Emigrate - The persistence of memory

Sony
VÖ: 12.11.2021
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
4/10

Kartoffel im Schlafrock

Aller guten Dinge sind bekanntlich vier. Rammstein, Deutschlands Exportschlager Nr. 1 neben Birkenstock-Sandalen, Kraftfahrzeugen und neuerdings Matthias Schweighöfer, sind mit "Reise, Reise" damals in Richtung Romantik aufgebrochen, haben beispielsweise den Erlkönig verwurstet und auf "Amerika" schon klargestellt, wie sie zum Land der unbegrenzten Möglichkeiten so stehen. Wunderbarrrr! Richard Zven Kruspe hat sich in den USA anschließend häuslich eingerichtet, bezeichnete sich selbst als "Auswanderer" und hat so auch seiner Zweitband Emigrate zu ihrem Namen verholfen. Die ist nun ebenfalls beim vierten Langspieler angekommen. Gereist wird weiterhin: Während es Frontbolzen Till Lindemann aber aktuell nach Russland zieht, wo er patriotische Volkslieder intonieren und ganz ungeniert weiter Kinder hassen kann, bleibt Kruspe lieber zuhause in Berlin, um sich auf seine Stärken zu besinnen, wie es scheint. Über zwei Jahrzehnte hat er das Material für "The persistence of memory" gesammelt.

Der Albumtitel ist von Salvador Dalí geborgt, Kruspe macht also große Kunst. So groß, dass er sich sogar traut, Elvis himself und Pet Shop Boys herauszufordern, wer denn die bessere Version des totgenudelten "Always on my mind" fabrizieren kann. Für dieses Unterfangen hat der Gitarrist, der ansonsten mal keine Armeen an Gastsängern mobilisiert, sogar erneut Busenfreund Lindemann weg von Zaz und mit ins Emigrate-Boot geholt. Der Plan offenbar: Angesichts dieser schlecht gesungenen, mit Nintendo-Sounds zugekleisterten Vollkatastrophe sollen die Eigenkompositionen wohl überzeugender wirken. Dabei hat Kruspe es eigentlich gar nicht nötig, solcherlei Blendgranaten in die Meute zu werfen: Praktikabler Düsterrock à la "You can't run away" verlässt sich ganz auf eingängige Refrainarbeit und gefällt auch, ohne das Rad neu erfinden zu müssen.

Elektronisches Gestampfe rückt Songs wie "Rage" schon beinahe in Synthpop-Nähe, natürlich immer mit Bratzgitarre dazu, und heraus kommt eine Art Goth-Schlager, in der der gesanglich immer noch eher so mittelgute Kruspe auch noch zu pfeifen beginnt. Nett ist sowas, na gut, kompositorisch passiert aber nicht sehr viel auf "The persistence of memory", auch wenn stellenweise Spaß aufkommt, man nehme "I'm still alive". "I feel it might get loud", jawohl! Die ganzen Achtziger in einer Roboter-Persona vereint gibt es dann in "Come over" serviert; die Neuauflage des altbekannten "Hypothetical" klingt nach gut gelaunten Korn, auch ohne den gecancelten Marilyn Manson am Mikro. So wechselt der Deutsche also auf den etwas mageren neun Songs, von denen nur sieben wirklich neu sind, zwischen Synthies und gewohnt bös gemeinten, aber harmlosen Industrial-Riffs hin und her. Ausrufezeichen bleiben dabei rar, und Gimmicks wie die Trompeten in "I will let you go" haben schon Caspers "Jambalaya" nicht wirklich geholfen.

Die große künstlerische Verwirklichung kauft man dem Berliner nicht gänzlich ab, vielmehr wirkt "The persistence of memory" ein bisschen zusammengeschustert, weil wohl unbedingt eigenes Material veröffentlicht werden sollte, bevor Rammstein im kommenden Jahr wieder NDH-Pop unter die Leute bringen wollen. Man kann Richard Kruspe durchaus sympathisch finden: für seinen Musikgeschmack zwischen den schimmernden Achtzigern und Krawallgitarren-Kram der Jahrtausendwende sowie für seinen authentischen Teutonen-Akzent, den er nicht einmal ansatzweise zu kaschieren versucht. Das vierte Emigrate-Album mit seinen nur teils überzeugenden Songs zählt jedoch eher nicht zu den gelungeneren Werken des kosmopolitischen Stahlarbeiters.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Come over
  • You can't run away

Tracklist

  1. Rage
  2. Always on my mind (feat. Till Lindemann)
  3. Freeze my mind
  4. I'm still alive
  5. Come over
  6. You can't run away
  7. Hypothetical
  8. Blood stained wedding
  9. I will let you go
Gesamtspielzeit: 34:21 min

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Armin

2021-11-17 22:16:23- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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