Honeyglaze - Honeyglaze

Speedy Wunderground / PIAS / Rough Trade
VÖ: 29.04.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Ich sehe was, was Du nicht siehst

Es ist schrecklich, sich zu fühlen, als ob man nicht genügt. Egal ob man das Gefühl von Eltern, Partner*innen oder dem eigenen Anspruch eingeimpft bekommt. Sich selbst anzuschauen und nur Unzulänglichkeiten zu sehen, macht nicht nur unglücklich, das Gefühl brennt sich auch immer weiter ins Selbstverständnis und bleibt eventuell ewig. Auf dem Debütalbum der britischen Band Honeyglaze ringt Sängerin Anouska Sokolow mit einigen ihrer vermeintlichen Defizite und Dämonen – Ausgang offen. Doch ganz nebenbei manifestiert sie mit ihren beiden Kollegen eines der warmherzigsten Indie-Alben des Jahres.

Das liegt nicht nur an den bestechenden Aufnahmen des Trios, über die Produzent-Routinier Dan Carey (zuletzt Fontaines D.C. und Wet Leg) sein wachsames Auge hatte. Sondern vor allem an den anekdotenhaften Texten, die Sokolow fast beiläufig fallenlässt. Da wird in "Female lead" eine Erzählung über missglücktes Haarefärben zum Hit, da sie einmal wie Madonna aussehen wollte: "So I went out to buy some bleach / I put it in my black hair and waited for an hour / But when I washed it out / Oh God, I've let my mother down". An anderer Stelle gibt sie ihren Neid auf die eigenen Freund*innen zu, weil die alle so talentiert sind und schämt sich im selben Atemzug dafür.

Bei aller Wankelmütigkeit und kritischen Selbstsicht weiß Sokolow trotzdem, was sie nicht leiden kann. In "Young looking" vereint sie diese beiden Hälften von sich in schnippischer Art: "I know that I look seventeen / I know that I'm no beauty queen / It might come as a surprise / That I don't like being patronised". Die Gründe für das Ungenügendfühlen sind vielseitig, wenn sie sich wegen ihres Aussehens nicht auf Augenhöhe wähnt oder gleich komplett übersehen wird. Wenn sie Vorbilder wahrnimmt, sich vergleicht und so gar nicht reinzupassen scheint. Wenn sie in einer Beziehung nur ein Kissen sein soll, auf das man sich fallen lassen kann. In ihren Beobachtungen sind Honeyglaze dabei nicht kryptisch und trotzdem überraschend poetisch.

Andersherum verhält es sich musikalisch bei den Indie-Pop-Songs, welche die Band aus London in die Waagschale wirft. Die scheinen erst mal gar nicht so schwer zu wiegen, sind die Elemente Gitarre, Bass und Drums doch vermeintlich schnell durchschaut. Doch mit jedem Durchlauf fällt ein bisschen mehr auf, dass Honeyglaze nicht den Weg des geringsten Widerstandes gehen. Da endet ein Song, bevor er zu poppig wird, da wollen stockende Drums doch irgendwie nicht langweilig sein, da ist im Hintergrund Zeit für eine kleine Spielerei. "Childish things" wird am Ende gar zu einer mit ausfallenden Schritten voranwankenden 90s-Rock-Nummer, die fast die Sechs-Minuten-Marke sprengt. Das fühlt sich so selbstverständlich an, dass es so gar nicht nach Debütalbum klingen will.

Gibt es für Anouska Sokolow nun ein Happy End? Zumindest von außen kann man nur staunen, was für ein Album sie mit ihrer recht frischen Band auf die Beine gestellt hat. Von Unzulänglichkeiten keine Spur. Ob ihr das nun hilft, wird hoffentlich der Nachfolger zeigen. Der Gedanke, nicht zu genügen, hat sich hoffentlich noch nicht zu tief in ihre Seele gefressen. Und es ist fast frustrierend, dass man sie nicht einfach an der Hand nehmen und das zeigen kann, was Maeckes in seinem Song "Swimmingpoolaugen" so schön formuliert hat: "Ich wünschte, Du könntest Dich mal durch meine Augen seh'n".

(Arne Lehrke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Female lead
  • Young looking
  • Childish things

Tracklist

  1. Start
  2. Shadows
  3. Creative jealousy
  4. I am not your cushion
  5. Female lead
  6. Burglar
  7. Half past
  8. Deep murky water
  9. Young looking
  10. Souvenir
  11. Childish things
Gesamtspielzeit: 37:01 min

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Sloppy-Ray Hasselhoff

2022-05-12 21:44:50

before i go to sleep i listen to nakdinack-updates. Mehr, weil groß. 8/10

Armin

2022-05-12 20:58:02- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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