Cate Le Bon - Pompeii

Mexican Summer / Membran
VÖ: 04.02.2022
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das Wachs der Welt

Mit geballter Faust und in stilisierter Nonnenkluft blickt Cate Le Bon auf dem Cover ihres sechsten Albums "Pompeii" an uns vorbei. Die pittoreske Geste des Fotos ist kein Zufall, basiert es auf einem Bild, das Tim Presley von seiner privaten wie künstlerischen Partnerin malte. Den Inhalt der Platte repräsentiert es hervorragend, da auch die Musik wie ein Gemälde funktioniert. Der Wasserfall der Instrumente – die Le Bon abgesehen vom Saxofon und den Drums von Warpaints Stella Mozgawa übrigens alle selbst einspielte – wirkt oft wie eingefroren. Vom Albumtitel in die richtige Richtung geschubst, denken wir an das von einem Moment auf den anderen erstarrte Leben am Fuß des Vesuvs – allerdings auch an die gegen die Wände ihres Gefängnisses polternden Kreativgeister einer Frau, die sich erst kürzlich ein Heim in der kalifornischen Mojave-Wüste gekauft hat und pandemiebedingt für die Aufnahmen doch in der Isolation in Cardiff bleiben musste. Als Art-Pop-Exzentrikerin scheint die Waliserin manchmal in ihren eigenen Sphären zu schweben, doch ist sie auch geerdete Handwerkerin im Wortsinn, die im Vorfeld von "Reward" das Schreinern von Stühlen erlernte. In diesem Sinne prägt auch "Pompeii" eine ganz eigene Schraffur zwischen greifbarem Schock und flüchtiger Bewegung, wie sie von kaum jemand anderem stammen könnte.

Stilistisch hat sich Le Bon inzwischen fest in einem Mix aus anspruchsvollem Achtziger-Pop und dem Bowie-Sound der mittleren bis späten Siebziger etabliert. Ihre oft kryptischen Lyrics halten die Dynamik unter den dichten Klangwolken dabei stets im Griff. Über einem stoischen Beat und Bläser-Seufzern blickt sich der Opener "Dirt on the bed" im verschlossenen Raum um: "On repeat / Without a function / And no confession / Recycling air." Das Arrangement wird dabei immer rissiger, als würde sich der Wahnsinn der Lethargie langsam an die Oberfläche brechen. Auch der falsche Liebes-Walzer "Wheel" landet am Ende im Noise und schenkt dem Album damit einen Zirkelschluss. Es sind keine klimaktischen Aufbäumungen oder plötzliche Ausbrüche, sondern subtile Verschiebungen, die man oft erst merkt, wenn sie längst passiert sind. Das melodisch zugängliche "Cry me old trouble" gleitet einen markanten Bass-Groove entlang – auf dem Viersaiter schrieb Le Bon die Tracks übrigens alle –, bevor der besungene "peacock moon" gefährlich nahe kommt.

Im Zuge seines ambigen Charakters schafft es "Pompeii", die poppigste und forderndste Platte der 38-Jährigen gleichzeitig zu sein. Mit Jangle-Gitarren und famoser Hook formt sich "Moderation" zu ihrem vielleicht größten Hit. "I get by pushing poets aside / 'Cause they can't beat the mother of pearl / I quit the Earth / I'm out of my mind", singt sie da im Selbst-Duett mit dem eigenen Falsett – und muss im folgenden "French boys" doch wieder ganz weltliche Plastik-Bouquets fangen. Bei vielen Songs wähnt man sich wie in einer langsam schmelzenden Wachs-Disco und überlegt, mit welcher letzten Tanz-Geste man sich in die steinerne Ewigkeit einschreiben soll. "What you said was nice / When you said my face turned a memory", erklärt Le Bon in "Harbour", doch die zitternden Emotionen ihrer Stimme halten sie in der Gegenwart. "I'm not cold by nature", heißt es auch im propulsiven Synth-Dream-Pop von "Running away", das per Saxofon-Crescendo die Asche durch die Luft wirbelt.

Wilco-Chef Jeff Tweedy hat mal gesagt, Le Bon sei eine der wenigen Künstler*innen ihrer Zeit mit einem distinktiven Sound und er würde es sofort erkennen, wenn sie Gitarre spielt. "All my language is vulgar and true", lautet die Bestätigung im mysteriösen Titelstück, umgeben von einem Reigen undefinierbarer Geräusche. Es fasziniert ungemein, wie "Pompeii" klar auf musikhistorische Referenzgrößen verweist und doch eine ganz eigene Sprache entwickelt, die im aktuellen Indie-Kosmos tatsächlich heraussticht. Nirgendwo sonst wird das so deutlich wie im beeindruckenden "Remembering me": "Robert Fripp!" schreit das verzerrte Zehn-Sekunden-Solo, "Talking Heads!" der funkige Refrain-Rhythmus, doch das Ergebnis ist so viel mehr als simple Pastiche. "I didn't need anyone / On my own luck / I arrived just to seat the choir / And bowled them over", so formuliert der Song seine Selbstermächtigung. Die Welt ist nur ein Baustoff, den Cate Le Bon fest mit beiden Händen anpackt und nach ihrem eigenen Gusto formt.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Moderation
  • Pompeii
  • Remembering me

Tracklist

  1. Dirt on the bed
  2. Moderation
  3. French boys
  4. Pompeii
  5. Harbour
  6. Running away
  7. Cry me old trouble
  8. Remembering me
  9. Wheel
Gesamtspielzeit: 43:26 min

Im Forum kommentieren

Kojiro

2023-12-31 13:55:18

Immer noch ne sehr spaßige Geschichte...

saihttam

2023-01-11 17:41:08

Also das Café, in dem Cate Le Bon lief, heißt Café Bellevue. Das, in dem ich arbeite, Café Linie 3. Du erkennst mich dann daran, ob die Musik gut ist oder nicht. ;)

fakeboy

2023-01-11 14:00:24

Wie heisst das Café? Ein Freund von mir wohnt in Darmstadt, ich schau beim nächsten Besuch gerne mal rein.

saihttam

2023-01-11 10:55:14

Dann komm nach Darmstadt! ;)

Ich habe auch gerade angefangen in einem Café zu arbeiten und bin dabei dafür eine passende Playlist mit meiner Musik zu erstellen. Ist eine spannende Aufgabe. Bin mal gespannt, wie weit ich gehen kann, bis sich ein Gast beschwert. Beim nächsten Mal wird dann wohl Cate Le Bon getestet.

AliBlaBla

2023-01-11 09:25:24

@saihttam
In das Café würde ich auch gerne gehen... ;)

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