Oh Wonder - 22 break

Island / Universal
VÖ: 08.10.2021
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Fade Liebe

"Glaubt Ihr an die wahre Liebe? Glaubt Ihr wirklich, dass die Menschen da blieben, wenn die Fassade fiele?", fragte ein bekannter deutscher Rapper schon vor knapp 20 Jahren. Und würde man dem Londoner Duo Oh Wonder diese Fragen stellen, sie würden wohl lauter bejahen als je zuvor. Über die letzten acht Jahre haben Anthony und Josephine Vander West nämlich nicht nur vier Alben zustandegebracht, sondern sich auch noch verliebt und sogar geheiratet. Das war den Vorgängerplatten so deutlich anzuhören, dass der Zuckerguss fast aus den Boxen gelaufen kam. "22 break" ist nun ein anderes Album geworden – zumindest inhaltlich.

Denn ohne dass sie es sich so richtig eingestehen wollten, schrieben Oh Wonder während der COVID-Pandemie ein Trennungs-Album. Ein Herzschmerz-Album, das die Situation in ihrer Beziehung besser beschrieb, als sie es sich vielleicht gedacht hatten. Der Zuckerguss wanderte also erst mal in den Schrank, dafür wurden Beziehungsszenen hervorgeholt, in denen Anschuldigungen hin- und herflogen. So eröffnet "Baby" in seiner Funktion als Wegweiser das Album reichlich verwirrt: Die Drums glänzen durch Abwesenheit, der Synthie piepst ohne erkennbares Ziel. Irgendetwas ist hier durcheinandergeraten und es ist unklar, ob das Album es richten wird.

Erst das Titelstück bringt etwas Klarheit in die Situation und erklärt den an Bon Iver gemahnenden Albumtitel: "But it takes two to break a heart." Der treibende Beat, ein Piano, ein stimmungsvolles Saxofon und ein hochgepitches Sample geben alles und auch wenn es noch nicht zum Justin Vernon langt, reicht es immerhin zum ersten Highlight der Platte. Und auch das anschließende "Free" berührt mit seinen präzisen Beschreibungen von Episoden, in denen man sich das Unvorstellbare gesagt hat und es heute bereut. Mit der Zeile "Said I never loved you / But I always loved you" kann man sich jedenfalls dermaßen identifizieren, dass es wehtut. Schade nur, dass die zaghafte Instrumentierung jeden Mut vermissen lässt und die Chance so aus der Hand gibt. Ähnlich geht es "Don’t let the neighbourhood hear", das andeutet, sich zum großen Duett aufzuschwingen und breite Drums auffährt, nur um sich dann doch lieber ins musikalische Wohlfühl-Schneckenhaus zurückzuziehen. Oh Wonder sind immer dann am langweiligsten, wenn sie wieder in alte Muster verfallen.

Umso cooler, dass sie im zweiminütigen Interlude "Dinner" plötzlich eine Kulisse wie in einem Film Noir beschwören. Josephine klingt, als käme sie im Trenchcoat in die Bar geschlendert, zeigt sich renitent, sogar das F-Wort rutscht ihr raus. Schade, dass das Rollenspiel dann erst mal wieder vorbei ist und drei austauschbare Songs mit repetitiven Refrains kommen. Man möchte "22 break" fast aufgeben, wird dann aber zum großen Finale noch einmal zurückgebeten. "Kicking the doors down" arbeitet sich erneut an den Phasen der Beziehung ab, bläst sich im Gegensatz zum unscheinbaren "Free" aber ein bisschen mehr auf, stellt die richtigen Fragen und gibt sich selbst gute Antworten, warum es doch funktionieren kann.

Wenn man dem Duett-Gesang der beiden Vander Wests lauscht, glaubt man hier zum ersten Mal, dass sie es schaffen können – und wird prompt dafür belohnt. "Twenty fourteen" lässt das Klavier nach vorne preschen, Vocal-Spuren überfallen einen von allen Seiten, die Drums stampfen voll neuen Mutes voran und das Saxophon ist auch wieder da. Und dann gönnt sich Anthony doch noch seinen Bon-Iver-Moment, wenn er zur Feier des Tages so offensichtlich bei "33 "GOD"" klaut, dass man fast lachen möchte. Oh Wonder haben es geschafft, sich durch eine schwierige Phase und ein phasenweise ebenso schwieriges viertes Album zu kämpfen. Am Ende klingen sie so versöhnlich, als hätte es nie Zweifel gegeben. Ganz so verhält es sich mit "22 break" sicher nicht, möchte man doch zwischendurch immer mal wieder raus aus diesem schwankenden Tête-à-Tête. Wäre da nicht doch das Vertrauen, dass am Ende alles gut wird. Wer Oh Wonder hört, der glaubt geduldig an die wahre Liebe.

(Arne Lehrke)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • 22 break
  • Dinner
  • Twenty fourteen

Tracklist

  1. Baby
  2. Down
  3. 22 break
  4. Free
  5. Don’t let the neighbourhood hear
  6. Dinner
  7. Rollercoaster baby
  8. Love me now
  9. You > Mm
  10. Kicking the doors down
  11. Twenty fourteen
Gesamtspielzeit: 34:26 min

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Armin

2021-10-20 21:01:46- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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