Trümmer - Früher war gestern

PIAS / Rough Trade
VÖ: 17.09.2021
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Distinktion und Einbauküche

Nach ein paar Bier kann man ja schon mal komisch werden: Die frisch wiedergekehrten Trümmer werfen auf ihrem ersten neuen Album seit sage und schreibe fünf Jahren einen wehmütigen Blick zurück auf ihre Sturm-und-Drang-Phase. Dinge im Rückspiegel sind oft näher, als sie erscheinen, oder so, aber die Sentimentalität des somit absolut passend betitelten "Früher war gestern" kommt dann doch unerwartet. Kein Graceland, Baby: Haben Trümmer nicht erst neulich noch Dinosaur Jr. supportet, als niemand wusste, wer die facebooklosen Newcomer eigentlich sind? War das damals nicht adoleszenter Rock'n'Roll mit The-Undertones-Vibes und Dosenbierfahne? Wo ist die Euphorie? Erwachsenwerden ist kompliziert, Lebensstile und -ziele ändern sich, ja ja. Aber wieder kehrt hier eine Band zurück, die ihr Pulver offenbar schon früh verschossen hatte. Und trauert noch dazu den alten Zeiten nach.

Der Elan, mit dem Trümmer auf ihrem Debüt noch jugendlich-schrammlige Indie-Hymnen mit Post-Punk-Anstrich zelebriert und dann auf "Interzone" völlig ungeniert in 80er-Wave-Gewässern geplanscht haben, ist einer Lethargie und merkwürdigen Altersweisheit gewichen, die den immer noch jungen Musikern nicht sonderlich gut zu Gesicht steht. Songs wie "Dort" und "Scherben" aber zeichnen sich auch musikalisch durch ihre Unauffälligkeit aus – ein bisschen so, als hätte Philipp Amthor, der ja laut Fabian Köster sein eigener Opa ist, den Indie entdeckt. Das dezent mehr polternde "Draußen vor der Tür" klaut das Riff von "Sattelt die Hühner, wir reiten nach El Paso" der verblichenen Hamburger Kollegen Sport und bleibt als obligatorisches Statement zu AfD-Parolen und Schlechtmenschen blutleer und harmlos statt angemessen bissig. Generell fasst der Begriff "Harmlosigkeit" das Album trefflich zusammen. Oder, wie es im noch gelungenen Vorboten "Wann wenn nicht" heißt: eine "Wüste der Banalität".

Und das auch zu Lasten der Eigenständigkeit: Vom eigentlich schönen "Aus Prinzip gegen das Prinzip" ist es in den verwinkelten Gängen der Hamburger Schule eben nicht mehr weit bis "Im Zweifel für den Zweifel". Trümmer tönten zwar immer lautstark, mit selbiger und generell mit deutschsprachigem, Trainingsjacke tragenden Muckertum hätten sie nichts am Hut, aber zumindest unterbewusst scheint der deutsche Indie-Zirkus sie während der Pause längst in seine Fänge gekriegt zu haben. Und nicht mehr loszulassen, denn textlich bietet "Früher war gestern" vor allem – nun ja – befindlichkeitsfixierte Allgemeinplätze, die weniger clever daherkommen, als sie wollen. "Verwende Deine Jugend / Deprimier die Depressionen" – Mensch, da hätte man ja auch selbst drauf kommen können! Bei Herrenmagazin hat der Regen noch die Möbel geputzt, bei Trümmer wäscht er Straßen rein und Schmerzen weg.

"Kintsugi" hat nichts mit Death Cab For Cutie, tatsächlich aber mit der namensgebenden japanischen Töpferkunst zu tun, eigentlich Kaputtes noch irgendwie repariert zu bekommen. Der Titel "Scherben" war ja schließlich schon vergeben, aber im Gegensatz zu diesem Schnarcher gestaltet sich besagter Song wenigstens treibender und abwechslungsreicher. Auch die furztrockenen Beobachtungen in "Tauben an der Ihme" machen Laune und stolpern dazu durch einen Schon-fast-Chanson, der mit mehr Siff beinahe in Richtung Isolation Berlin gehen könnte. Der Rest von "Früher war gestern" aber indierockt ziellos und träge um sich selbst herum – der kreative Funken, der die Band offenbar wieder zusammenbrachte, ist nicht wirklich zu spüren; von dem anfänglichen Hype, den die damaligen Jungspunde kurz nach ihrer Geburt auslösten, sind bestenfalls noch Reste erkennbar. Aber auch mit alten Bekannten will man ja schließlich nicht nur "austauschbare Höflichkeiten austauschen", sondern Klartext reden: Trümmer sind sowohl textlich als auch musikalisch im Mittelmaß angekommen. "Weißt Du noch, wie es früher war?" Besser, Digga, besser.

(Ralf Hoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Aus Prinzip gegen das Prinzip
  • Tauben an der Ihme

Tracklist

  1. Wann wenn nicht
  2. Aus Prinzip gegen das Prinzip
  3. Weißt Du noch
  4. Scherben
  5. Dort
  6. Der Regen
  7. Draußen vor der Tür
  8. Kintsugi
  9. Zwischen Hamburg & Berlin
  10. Tauben an der Ihme
  11. Wie Spazieren geht
Gesamtspielzeit: 40:26 min

Im Forum kommentieren

James Bondage

2021-10-09 23:45:27

Schönes Review. Schade, dass die Platte offenbar nur Mittelmaß ist

Armin

2021-09-15 20:26:42- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

AliBlaBla

2021-07-31 18:28:25

PURES PRINZIP DARF NIEMALS SIEGEN

Armin

2021-07-30 18:07:40- Newsbeitrag

TRÜMMER

Trümmer veröffentlichen heute mit „Aus Prinzip gegen das Prinzip“ ihre neue Single als geschmackvolles Super 8 Lyric Video. Das neue Album „Früher war gestern“ erscheint am 17.09.2021.

TRÜMMER - AUS PRINZIP GEGEN DAS PRINZIP (Lyric Video)

Armin

2021-06-25 20:37:27- Newsbeitrag

So muss man nach ein paar Jahren Bandpause zurückkommen. Genau so. Und dieses Lied muss es nach so einem beschissenen Jahr sein. Genau dieses. Trümmer veröffentlichen heute ihre erste Single aus ihrem am 17.09.2021 erscheinenden Album „Früher war gestern“. Das Stück ist zugleich der Album Opener und trägt den schönen Namen „Wann wenn nicht“. Gleichzeitig kündigt die Band eine Tour für den November an.

Berlin, 25.06.2021
Wer sich um Trümmer sorgte, weil „Interzone“ ja nun auch schon fünf Jahre zurückliegt und alle Bandmitglieder anderweit gut zu tun hatten, spürt schon bei den ersten Tönen: Der Band geht’s gut. Sie hat Bock. Und sie hat was zu sagen. Der Sound ist typisch Trümmer – die Sturm-und-Drang-Anfangsphase , nur tighter. Das Personal ist wieder: Paul Pötsch (Gitarre, Gesang), Tammo Kasper (Bass), Maximilian Fenski (Drums), Helge Hasselberg (Gitarre). Letzterer hat das Album auch produziert.

„Es sind alles Live-Aufnahmen. Wir haben uns im März in einem Gutshof in Schleswig-Holstein eingeschlossen und quasi das ganze Haus mikrofoniert. Aber schon beim Schreiben dieser Lieder ist bei mir irgendwann der Groschen gefallen, und ich habe mich gefragt: Was ist die Musik, die mich berührt, bewegt, zum Tanzen bringt und irgendwie wütend macht? Wir wollten also die Musik machen, die uns selber gefällt.“ sagt Paul. Das hört man „Was wenn nicht“ und den übrigen zehn Songs an. Und die Musik, die ihnen gefällt und die sie selbst sehr passend als Referenz heranziehen, wäre: Fontaines D.C., das letzte Strokes-Album, The Yeah Yeah Yeahs, der frühe Punk der 70er – eher die New York-Fraktion. Was dabei auffällt? Klar, keine deutschen Referenzen. „Wir verstehen natürlich, dass die wieder von der Presse kommen werden, aber unsere Vorbilder waren eigentlich nie deutsch.“

Und damit sind wir bei „Wann wenn nicht“, das gerade jetzt viele Menschen abholen dürfte. Mit seiner Stimmung zwischen Wut und Aufbruch, mit der bissigen Resignation der ersten Zeilen: „Ich schau mich um und sehe eine Welt / In der nichts stimmt und mir nichts gefällt / Und ich denk: Es ist alles zu spät / Die Fakten liegen auf dem Tisch / Es ist fünf vor zwölf und es tut sich nix.“ Was trostlos klingt, wird musikalisch und lyrisch im Verlauf des Songs gedreht, um den Grimm in so eine Art positive Wut zu verwandeln. Paul erklärt es so: „Der Song fasst für mich das ganze Album zusammen. Wenn ich Nachrichten lese und mich irgendwie mit dem Zustand der Welt beschäftige, was man zuletzt ja noch intensiver getan hat, denk ich oft: ‚Mein Gott! Es wird immer alles schlimmer!‘ Aber wieso eigentlich? Wir sind doch diejenigen, die das in der Hand haben. Es ist ja kein Naturgesetz, dass alles irgendwie den Abgrund runtergeht, sondern wir sind ja diejenigen, die darüber entscheiden, wie das Leben ist.“

Dieser Spirit zeichnet das gesamte Album aus. Auch Tammo sagt: „Ich glaube, wir hatten noch nie so viel Spaß als Band bei Aufnahmen wie jetzt. Was auch daran liegt, dass wir in den letzten Jahren alle unsere eigenen Dinge gemacht haben und uns eigene Strukturen neben der Band aufgebaut haben.“ Das kann man wohl sagen: Tammo hat mit Henning Mues sein Label und Management Euphorie weiter ausgebaut und betreut Acts wie Leoniden, Ilgen-Nur, Ebow, The Screenshots, Fritzi Ernst und andere. Paul wiederum war produktiver Teil von Ilgen-Nurs Band, machte Theatermusik und spielte mit Carsten Meyer aka Erobique die DDR-Musikrevue „Wir treiben die Liebe auf die Weide“ auf. Drummer Maximilian Fenski arbeitet inzwischen als Arzt in einem Berliner Krankenhaus. Helge Hasselberg ist Teil des musikalischen Duos Heartbeast und hat in den letzten Jahren unter anderem Alben der Leoniden, Trixsi und Lafote produziert. Man kann also sagen, dass Teile von Trümmer in den letzten Jahren in anderen Rollen dafür gesorgt haben, die Euphorie zurück in die heimische Indie-Szene zu bringen. Schön, dass sie jetzt wieder als Band mitmischen.

Das Album "Früher war gestern" von Trümmer erscheint am 17. September 2021 via PIAS.

Tourdates:
22.11.2021 Köln, Baumann & Sohn
23.11.2021 München, Milla
24.11.2021 Nürnberg, Club Stereo
25.11.2021 Berlin, Berghain Kantine
26.11.2021 Leipzig, Ilses Erika
27.11.2021 Hamburg, Molotow Club




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