ZZ Top - Raw
Shelter / BMG / WarnerVÖ: 22.07.2022
Tres hombres
Er gehörte zu den Musikern, die vermeintlich unzerstörbar sind. Einfach, weil sie zu den treuen Begleitern eines ganzen Fan-Lebens gehören. Und doch hörte am 27. Juli 2021 das Herz von Joe Michael "Dusty" Hill auf zu schlagen. Einfach so, im Schlaf. Sein Vermächtnis ist eine mehr als 50 Jahre lange Karriere mit ZZ Top, der Band, die er so sehr liebte, dass er verfügte, sein Gitarrentechniker Elwood Francis solle sein Nachfolger sein. Doch noch zu Lebzeiten wurde Hill und seinen Kollegen ein ganz anderes Denkmal gesetzt. Denn niemand geringerer als der Kanadier Sam Dunn, Regisseur und Autor so großartiger Dokumentationen wie "Metal - A headbanger's journey" oder "Flight 666" über Iron Maiden, verfilmte 2018 die Geschichte des Trios unter dem wunderbar passenden Titel "ZZ Top: That lil' ol' band from Texas". Besonders reizvoll an der mit einem Grammy belohnten Dokumentation ist natürlich der Soundtrack, für den die Tres Hombres einige ihrer alten Klassiker entstaubten und in der ziemlich legendären "Gruene Hall" in New Braunfels, Texas, neu einspielten.
Damals konnte man natürlich nicht ahnen, dass das daraus entstandene Album "Raw" die letzten Aufnahmen unter Hills Mitwirkung enthalten sollte. Doch egal, in welchem Kontext man es auch betrachtet, ist diese Zusammenstellung weit mehr als nur irgendeine Compilation – es ist eine tiefe Verneigung vor dem Freund und Bassisten. Konsequenterweise reist das Trio zunächst tief in die Vergangenheit und überlässt "Brown sugar" vom Debüt von 1970 die Rolle des Openers. Unfassbar cool wie eh und je knarzt das Trio gut abgehangene Klassiker wie "Just got paid" heraus, nur um dann die ganz großen Hits der ersten Bandphase zu würdigen – die Rede ist natürlich von den Selbstgängern "La Grange" und "Tush", die gewohnt souverän, doch mit einer gehörigen Portion Dreck dargeboten werden, sodass man förmlich spürt, wie die Balken der ollen Bude – Baujahr 1878! – ins Zittern geraten.
In diesem Setting ist eigentlich kein Platz für glatt polierte Radiohits, und tatsächlich finden sich mit "Legs" und "Gimme all your lovin'" nur zwei Songs aus der Phase, in der das Trio mit unsagbar coolen und doch augenzwinkernden Videos die Charts eroberte. Mehr noch: Es sollen die jüngsten Songs bleiben. Denn die weiteren Singles aus diesen höchst erfolgreichen Jahren wie "Sharp dressed man" fehlen ebenso wie Vertreter des großartigen Spätwerks mit den Alben "Mescalero" von 2003 oder "La futura", dem vorerst letzten Studio-Longplayer von 2012. Statt dessen nehmen sich die drei Zeit für das entspannte "Blue Jean blues" von 1975 – womit das Album "Fandango!" aus jenem Jahr die meisten Songs beisteuert – und grooven die Platte mit "Certified blues" und "Tube snake boogie" höchst souverän nach Hause.
Natürlich ist der Kosename "That lil' ol' band from Texas" so augenzwinkernd wie programmatisch. Denn auf der einen Seite sind ZZ Top viel größer als eine kleine Garagenband, nicht nur seit dem folgerichtigen Einzug in die Rock and Roll Hall of Fame im Jahr 2004. Auf der anderen Seite zeigte sich das Trio immer wieder glaubwürdig als die drei Freunde, die einfach nur zusammen etwas Bluesrock spielen wollen. Dusty Hill spielt mittlerweile in einer anderen Band an einem anderen Ort. Eigentlich jedoch ist er nur schon mal vorgegangen und klimpert den Basslauf zu dem legendären Riff, über das Billy F. Gibbons jene sattsam bekannte Geschichte über ein ganz bestimmtes Freudenhaus knurren kann. Mach's gut, Dusty. Und danke für alles.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Brown sugar
- La Grange
- Tush
- Gimme all your lovin'
Tracklist
- Brown sugar
- Just got paid
- Heard it on the X
- La Grange
- Tush
- Thunderbird
- I'm so bad, I'm nationwide
- Legs
- Gimme all your lovin'
- Blue Jean blues
- Certified blues
- Tube snake boogie
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Corristo
2022-07-29 18:53:33
Das Posting von cherrypicker wird vom La Grange-Riff doch gnadenlos weggerockt ...
Konsul
2022-07-29 16:28:13
Ich hoffe es war ironisch gemeint
cherrypicker
2022-07-29 09:30:00
Eigentlich nur für Boomer wie Bellmann erträglich, die nostalgieverklärt irgendwo in der guten alten Zeit hängengeblieben sind. Natürlich ist auch dieses Werk (genau wie das Journey Album von einer Band, die mit der Ursprungsband fast nichts mehr zu tun hat) abgehangen und voller vorhersehbarer Standards. Gottschalk-Rock eben!
Konsul
2022-07-28 21:44:03
Schön geschrieben. Alles Klassiker der Musikgeschichte.
Armin
2022-07-28 19:55:22- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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