Sea Girls - Homesick

Polydor / Universal
VÖ: 18.03.2022
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Wenn die Demut kickt

Stellt Euch mal vor, Ihr gründet eine Band mit ein paar Freunden in der Schule. Irgendwann kommt der Abschluss, Ihr verliert euch aus den Augen, musiziert nicht mehr gemeinsam, trefft Euch nach einiger Zeit in London wieder und spielt erneut zusammen. Ihr schreibt und produziert und liefert am laufenden Band. Ihr werdet entdeckt, gelobt von der Kritik, unterschreibt den ersten dicken Vertrag. Spielt gut besuchte Touren und auf Bühnen der großen Festivals des Landes und der Welt. Euer Album platziert sich weit oben in den Charts. Es flowt einfach, Euch gehört die Welt. Ihr taumelt im Vertigo immer neuen Meilensteinen entgegen. Alles klappt, und das Leben ist ein einziger Traum.

Und dann kommt ein Virus und nimmt Euch den Wind aus den Segeln. Was muss das deprimierend sein!? So erging es der britischen Band Sea Girls, und das ist es auf den ersten Blick ganz sicher auch. Vielleicht kam diese erzwungene Auszeit für die vier Briten aber auch gerade recht. Vielleicht ist das eine gute Gelegenheit, alles mal wirken zu lassen, sich zu sortieren. Diesen rauschartigen Traum, in dem man sich befindet, auch mal den Traum sein zu lassen und nach Hause zu fahren, Mutters Braten zu essen und mit Mama und Papa zusammen in einer Decke eingewickelt vor dem Fernseher zu sitzen. "Homesick" ist das zweite Album der Wahl-Londoner und sowohl der Titel des Albums, als auch der des Openers "Hometown" verraten schon, wohin die Reise geht und dass der zweite Blick auf die Auszeit Gutes preisgibt.

Und so besingt die Truppe um Henry Camamile ihre Heimatstadt in der Provinz, das Nachhausekommen, geweckte Erinnerungen an die Jugend, vergangene Liebe und den Abstand zu dem aufregenden und anstrengenden Leben, das sie die letzten vier Jahre führten. Im Musikalischen deutet "Hometown", der erste von elf Titeln, an, dass sich, auch nach all der Zeit zur Reflexion, nicht viel getan hat. Der massentaugliche Power-Indie-Pop, mit dem die Jungs auch schon die ersten Erfolge feierten, hat sich wenig verändert. Die treibenden Beats, das gnadenlose, glitzernde Synthie-Geballer und die – mal mehr, mal weniger – dreckigen Gitarren in Manier von The Kooks und The 1975, tragen immer noch die Musik. Die Stimme von Frontmann Camamile tut ihr Übriges und bringt die Message, die verpackt werden soll, passend rüber. Seine Stimme scheint auch dieses Mal wie gemacht für all die aus Erinnerungen entspringende Melancholie, die stadiontauglichen Britpop-Hymnen und den Anflug von Demut, der die Stücke prägt.

Man nimmt dem Quartett zweifelsohne ab, dass es all das fühlte, als erst einmal die Pause kam. Dass Sea Girls zu Hause ankamen, die Heimat Erinnerungen weckte, die man wunderbar und glaubhaft in neuer Musik preisgeben kann. Dass der immer treibende Orkan, der die vier Jahre seit der ersten Veröffentlichung beständig und schnell antrieb, schlagartig abflaute und ihnen Zeit gab, sich alles nochmal oder vielleicht sogar erstmals durch den Kopf gehen zu lassen. Die Zeit nutzten sie, um elf Tracks zu produzieren, die im Grunde nahtlos an das anknüpfen, das wir bisher von ihnen kannten. Das wird wahrscheinlich funktionieren, denn auch diesmal ist das Ganze sehr gut gemacht, geht gut rein und lässt keinen Zweifel daran, dass der Wind wieder auffrischen wird. Dieses Mal, das merkt man dem Album an, wird aber eine ganze Portion mehr Demut an Bord sein.

(Paul Milde)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hometown
  • Sick
  • Again again
  • Friends

Tracklist

  1. Hometown
  2. Sick
  3. Lonely
  4. Someone's daughter someone's son
  5. Sleeping with you
  6. Paracetamo blues
  7. Again again
  8. Lucky
  9. Higher
  10. Cute guys
  11. Friends
Gesamtspielzeit: 40:20 min

Im Forum kommentieren

Francois

2022-04-20 07:48:27

Sind morgen Support von Giant Rooks in Wien.
Klingen ganz gefällig. Der Indie-Typ in mir geht da mit.

Nummer Neun

2022-04-12 15:28:50

Schönes Album für ein paar schöne Frühlingstage.

Gordon Fraser

2022-03-18 14:20:43

Universal-Indie halt.

Geht gut ins Ohr, klar, aber doch weit entfernt von den vin Dir genannten Größen.

musie

2022-03-18 11:54:06

Seit Jahren kein so gutes Indiealbum mehr gehört. Indie im Stil von Two Door Cinema Club, The Kooks, frühen Killers etc.

musie

2022-03-18 11:50:49

Again Again ist alles andere als Mr. Brightside aber trotzdem sehr ähnlich. Auf jeden Fall ein Hit der sich gewaschen hat.

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