Ok Kid - Drei

Ok Kid
VÖ: 13.05.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Zwischen Menschen

"Doch wenn wir ehrlich sind, war es schon immer D-I-Y, nur wir Drei", gaben Ok Kid bereits Ende 2019 im Song "Nur wir Drei" zum Besten. Was seinerzeit mit den ebenfalls in Eigenregie erschienenen "Woodkids"-Songs den Anfang machte, findet nun nach einer etwas längeren Bandpause seine folgerichtige Fortsetzung. Label, Management und Booking-Agentur sind weg, Jonas Schubert, Moritz Rech und Raffael Kühle hingegen vollauf da. Und ehrlich gesagt wurde das auch so langsam, aber sicher Zeit. Ok Kid sind schließlich seit jeher dafür bekannt, nicht nur den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft zu legen, sondern auch noch ordentlich darin herumzurühren. Wann, wenn nicht jetzt in diesen unruhigen Zeiten gab es bessere Vorlagen für Songideen? Eben. Gleich zu Beginn gibt es mit "Frühling Winter" einen schonungslosen Rundumschlag auf die Ereignisse des Jahres 2020. Von Klimawandel ("Chiasamen zwischen den Zähnen und über Klimaschutz erzählen steht uns gut / Dafür machen wir uns stark / Aber nicht die Finger schmutzig / Nachher bricht da noch was ab") über Black Lives Matter ("Black Lives Matter, alle Freunde tragen schwarz / Wir waren alle auf der Demo / Was ist heut' davon noch da?") bis hin zu Hanau ("Hanau lang noch nicht verdaut / Avocado Toast am Abend, wem stößt das noch übel auf? / Das Gewissen grün gekauft, Hafermilch auf fauler Haut") ist alles vertreten. Die Frage nach dem Wert von Kunst in Zeiten von Corona wird gestellt, aber bleibt unbeantwortet.

Gleiches gilt für die zugegebenermaßen vermutlich rhetorische Frage "Wie viel muss ein Schluckspecht noch schlucken / Damit er sein Spatzenhirn erträgt? / Wie oft muss man sein' Kopf wegducken / Damit die Dummheit uns selber nicht erschlägt?" im konträr zum düsteren Inhalt äußerst beschwingten "Es regnet Hirn". Leicht schmunzelnd und verbunden mit ein wenig Resthoffnung auf bessere Zeiten wird am Rande des Abgrunds das Tanzbein geschwungen. Ok Kid lieben nach wie vor die Gegensätze und basteln daraus kleine, aber feine Songs, die allerdings nicht immer beim ersten Mal hängen bleiben. Die poppige Eingängigkeit vergangener Tage ist ein wenig in den Hintergrund getreten beziehungsweise scheint erst später durch. Nach und nach entfalten die Songs andere Qualitäten. "Hausboot am See" ist fünf Minuten lang brisantes Storytelling vom Feinsten. Als klassischer Bromance-Ausflug gestartet, versteht Jonas Schubert es, die vollkommen nachvollziehbare Geschichte langsam, aber stetig eskalieren zu lassen. "Wir liegen uns in den Armen zu George Michael und den Smiths / Morrissey, Charming Man, aber leider auch Rassist / Fand das Wortspiel bisschen lustig, jetzt bricht es mir das Genick / Sag mal ist das jetzt Dein Ernst? Das ist doch nur Musik" ist exemplarisch für geäußerten Stumpfsinn angetrunkener, mittelalter Männer zwischen "Leave no one behind" und "Wie viele kommen noch rein?" Dass es am Ende noch gewalttätig wird, ist vorherbestimmt.

Zwischen üblicher Ok-Kid-Instrumentierung und markantem Sprechgesang kommen Songs wie "Leben light" leicht schunkelnd und bildreich daher: "Gib mir 'n bisschen Bullerbü, wo man es ohne Schuldgefühl noch schafft." Mit tatkräftiger Unterstützung von Jeremias liefern Ok Kid sogar eine lupenreine Liebeserklärung ab, bei der sie sich begleitet von trappigen Beats und verträumten Synthie-Klängen auf die Suche nach der einen Person für das Leben begeben. Liest sich kitschig, ist es aber nicht. Zwischenmenschlichkeit ist aktuell wichtiger denn je. Apropos Synthies und zwischenmenschlich: Atmosphärisch und emotional, allerdings auf traurige Art und Weise, geht es in einer weiteren Auflage des "Kaffee warm"-Mehrteilers zur Sache. "Wenn wir nicht mehr für uns brennen, wieso bringen wir uns zur Weißglut?" Ein schmerzhafter, aber wunderschöner Song über verblasste Zweisamkeit und das, was davon übriggeblieben ist. Zum Abschluss folgt ein melancholisch-süffisantes "Dinner for one". Von drei auf zwei und letztlich also eins. Aber alles halb so wild. D-I-Y.

(Jochen Gedwien)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Es regnet Hirn
  • Hausboot am See
  • Cold brew (Kaffee warm 4)

Tracklist

  1. Frühling Winter
  2. Es regnet Hirn
  3. Mr. Mary Poppins
  4. Hausboot am See
  5. Leben light
  6. Cold brew (Kaffee warm 4)
  7. Das Letzte
  8. Kein Mensch
  9. Bubblegum
  10. Heimweh
  11. Dinner for one
Gesamtspielzeit: 41:20 min

Im Forum kommentieren

BibaButzemann

2022-05-29 21:40:52

Richtig gut!
8/10, mindestens.

Armin

2022-05-19 21:44:09- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Ituri

2022-05-13 13:53:38

Bin positiv überrascht.

Ituri

2022-03-02 11:11:24

Episch.

Armin

2022-02-04 19:44:37- Newsbeitrag





INFOTEXT
Nach 6 Jahren scheinbar für immer überstandenen Emotions-Karussells, brühen OK KID mit dem 4. Teil von "Kaffee warm“ die Geschichte noch mal auf.

Angelehnt an Rocko Schamoni`s Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit" - in dem der Protagonist über Monate lang den Kaffee seiner Ex-Beziehung warm hält, in der Hoffnung sie kommt zurück - erzählt "Kaffee warm" seit jeher von missverstanden Romanzen, verletzten Egos und einer ganzen Generation, die vor allem in Sachen Liebe immer nach dem Optimum strebt uns sich nicht festlegen möchte.

2022 ist der Kaffee allerdings nicht mehr warm, sondern man trinkt Cold Brew, wobei unsere Protagonist*innen es einst doch „ohne Milch und Zucker, ungefiltert runter auf Ex“ (Kaffee warm 1) mochten.

Bei "Cold Brew (Kaffee warm 4)" haben wir das Gefühl selbst in den Strudel des Bohnen- Gewässers reingezogen zu werden. Ein Refrain, der sich über 3/4 des Songs schmiegt, smarte popkulturelle Referenzen wie "wir waren von Anfang 'Blinded by the Lights" und an Dringlichkeit kaum zu überbietendes Songwriting. "Cold Brew" hittet anders.

https://linktr.ee/okkidofficial





Album am 6.5.

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