Kevin Morby - This is a photograph
Dead Oceans / CargoVÖ: 13.05.2022
Lächeln ins Jenseits
Als Bob Dylan sein legendäres "Highway 61 revisited" aufnahm, musste er beim Label um dessen Titel kämpfen. Niemand hat His Bobness so wirklich verstanden, dabei schien jene sich von New Orleans bis Minnesota erstreckende Schnellstraße schon damals eine Linie quer durch die US-amerikanische Musikgeschichte zu zeichnen. Dylans Name fällt ja oft als erste Referenz bei Kevin Morby, schließlich loten beide ähnlich frei mit charakteristischem Anti-Gesang die Grenzen elektrischer wie akustischer Singer-Songwriter-Musik aus und musste man auch beim gebürtigen Texaner zumindest ein Album lang eine Christenphase erwarten. Doch was Ikone und Epigone vor allem anderen teilen, ist das geografische Bewusstsein für die Mythologie ihres Heimatlands. "This is a photograph", erklärt Morby auf seiner siebten Platte nämlich nicht nur, weil er aus dem autobiografischen Nähkästchen plaudern will. Stattdessen blättert er durch das Fotoalbum gesammelter Americana-Traditionen und spürt dabei in erster Instanz den Geistern von Memphis nach.
Um seinen Schreibprozess zu vollenden, zog sich der 34-Jährige an jenen Ort in Tennessee zurück, den er selbst als "forgotten city" beschreibt: Vollgesogen mit Eindrücken der Vergangenheit wirkt Memphis in der Gegenwart nahezu wie eine Geisterstadt. Morby quartierte sich sogar ins historische Peabody Hotel ein, wie er in "It's over" selbst dokumentiert, bevor der Song nach Flöten-unterstützter Chor-Einlage in den dissonanten Abgrund stürzt. Seine Texte bevölkern nicht zuletzt jene Seelen, die in Memphis ihr frühzeitiges Ende fanden. "Please don't go swimming in the Mississippi River", fleht das um eine totentänzerische Melodica-Melodie gebaute "Disappearing", in Anspielung auf Jeff Buckleys tragischen Unfalltod in besagtem Fluss. "A coat of butterflies" spricht den Sänger direkt an, findet mit warmem Saxofon, einem entspannten Beat von Jazz-Drummer Makaya McCraven und Harfenklängen der ebenfalls in diesem Genre verorteten Brandee Younger jedoch eine ganz ruhige Artikulation, als würde es seinem Gegenüber ein tiefenentspanntes Lächeln ins Jenseits schicken.
Aufbrausender gestaltet sich der Garagen-Glam von "Rock bottom", der dem gleichsam viel zu jung verstorbenen Jay Reatard gewidmet ist. Die Vorab-Auskopplung des Tracks führte dabei auf eine falsche Fährte, da Morby auf "This is a photograph" größtenteils im Balladen-Modus verweilt. Die Arrangements sind zwar üppiger als auf dem gefühlt am Lagerfeuer aufgenommenen "Sundowner", doch muss man bei all der Gelassenheit manchmal dennoch unweigerlich an Kurt Vile denken – zumal auch dessen Namedropping-Leidenschaft hier präsent ist, wenn etwa der reduzierte Closer "Goodbye to good times" Otis Redding, Tina Turner, Schauspielerin Diane Lane und Baseballer Mickey Mantle zu einem eigentümlichen Quartett vereint. Morby als Country-Slacker abzustempeln, würde der inneren Dynamik seiner Stücke allerdings auch kaum gerecht werden: Man höre allein, wie sich "Five easy pieces" nach plötzlichem Break zu einem mitreißenden Zusammenspiel von Band und Streichern aufschwingt. Dazu beherrscht der Amerikaner sein Midtempo-Metier hervorragend und weiß mit seinen direkten, teils fast kindlich naiven Lyrics regelmäßig zu berühren. "The living took forever but the dying went quick", heißt es in "Bittersweet, TN", einem zum Sterben schönen Duett mit der Folkerin Erin Rae, während sich das ekstatisch steigernde "A random act of kindness" unter wiederholten "Sun came up"-Rufen wahrlich in gleißendes Licht hüllt.
Morby könne ja nur Konzeptalben, schrieb Kollege Bremmer damals zu "Oh my God", und "This is a photograph" bildet da keine Ausnahme. Doch weil sich dieser so komplexe Künstler nie auf ein Motiv oder Gefühl reduzieren lässt, weist er über die musikhistorische Spurensuche hinaus. Familienfotos umgeben ihn auf dem Cover und drängen ihn dazu, mit entwaffnender Intimität auch über seine privaten Liebsten zu singen. Der Titeltrack – eine weitere rare Uptempo-Nummer mit großartigem, dezent an Afrobeat angelehntem Drive – behandelt eine Aufnahme von Papa Morby, die ihn als kräftigen jungen Mann zeigt und einen krassen Kontrast zum geschwächten, gealterten Bild der Gegenwart darstellt. Das über Piano- und Bläser-Wolken gleitende "Stop before I cry" wendet sich an die Partnerin Katie Crutchfield alias Waxahatchee: Niemand kann vorhersagen, was die Zukunft bringt, doch selbst wenn ihre Beziehung irgendwann ein Ende finden sollte, werden sie in den Songs des anderen weiterleben. Der eifrige Chronist weiß selbst am besten, dass er sich in den von ihm, Dylan und Co. kartographierten Pop-Atlas schon längst selbst eingeschrieben hat.
Highlights & Tracklist
Highlights
- This is a photograph
- Bittersweet, TN
- A coat of butterflies
- Stop before I cry
Tracklist
- Intro
- This is a photograph
- A random act of kindness
- Bittersweet, TN
- Disappearing
- A coat of butterflies
- Rock bottom
- Forever inside a picture
- Five easy pieces
- Stop before I cry
- It's over
- Goodbye to good times
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Armin
2023-01-27 17:44:23- Newsbeitrag
KEVIN MORBY (Dead Oceans, USA)
15.06.2023 München, Strom - neu!
16.06.2023 Dresden, Beatpol - neu!
21.06.2023 Berlin, Columbia Theater - neu!
saihttam
2022-08-25 10:19:31
Kurze Zeit für Werbung! Kommt dieses Wochenende alle zum Golden Leaves Festival nach Darmstadt, wenn ihr Kevin Morby live sehen wollt! Das Festival braucht dringend Geld, um die Weiterexistenz zu sichern und das Line-Up ist fantastisch. :D
Unangemeldeter
2022-06-01 15:54:02
Ich glaube es hat soundtechnisch auch einen großen Unterschied gemacht, wo man in dem Laden stand, oben z.B. fand ich's erstaunlicherweise wesentlich angenehmer als unten.
Und sehr schön, Andrew Bird! Den seh ich auf der Tour auch, allerdings in Lyon, bin da zufällig dort wenn er da spielt. Sag dann gerne mal Bescheid wie das soundmäßig so war!
Takenot.tk
2022-06-01 14:09:48
Komischer Laden auf jeden Fall, hat mich aber bisschen an Heimathafen erinnert.
Sound fand ich gar nicht so schlimm und auch nicht unbedingt laut (außer gegen Ende), aber es war manchmal schon schwer die Instrumente richtig auseinanderzuhören.
Was das Übersteuern anging, dachte ich ehrlich gesagt dass das gewollt war, weil er ja auf den Alben auch ein wenig damit arbeitet/spielt...aber kann auch ungewollt gewesen sein, wer weiß - ich bin in nem Monat bei Andrew Bird nochmal dort, dann werde ich ja einen Vergleich haben.
Als jemand, der neben der Oh My God nur das neue Album wirklich kennt, war die Setlist so sehr angenehm ;-)
Unangemeldeter
2022-06-01 09:38:21
Gestern Konzert im Metropol in Berlin. Erstmal ist das Metropol schon echt ein komischer Laden, halb Theater, halb Club, gleichzeitig irgendwie groß und irgendwie eng. Überall muss man ewig anstehen obwohl es irre viele Theken gibt. Irgendwie hat es aber zu Kevin Morby super gepasst, der die eh schon kitschige Bühne noch schön mit weißen und roten Rosen dekoriert hat. Doubling down, like a clown, wie er wahrscheinlich singen würde. Gefühlt könnte der Laden genau so aber auch in Texas stehen, so fake auf alt gemacht wirkt das alles.
Unterwegs ist er mit großer Band und so konzentriert sich auch die Setlist (bei der er scheinbar nur die Reihenfolge, aber nicht die Songs variiert) eher auf seine lauteren Stücke. Schon starker Fokus aufs neue Album, in Berlin hat er die Show aber quasi zweigeteilt und erst 8 Stücke vom neuen Album gespielt, dann 9 ältere Stücke (von allen Alben etwas) hinterher. Bisschen eigen, hat für mich aber gut funktioniert. Band und Morby sehr spielfreudig und gut gelaunt, bei seinen Ansagen zwischen den Songs hat er zwar wirklich keine Plattitüde ausgelassen, aber ein bisschen gerne hört man dann ja doch dass Berlin seine favourite city in the whole world ist. Besonders hervorzuheben die schöne Pedal Steel und die Querflöte, auch der weibliche Backgroundgesang war toll.
Nun zum Wermutstropfen: leider war der Sound von Anfang bis Ende eine Zumutung. Bass und Schlagzeug VIEL zu laut, Stimme hat sofort total übersteuert, wenn er mal ein bisschen lauter gesungen hat. Mir unbegreiflich, warum das nicht im Laufe des Abends mal korrigiert wurde. Mit Ohrstöpseln ging's dann ganz gut (wahrscheinlich das erste Konzert bei dem Ohrstöpsel für mich den Sound verbessert haben), ohne tat es einfach nur weh. Stimmung war trotzdem prima, kann absolut empfehlen hinzugehen, für die Soundprobleme kann die Band ja nichts.
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