Mitski - Laurel hell
Dead Oceans / CargoVÖ: 04.02.2022
Tappen im Dunkeln
Als würde man ihr Stück für Stück die Seele abschaben. Wenn Mitski Miyawaki in einem aktuellen Interview so drastisch-plastisch über die Auswirkungen des Erfolgs auf ihr Innenleben spricht, kauft man ihr sofort ab, großer Fan von Horrorfilmen zu sein. Schon zu Zeiten von "Puberty 2" war es der unter ihrem Vornamen bekannten Musikerin unangenehm, mit ihren Songs wildfremden Menschen so wörtlich unter die Haut zu gehen, dass diese sich ihre Lyrics tätowieren ließen. Es ist interessant, dass ausgerechnet "Be the cowboy" diesen Impact nochmal potenzierte und Mitski zu einem der größten Kritiker- und Fan-Lieblinge des Indie-Mainstreams machte – schließlich setzte jenes Album weniger auf die Unmittelbarkeit der Vorgänger, sondern hüllte sich in einen Art-Pop-Mantel stilisierter Visuals und erratischer Wendungen. Es war der sicher nicht erste Beweis, dass auch in kunstvolle Konzepte gewickelte Musik greifbare Emotionen vermitteln kann, die am anderen Ende der Leitung tief nachhallen. "Laurel hell" knüpft nahtlos daran an.
Mitskis sechste Platte folgt einem bereits vor der Pandemie begonnenen Live-Hiatus, gewachsen aus der eingangs beschriebenen Überwältigung, während dem die japanisch-amerikanische Künstlerin jedoch stets kreativ blieb. Diese Hassliebe zu ihrer Profession und Leidenschaft, das Beieinander von Qual und Erfüllung, übersetzt ihre Musik weiterhin in ein Spannungsverhältnis der ständigen Wandelbarkeit. "Let's step carefully into the dark", beschwört gleich der Opener "Valentine, Texas" über mysteriösen Orgeltönen. "Who will I become tonight?", fragt Mitski, bevor sich der Track selbst transformiert, als hätte er plötzlich die Lichtkuppel geöffnet. Begleiten wir die Protagonistin hier, wie sie sich ganz ins Ungewisse fallen und zwischen kryptischen Bildern von Staubteufeln und tanzenden Geistern treiben lässt? Oder gehen wir einer Frau auf den Leim, die den Weg schon längst penibel vorgezeichnet hat?
Mitski lässt sich nach wie vor ungern in die Karten schauen und veranstaltet unter ihrem Schleier ein klanglich flexibles Rollenspiel. In "The only heartbreaker" weint sie als Drama-Queen bittere Tränen auf der Tanzfläche, bis die ohnehin schon mächtigen Synths auf einen immer lauter werdenden Gefühlsausbruch zusteuern, als würden sie ihre eigene Arie singen. "Everyone" ist abgesehen von der gleichen stimmlichen Vollverausgabung das genaue Gegenteil: ein kühl-monotones Bad in der alles einengenden Dunkelheit, das kurz vorm vermeintlichen Höhepunkt einfach ausfadet. Die brodelnde Western-Ballade "Heat lightning" lockert sich fast unbemerkt zum luftigeren Elektropop, während "Should've been me" mit Piano, Keys und souliger Rhythmussektion einen lebensfrohen Vintage-Groove zelebriert. "Open up your heart / Like the gates of hell", fordert das gleichsam grandiose "Stay soft" mit albtraumhaft verzerrter Disco-Geste – dass Mitski ihre stilistische Offenheit mit dem inzwischen völligen Verlust ihrer Schrammel-Gitarren bezahlt hat, mag für manche unter engeren Stirnen sitzende Ohren wohl wirklich einem Teufelspakt gleichkommen.
Das Kernstück des Albums stellt dabei "Working for the knife" dar, das nach seiner Auskopplung 2021 bereits diverse Jahreslisten aufmischte. Kein anderer Song hier geht so pointiert mit dem Konflikt von Kunstschaffen und Industrie-Erwartungen um: "I used to think I would tell stories / But nobody cared for the stories I had about / No good guys." Im dazugehörigen Video führt die 31-Jährige eine exzentrische Tanzperformance in einem leeren Konzert- oder Theatersaal auf – ein Symbol dafür, sich nur dann komplett frei entfalten zu können, wenn niemand zuschaut oder hinhört? Man traut sich kaum, trotz aller Hochklasse einen Mini-Kritikpunkt wie die im neuen Art-Pop-Gewand etwas hemmend wirkende Kompaktheit von Mitskis Songwriting anzusprechen, schließlich prägte diese jede ihrer nie länger als 33 Minuten dauernden Platten. Ein Markenzeichen über Bord zu werfen, nur weil es jemand anderem nicht gefällt? Das wäre ja der wahre Horror.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Working for the knife
- Stay soft
- The only heartbreaker
- Should've been me
Tracklist
- Valentine, Texas
- Working for the knife
- Stay soft
- Everyone
- Heat lightning
- The only heartbreaker
- Love me more
- There's nothing left for you
- Should've been me
- I guess
- That's our lamp
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Unangemeldeter
2022-02-11 15:17:35
Hm, ich kann mich nach den Vorabsongs (die ich alle eher lau finde) nicht motivieren, das ganze Album anzuhören, dabei war ich großer Fan vom "Cowboy". Vielleicht später im Jahr mal nen Anlauf wagen.
AliBlaBla
2022-02-11 13:18:42
Bin wohl doch Popper. Hach.
valentine, texas 7/10
working for the knife 8/10
stay soft 9/10
everyone 6/10
heat lightning 8/10
the only heartbreaker 9/10
love me more 10/10
there's nothing left 7/10
should've been me 6/10
i guess 5/10
that's our lamp 7/10
Ein ganz schön kurzes Album; ein plötzliches, warmes Gefühlsgewitter (die eine beachtet es nicht, der anderen ist es ein Ereignis)
Armin
2022-01-26 20:54:49- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Ninetiesman
2022-01-12 19:31:04
Jesss, das hört sich wirklich gut an, besonders "Working for the Knife" und "The only Heartbreaker".
Erinnert irgendwie an den Übersong "Geyser" vom letzten Album. Auf dem waren viele gute Songs, die aber oft zu kurz geraten sind und dadurch wie unfertge Skizzen klangen, denen ihr volles Potential geraubt wurde.
Armin
2022-01-12 17:01:49- Newsbeitrag
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