning

Warp / Rough Trade
VÖ: 04.11.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Eine geteilte Nachtmusik

Zu Zeiten von "Love what survives" waren Mount Kimbie noch klar verortet. Die Antriebslosigkeit und die Exzesse einer politisch verrohten britischen Jugend standen im Fokus, eingefangen von einem ungewohnt organischen, eklektischen Sound. Doch in den Jahren danach trennten sich Dom Maker und Kai Campos geografisch wie musikalisch: Ersterer zog zeitgleich mit seinem Kumpel James Blake nach Los Angeles, um sich als Produzent für Rap-Stars wie Jay-Z einen Namen zu machen, während letzterer in London blieb und sich tiefer in die Club-Wurzeln des Duos bohrte. Anstatt für ihre vierte Platte nun wieder die Strahlen zu kreuzen, entschieden sich Mount Kimbie dazu, ihre duale Gestalt direkt abzubilden. Das Werk trägt den sperrigen Titel "MK 3.5: Die cuts | City planning" und ist als Doppelalbum konzipiert, dessen Hälften sich innerhalb der Koordinaten ihres jeweiligen Erschaffers bewegen. So versammelt Makers "Die cuts" eine Vielzahl größtenteils in L.A. ansässiger Features für ein Dutzend kompakter HipHop-, R'n'B- und Neo-Soul-Stücke, bevor Campos' rein instrumentales "City planning" auf einem Avantgarde-Techno-Fundament Kunstkopf und Tanzbein gleichermaßen zu stimulieren versucht.

Wer die zwei Teile nun jedoch einfach als Pop- und Kunsthälfte abstempeln will, kriegt von Mount Kimbie einen vor den Latz geknallt. "Die cuts" ist für eine solche Einordnung viel zu ätherisch, strebt nicht nach großen Hooks, sondern badet in einer sedativen Mitternachtsstimmung – weniger Cabrio-Fahrt auf dem Sunset Boulevard, mehr angeschwipstes Herumlungern in der Dachlounge. Makers Gästeliste umfasst dabei vor allem unbekanntere Namen, mit ein paar Ausnahmen. Sein Landsmann Slowthai taucht etwa gleich zweimal auf, brilliert vor allem mit dem nicht minder großartigen Danny Brown im düster-derangierten Piano-Rap-Banger "In your eyes", der am Ende ein wenig Sonnenlicht hineinlässt. Auch besagter Herr Blake gibt sich die Ehre, um den Synth-Gospel von "Somehow she's still here" in den Hipster-Himmel zu schicken. Andere markante Performances liefern die Australierin Kucka, die stimmlich auch die Schwester von Lykke Li sein könnte, in "F1 racer" sowie der New Yorker Rapper Wiki, der im von Samples und Richtungswechseln durchzogenen "If and when" stets das Oberwasser behält. Insgesamt wirken Makers Beats allerdings etwas zahm und konturlos, weswegen diese erste Doppelalbumhälfte trotz aller Gefälligkeit mehr wie ein Mixtape von ihm produzierter Künstler*innen als nach seinem eigenen Autorenwerk klingt.

Anders verhält es sich mit "City planning", das seinem Gegenstück klar überlegen ist. Ob "Transit map (Flattened)" mit seinem unheimlichen Tasten-Loop, dem kühl-industriellen Beat und verstörendem Geklopfe die Gruft-Disco beschallt, das von Tropfgeräuschen begleitete "Satellite 9" zur Ruhe findet oder "Zone 1 (24 hours)" auf den pumpenden Totalabriss zielt: Campos' Kompositionen strotzen nur so vor Ideen und spannenden, sofort ins Blut schießenden Rhythmen. Von den mehr nach Installation klingenden Songtiteln oder den teils Skizzenhaftigkeit andeutenden Tracklängen sollte man sich dabei keinesfalls abschrecken lassen. Die Zugänglichkeit bleibt stets gewahrt, und selbst Nummern wie die Rausschmeißer "Industry" und "Human voices" wirken auch bei einer Laufzeit von 80 bis 90 Sekunden komplett ausgetüftelt. Darüber hinaus versteht man im Zuge von "City planning", dass die zwei Hälften von Mount Kimbie trotz unterschiedlicher stilistischer Interessen und den unzähligen Kilometern zwischen ihnen weiterhin eine gemeinsame Seele teilen. Ihre Musik vertont noch immer das Treiben der nächtlichen Großstadt, ob dieses im entspannten Runterkommen oder der fiebrigen Jagd nach Ekstase, Erlebnis und Gefahr seinen Ausdruck findet. Wenn Maker und Campos ihre zwei Herzen in Zukunft wieder zu einem zusammenführen, haben die Schattenspiele des Post-Brexit-Londons ein paar neue alte Stimmungsfänger dazugewonnen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • In your eyes (feat. Slowthai & Danny Brown)
  • If and when (feat. Wiki)
  • Transit map (Flattened)
  • Zone 1 (24 hours)

Tracklist

  • CD 1
    1. DVD (feat. Choker)
    2. In your eyes (feat. Slowthai & Danny Brown)
    3. F1 racer (feat. Kucka)
    4. Heat on, lips on
    5. End of the road (feat. Reggie)
    6. Somehow she's still here (feat. James Blake)
    7. Kissing (feat. Slowthai)
    8. Say that (feat. Nomi)
    9. Need U tonight
    10. If and when (feat. Wiki)
    11. Tender hearts meet the sky (feat. Keiyaa)
    12. A deities encore (feat. Liv.e)
  • CD 2
    1. Q
    2. Quartz
    3. Transit map (Flattened)
    4. Satellite 7
    5. Satellite 9
    6. Satellite 6 (Corrupted)
    7. Zone 3 (City limits)
    8. Zone 2 (Last connection)
    9. Zone 1 (24 hours)
    10. Industry
    11. Human voices
Gesamtspielzeit: 59:33 min

Im Forum kommentieren

AliBlaBla

2022-10-30 19:53:59

Duo, welches ich schon recht aus den Augen verloren habe; nach dem tollllllllllen "Crooks&lovers" (2010) fand ich sie mehr und mehr belanglos...
Vielleicht mal dies wieder??

smrr

2022-10-30 19:09:10

...und: Stimmige Rezi, besonders der Mixtape-Charakter des 1. Albums und die Beurteilung, dass der 2. Teil (noch) besser ist.

smrr

2022-10-30 19:07:34

Überraschend gelungen! Hatte die bisschen abgeschrieben und fand die Vorab-Tracks jetzt auch beim Nebenbeihören nicht so den Knaller. Aber die Idee, ein Doppelalbum als Duo so aufteilen, finde ich ganz grundsätzlich charmant.

"A Deities Encore", "In Your Eyes" und "DVD" finde ich von der Soulpop-Seite super, danach geht "Q" direkt gleich gut ab.

Armin

2022-10-26 21:01:05- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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