Levin Goes Lightly - Rot
Tapete / IndigoVÖ: 05.11.2021
Was macht das Love?
"Ich empfinde es als Ehre, mit Joy Division in einem Atemzug genannt zu werden", so Levin Stadler einmal. Und hörte man den knorrigen, wunderbar suggestiven Post-Punk seines 2015er-Longplayers "Neo romantic", glaubte man dem Max-Rieger-Kumpel aufs Wort. Nur mit ständigen Bowie-Vergleichen habe er so seine Probleme – sie seien auf Dauer eine ermüdende Beschreibungsebene für die latente Androgynität seiner musikalischen Persona Levin Goes Lightly. Was aber passieren kann, wenn man sich dem Dresscode des Indie verweigert und wie Stadler mit Theaterschminke und bizarren Klamotten auf die Bühne geht, damit das Publikum etwas zu schauen hat. Zu hören gab es auf den folgenden Alben "GA PS" und "Nackt" entsprechend Extravanganteres, das zusehends mehr von beweglichem Dream-Pop oder psychedelischem Glam hatte und außerdem die Einsamkeit des Individuums in einer immer oberflächlicheren Gesellschaft erörterte. Keine Chance für die Liebe? "Rot" sieht das gänzlich anders.
Auf dem fünften Album des Wahl-Stuttgarters spricht das höchste der Gefühle nämlich aus vielem – angefangen beim Titel über das feminine Züge tragende Cover-Portrait bis hin zu Songs wie "Sieh mich an", "Romantik" und "Liebhaber", das mit der Zeile "Gib mir Deinen Kuss, setz mir Deinen Schuss" das emotionale Suchtpotenzial von Beziehungen aufzeigt. Freilich ohne dass sich dieser grandiose Opener an rührseligem Schmonz verheben würde: Stattdessen treiben pointierter Breakbeat und schlanker Basslauf das Stück mit Schmackes voran, und präzise Licks lassen eine Sonne aufgehen, die Anfang der Neunziger selig über klassischen Rave-Rock-Hits wie The Stone Roses' "She bangs the drums" lachte. Ebenso hervor tut sich in dieser Hinsicht das leicht halluzinogen vor sich hinwompernde "Geschichten", auch wenn Stadler in Sätzen wie "Du sagst, Du wärst nett – aber ..." oder "Ich schäme mich am liebsten vor Dir" berechtigte Zweifel an erfüllter Zweisamkeit anmeldet. Die Frage, was das Love macht, verkneifen wir uns hier also lieber.
Zumal sich "Rot" als zweite Platte in Folge, auf der Stadler nahezu durchgängig deutsch singt, ziemlich "Nackt" macht – und trotzdem einige popkulturelle Verweise in den nicht vorhandenen Taschen hat. So ist das flockig mit dem Allerwertesten wackelnde "All cats are beautiful" keine verkappte Polizei-Schelte, sondern eine diskret pulsierende Elektro-Pop-Miniatur, die queere Identitäten feiert, und zitiert "Earrings" mit Carly Simons "You're so vain" einen klassischen Wink mit dem Zaunpfahl an sich chronisch selbst überschätzende Männlichkeit. Noch meisterhafter ist jedoch, wie Stadler abschließend sämtliche vordergründige Restsüße aus ABBAs "Knowing me, knowing you" tilgt. Schon für die Schweden war das Original 1976 schließlich ein melancholischer erster Ausläufer der später ins Haus stehenden Eheprobleme und Scheidungsdramen – und nebenbei eine gleichermaßen schmerzliche wie scharfsinnige Diagnose letzter amouröser Dinge. Tut weh, tut aber auch gut – wie dieses tolle Album. "Rot" ist eine warme Farbe.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Liebhaber
- Geschichten
- Knowing you, knowing me
Tracklist
- Liebhaber
- Sieh mich an
- Romantik
- Earrings
- Geschichten
- Flirren
- All cats are beautiful
- Drama
- Knowing me, knowing you
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Armin
2021-11-10 22:08:45- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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