Drangsal - Exit strategy
Caroline / UniversalVÖ: 27.08.2021
Flucht ins Abenteuerland
Macht Euch frei! Also von Vorurteilen. Die New-Wave-Schublade ist Max Gruber alias Drangsal schnell zu eng und muffig geworden, und dass er eigentlich, wesentlich weiter gefasst, "Pop-Rock mit deutschen Texten" macht, hat er schon zu "Zores"-Zeiten stolz auf der Bühne verkündet. Radikal ist die Fortführung dessen mit "Exit strategy" nun keineswegs – der eifrige Nerd, der auf "Harieschaim" noch als verrückter Wissenschaftler passgenau die eher stahlkalten Achtziger reanimierte, hört zum zweiten Male eher auf seinen Bauch (und auch so manche Stelle weiter unten) als auf Unkenrufe von außen, die seine Kompetenz als Epigone bewiesen haben wollten. "Exit strategy" paart grell-hedonistischen Bubblegum-Rock mit einer textlich schon beinahe aufdringlichen Ich-Beschau im ganz bewusst immer weniger detaillierter werdenden NDW-Kostüm. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger!
Drangsal ist das, was passiert, würde Farin Urlaub die homoerotischen Anspielungen in seinen Texten ernst meinen. Und hätte sich seit 1984 musikalisch nicht weiterentwickelt, respektive nicht versucht, Schlager, Eurodance und andere zeitgenössische Auswüchse noch unter dem Deckmantel des Punk zu verbergen. Gruber indes bricht lyrisches Plastik à la "Uuuh, baby", stampfende Schunkel-Beats aus der ZDF-Hitparade und die Glitter-Dusche nicht ironisch, sondern suhlt sich im schlechten Geschmack. Dazu sieht er mittlerweile aus wie Liz Taylor aus "American Horror Story: Hotel", räkelt sich lasziv in hochhackigen Stiefeln und reckt seine Achselhaare kokett in die Kamera. Haben wir damit endlich die queere Ikone, die Deutschland so dringend braucht? Gewiss. Zementiert Drangsal seinen Stellenwert als musikalisches Mastermind mit dem im Volksmund so "wegweisenden" dritten Album? Bedingt.
"So wurde aus dem Bub ein Biest": Raus aus der Pfalz, rein in die Identitätsfindung, die Gruber zum Dreh- und Angelpunkt seines Drittwerks macht. Dass diese damals mit dem Achtziger-Baukasten im heimischen Kinderzimmer begonnen hat, hört man weiterhin an allen abgeschliffenen Ecken und Enden. Freilich fand sich auch Obskureres und (noch) Massentauglicheres als The Smiths oder Depeche Mode darin: Saxofon-Soli sind auf "Exit strategy" ernstgemeint, Konservenstreicher definitiv cool, und maximal die überdosierten Chöre bieten etwas zu viel des Guten. Aber Subtilität ist ohnehin nicht des Pudels Kern: Klar ist ein Text wie in "Mädchen sind die schönsten Jungs" plakativ bis zum Exzess, allerdings auch unmissverständlich, und Zeilen wie "Aus Geschlechter mach Gebesser" oder "Mach Dich frei von X and Y" sind schlichtweg herrlich. Konservativismus, Ausgrenzung, alles Anzuprangernde der Mehrheitsgesellschaft eben bekommt eine Abreibung serviert. Auf der bisher massentauglichsten Platte des Schlingels.
"Liedrian" findet sich irgendwo zwischen "Manchmal haben Frauen..." und (mal wieder) "Bitte, bitte" wieder; im befremdlichen "Schnuckel" creept Drangsal als Super-Fan um eine angebetete Influencerin herum, und das nicht wegen ihres Intellekts – hier ist er wieder ganz Edgelord und hat Spaß dabei. Füllware wie "Benzoe" andererseits, die an die gruseligsten Stellen von Wizo (!) denken lässt, hätte Gruber sich verkneifen können. Die gemopste Harmonie von Alica Keys' "No one" in "Schnuckel" vielleicht auch. Aber ein so bunter Blumenstrauß wie "Exit strategy" hat nun mal seine welken Stellen. Schrullige, umwerfende Pop-Songs wie der Titeltrack, in dem die sonst so schmierigen Chöre und die Loveparade-Synthies sitzen wie maßgeschneidert, machen diese wett. Oder der Abschluss des Albums, wenn in "Karussell" nach balladesken Akustik-Spielereien wieder der Rave abgeht.
Diesen konsequenten Mut zur Übertreibung findet man auf "Exit strategy" nicht durchgängig, und in Sachen Songwriting bot "Zores" auf lange Sicht die ausgeklügelteren Songs. So bleibt also schlussendlich doch das leise Gefühl, Gruber schöpfe seine Möglichkeiten nicht gänzlich aus. Fehlt seiner Bauchplatte vielleicht ein bisschen das Köpfchen? Drangsal selbst dürfte das herzlich egal sein. "Alle ham's geschafft außer mir", sang der große Klaus Lage einst. Ist es bei dem gebürtigen Landei und "Herxheim's finest" Drangsal nicht vielleicht sogar andersherum? Man darf darauf hoffen, dass dem sich noch in Grenzen haltenden Narzissmus des Musikers weiterhin hochwertige Musik als Grundlage dienen möge und er nicht irgendwann abbaut. Denn sympathisch isser noch, der Max. Er darf nur nicht zu Billy Corgan werden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Exit strategy
- Ich bin nicht so schön wie Du
- Karussell
Tracklist
- Escape fantasy
- Exit strategy
- Mädchen sind die schönsten Jungs
- Rot
- Liedrian
- Ich bin nicht so schön wie Du
- Urlaub von mir
- Schnuckel
- Benzoe
- Ein Lied geht nie kaputt
- Karussell
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Pole
2021-09-15 08:34:48
Mir ist immer noch nicht klar, was ich von dem Album halten soll. Auf eine Weise mag ich den schwülstigen Stil, aber andererseits würde ich ihn mir auch etwas dreckiger wünschen.
Ich glaube ich finde die Person weit interessanter als die Musik.
Und leider ist "Mädchen sind die schönsten Jungs" ein viel zu plakativer Aufgriff eines Modethemas.
Würde mich zudem nicht wundern, wenn Drangsal bald verkündet, er wäre gerne eine Frau / ist eine o. ä.
Blanket_Skies
2021-09-06 13:11:25
Ich finde ihn losgelöst von der Musik der letzten beiden Alben ziemlich sympathisch und clever. Und hoffe auf Alben in der Zukunft, die mir wieder mehr gefallen - das muss dann auch nicht zwangsläufig wie die großartige Harischaim klingen. Und wenn das nicht kommt, dann die Chance auf instrumentale Versionen seines neuen Outputs.
Armin
2021-09-06 11:13:41- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Ralph mit F
2021-09-06 10:07:27
:D
Und doch scheint sein Ego schon in ähnlichen Sphären unterwegs zu sein... :P
Blanket_Skies
2021-09-06 10:00:39
Das mit Billy Corgan war jetzt unnötig! :D
So viele gute Songs muss Max erstmal schreiben.
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