Pavement - Terror twilight: Farewell horizontal

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 08.04.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Wäre, wäre, Fahrradkette

Wer bei Spotify nach Pavement sucht, stößt nicht etwa zuerst auf "Cut your hair", "Gold soundz" oder "Stereo". Nein, der meistgehörte Song der Kalifornier heißt "Harness your hopes", mit mehr als doppelt so vielen Aufrufen wie jeweils alle anderen Tracks zum Zeitpunkt dieser Rezension. Moment, "Harness your hopes"? 1997 aufgenommen, wurde er zwei Jahre später als B-Seite der Single "Spit on a stranger" verbraten. Warum ausgerechnet dieser obskure Song? Bis heute sind die Wege des Streaming-Algorithmus trotz manch eingehender Recherche unergründlich. Dabei hätten Pavement strenggenommen den Song nicht zwingend in der 2008 erschienenen Deluxe Edition von "Brighten the corners" inkludieren müssen, aus dessen Sessions er stammt. Schließlich war "Spit on a stranger" die Leadsingle zu "Terror twilight". Welches mit über ein Jahrzehnt Verspätung nun auch sein eigenes Reissue namens "Farewell horizontal" erhält.

Wäre "Harness your hopes" nun erst auf dieser Kollektion enthalten gewesen, wäre das Stück wahrscheinlich bislang gar nicht streambar gewesen – und hätte demnach auch nie durchstarten können. Viele Konjunktive, wenig Gewissheit. Sicher ist: Fans des gepflegten Indie-Rocks der Neunziger können nun endlich ihre Sammlung der sehr hübsch und informativ aufgemachten Deluxe-Fassungen der Studioalben komplettieren. "Terror twilight" gilt häufig als das ungeliebte Stiefkind der Diskografie, was unfair ist und die Qualitäten der Platte verkennt. Schließlich lässt sich bestenfalls darüber streiten, ob es wirklich das schwächste Album ist – und selbst wenn, spräche das nur für die makellose Vita der Band. Die zeigte 1999 ernsthafte Auflösungserscheinungen, was man dem zerrissenen Sound anhört. "Terror twilight" verbindet Folk, Rock und Pop, enthält zugleich sehr poppige und ziemlich abseitige, schwierige Momente.

Der herangeholte Produzent Nigel Godrich hatte sich damals durch die Arbeit an Radioheads "OK computer" bereits unsterblich gemacht. Er schlug bei den Sessions auch eine alternative Tracklist vor, die "Farewell horizontal" nun in der Digital- und Vinyl-Fassung bereithält, während sich die CD-Variante an der Originalreihenfolge orientiert (und danach aus Platzgründen ein Demo zu "Ann don't cry" streicht). Es ist natürlich für den neuen Ansatz schwer, gegen knapp 23 Jahre Gewohnheit anzukämpfen und zumindest macht das wundervoll harmonische "Spit on a stranger" als Closer sogar eine bessere Figur als auf Position eins. Der Einstieg ist mit dem verqueren und komplexen "Platform blues" deutlich sperriger, vor allem wenn gleich danach das sinistre "The hexx" folgt. Godrich hatte dies als Statement angedacht, um direkt die Spreu vom Weizen zu trennen.

Der Flow gerät jedoch ins Stocken, weil das neue Sequencing in der Folge nicht so recht weiß, wo es mit seinen zugänglichen Tracks hin soll. Da steht mittendrin ein luftiges "Carrot rope", um kurz später in das mehrteilige Ungeheuer "Speak, see, remember" zu kippen, bevor der Closer die Seele wieder streichelt. Inmitten dieser Riege findet sich "Shagbag" als zusätzlich integrierter Track. Wer nun große Augen bekommt, sei gewarnt: Das einmütige Instrumental ist völlig überflüssig, eine skurille Collage ohne Mehrwert. Die Ursprungsversion der Platte, die sich immer mehr in ihre eigene Untiefen vergrub, hatte einen deutlich stimmigeren Spannungsbogen vorzuweisen. Den Songs selbst tut die Schieberei keinen Abbruch: "Billie" verkörpert die Dualität von "Terror twilight" immer noch auf spannende Weise, während "Major leagues" ein weiterer Hit ist, der unverständlicherweise damals nicht auf "Quarantine the past" Parade laufen durfte.

Neben den B-Seiten der drei Singles, von denen besonders das zugleich melodische und schmissige "Stub your toe" hervorsticht, gibt es einen ganzen Haufen an Demos und Sessions sowie einige Livetracks am Ende, inklusive eines Covers von Creedence Clearwater Revivals "Sinister purpose". Richtig neue, bisher unveröffentlichte Songs sind dagegen rar: Erwähnenswert ist nur das zu dieser Compilation als Single vorgeschickte "Be the hook". Geschmückt von einem Riff, das den Rolling Stones nicht besser hätte einfallen können, verleugnet Stephen Malkmus seine Unzufriedenheit in jener Zeit in der Band: "We play our songs, we get along / We tell the things that we know." Dazu gibt es diverse von Malkmus allein eingespielte Demos, oft noch ohne Gesang. Die Versionen aus dem Echo-Canyon-Studio von Sonic Youth wurden verworfen, sie sind meist etwas jammiger als die finalen Versionen, aber nicht bahnbrechend anders. Besser noch: die famose acht Minuten lange "Jackpot!"-Fassung von "You are a light".

Ganz klar ist die Box zu "Terror twilight" diejenige mit dem wenigsten Mehrwert im Vergleich zu den vorherigen vier Rückblicken. Zwar sind die Alternativ-Versionen gut hörbar, teils interessant oder gar erhellend, die wenigsten Hörer werden jedoch regelmäßig darauf zurückkommen. Hinzu gesellt sich der Mangel an wirklich neuen Stücken und die recht magere Ausbeute an Non-Album-Tracks – neben eingangs erwähntem "Harness your hopes" wurde auch das noch hitverdächtigere "Roll with the wind" von der gleichen Single bereits auf "Brighten the corners: Nicence creedence" verbraten und taucht hier demnach nicht auf. So bleibt nach der langen Wartezeit eine kleine Enttäuschung auf hohem Niveau. Dennoch bekommen die Sammler, die ihre Order sicher bereits getätigt haben, genug Gegenwert – und die Chance zur Überzeugung, dass "Terror twilight" ein überaus wertiger Abschluss der Pavement-Diskografie ist. Falls da nichts mehr kommt, versteht sich.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Cream of gold
  • Major leagues
  • Spit on a stranger
  • Stub your toe
  • Folk jam guitar (SM demo)
  • You are a light (Jackpot!)

Tracklist

  1. Platform blues
  2. The hexx
  3. You are a light
  4. Cream of gold
  5. Ann don't cry
  6. Billie
  7. Folk jam
  8. Major leagues
  9. Carrot rope
  10. Shagbag
  11. Speak, see, remember
  12. Spit on a stranger
  13. The porpoise and the hand grenade
  14. Rooftop gambler
  15. Your time to change
  16. Stub your toe
  17. Major leagues (Demo version)
  18. Decouvert de soleil
  19. Carrot rope (SM demo)
  20. Folk jam moog (SM demo)
  21. Billy (SM demo)
  22. Terror twilight (Speak, see, remember) (SM demo)
  23. You are a light (SM demo)
  24. Cream of gold intro (Jessamine)
  25. Cream of gold (SM demo)
  26. Spit on a stranger (SM demo)
  27. Folk jam guitar (SM demo)
  28. You are a light (Echo Canyon)
  29. Ground beefheart (Platform blues) (Echo Canyon)
  30. Folk jam (Echo Canyon)
  31. Ann don't cry (Echo Canyon)
  32. Jesus in Harlem (Cream of gold) (Echo Canyon)
  33. The porpoise and the hand grenade (Echo Canyon)
  34. Spit on a stranger (Echo Canyon)
  35. Be the hook
  36. You are a light (Jackpot!)
  37. Terror twilight (Speak, see, remember) (RPM)
  38. Rooftop gamble (Jessamine)
  39. For sale! The Preston School Of Industry (Jessamine)
  40. Frontwards (Live)
  41. Platform blues (Live)
  42. The hexx (Live)
  43. You are a light (Live)
  44. Folk jam (Live)
  45. Sinister purpose (Live)
Gesamtspielzeit: 162:02 min

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