Haftbefehl - Das schwarze Album
Urban / UniversalVÖ: 30.04.2021
Eine eigene Liga
Tumber Gangsta-Rap oder hohe Kunst? Kompletter Quatsch oder ganz großes Kino? Sexismus oder bewusste Überspitzung? Haftbefehl ist nicht mal ein Jahr nach "Das weisse Album" zurück im Block und kann sich genüsslich zurücklehnen und dabei zuschauen, wie der Diskurs über sein neues Werk, "Das schwarze Album", Fahrt aufnimmt. Wer dabei – in welcher Form auch immer – mit den neuen Songs umgeht, bemerkt wieder einmal: Es ist alles eine Frage der Perspektive. Kurzversion für die, denen sich Haftbefehl mit der Zeile "Hater haten, denn ich lebe Leben" in "Lebe Leben" widmet: Wer das alles verdammen mag, wer damit einfach gar nichts zu tun haben möchte: bitte. Das steht jedem frei. Die Texte enthalten einiges, was man den eigenen Kindern um Himmels Willen nicht vorspielen würde. Kraftausdrücke, Hässlichkeiten, allerlei derbe Dinge, aber eben auch: reales Leben, das nur beileibe nicht jeder in dieser Form je kennengelernt hat. Haftbefehl halt. Daher: Gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen.
Wer aber bereit ist, sich auf Aykut Anhan alias Haftbefehl einzulassen, der wird wieder einmal etwas ganz Besonderes erleben. Der Musiker, Vater, Vielverdiener, Aufsteiger und Feuilletonliebling präsentiert 13 Songs, die immer wieder tief in den Magen eindringen, sich im Kopf festsetzen und dabei Staunen, Verzweiflung und Verständnis auslösen und vor allem dank der Produktion durch Soundtüftler Bazzazian im Gehörgang stecken bleiben. Was für eine Wucht! Was für eine Präzision! Inhaltlich zeigt gleich zum Auftakt "Kaputte Aufzüge", in welche Richtung es geht. Haftbefehl ist zurück an dem Ort, an dem für ihn alles begann. Offenbach, seine Lieblingsstadt, die er mit fast verliebtem Blick dem "titel thesen temperamente"-Team in einem sehenswerten Feature präsentierte. Wo der Aufzug nicht nur technisch im Eimer ist, sondern der Aufstieg den meisten per se verwehrt bleibt.
In "Offen / Geschlossen" erlebt das Album seinen Höhepunkt, freilich ohne danach merklich an Qualität zu verlieren. Hervorzuheben ist: Die Zusammenarbeit mit Bazzazian zahlt sich hier endgültig voll aus. Ein atmosphärischer Song, beklemmende Zeilen, Klangteppich trifft auf Beatkunst. "Ich bin ciao im Brain drauf seitdem ich 13 bin", rappt Haftbefehl und verweist auf Schlüsselmomente, in denen vieles Üble in seinem Leben seinen Ursprung hat. Selbstmord des Vaters, Jugendarrest, Drogen. Und: Ängste, Depressionen, in lyrischen Stein gemeißelt: "Es wird Zeit, um einfach aus dem Haus zu geh'n, einfach rauszugeh'n" – wenn das denn immer so einfach wäre. Gäste dürfen auf dem schwarzen Album natürlich auch nicht fehlen, so geben sich beispielsweise Capo, Veysel und Ezhel in "4 Kanaken" die Ehre, während im Folgenden "24/7" Farid Bang mitmischt. Kurz vor Schluss und nach einem Auftritt von Haiyti gönnt der Babo noch Schmyt und Bausa ihren Raum, bevor in "EMSF" ein fast stiller Moment den Schlussakkord bildet. Danach: durchatmen und wieder von vorne.
Haftbefehl ist längst in seiner eigenen Liga unterwegs. Vergleiche? Lächerlich. Mit "Russisch Roulette" tauchte er auf der ganz großen Bühne auf, wie eine Urgewalt, die allzu lange nur mühsam zurückgehalten werden konnte. "Das weisse Album" verfeinerte seinen Stil, "Das schwarze Album" bringt es zur Meisterschaft. Dass sich darüber auch weiterhin so vortrefflich streiten lässt, macht die ganze Angelegenheit nur umso intensiver. Und ganz gewiss nicht langweilig.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Kaputte Aufzüge
- Offen / Geschlossen
- EMSF
Tracklist
- Kaputte Aufzüge
- Wieder am Block (mit Soufian)
- Kokaretten
- Crackküche
- Offen / Geschlossen
- 4 Kanaken (mit Capo, Veysel und Ezhel)
- 24/7 (mit Farid Bang)
- Du weißt dass es Haft ist
- Lebe Leben
- Ruff (mit Luciano)
- Cripwalk aufm Kopf (mit Milonair und Haiyti)
- Leuchtreklame (mit Schmyt und Bausa)
- EMSF
Im Forum kommentieren
AliBlaBla
2022-11-24 12:29:05
Was ist eigentlich aus mr.birdy geworden?
Na, vielleicht zeigt er ja seine Fratze wieder anlässlich des "100 dtsprech Alben für die Ewigkeit" ;)
Obwohl....vermisst habe ich ihn jetzt nicht...
maxlivno
2022-11-24 11:37:00
Kaputte Aufzüge 10
Wieder am Block 8.5
Kokaretten 7.5
Crackküche 8.5
Offen/Geschlossen 9
4 Kanaken 7.5
24/7 7
Du weißt dass es Haft ist 7.5
Lebe Leben 8.5
Ruff 6
Cripwalk aufm Kopf 9
Leuchtreklame 8
EMSF 8
Leicht über DWA, aber eigentlich geben sich die beiden nicht viel. Wenn man ein 50/50 split mit den besten DWA und DSA Songs macht und zu einem Album zusammensetzt hätten wir ein zweites Russisch Roulette. Kaputte Aufzüge ist ein Top 3 Haftbefehl-Song. 8/10
8hor0
2021-05-11 16:10:07
nope, allein die stimme ist zum fremdschämen... 1/10
boneless
2021-05-10 22:29:56
Kurze Frage: Kann wer erklären, warum der gerade auf last.fm nicht stattfindet? Keine Bilder, keine shouts, keine Alben...
boneless
2021-05-10 22:18:34
nörtz trollt doch nur, wie in jedem Thread. Einfach ignorieren.
Ich hab die Diskussion in diesem Thread mit höchstem Interesse verfolgt und würde behaupten: eine der besten der letzten Wochen/Monate. Dabei ging es nie unter die Gürtellinie, obwohl das Thema ja ziemlich brisant ist. Mehr davon.
Ich möchte mich dazu nur kurz äußern und zu Protokoll geben, dass ich im Zweifelsfall auch im Team "Kunst vom Künstler trennen" bin, es sei denn, problematische Ansichten - egal welcher Farbe - finden ihren Weg in die Lyrics oder ins Artwork.
Was dieser Thread allerdings geschafft hat, und damit komme ich aufs eigentliche Thema: ich habe mir das schwarze Album angehört und ich glaube selbst nicht, dass ich das gerade schreibe, aber hey, die Platte ist ziemlich gut.
Wie bereits angemerkt, haut die großartige Produktion alles raus, die Beats sind klasse, die Songs abwechslungsreich und selbst das Autotune passt sehr gut in den comichaften Charakter des Albums, sorgt aber selbstredend für den ein oder anderen Lacher. Weitere Aspekte auf der Habeseite: die kompakte Spielzeit (die Hälfte der Songs geht in unter 3 Minuten ins Ziel) und der Fakt, dass Haftbefehl anscheinend eine eher ruhigere Kugel schiebt, denn dieser Aggrorap, der die Vorgänger, oder zumindest die Songs, die ich davon kenne, bestimmt und mir nach nur wenigen Minuten extrem auf die Eier geht, schimmert hier nur in wenigen Tracks durch, der Rest ist fast schon herrlich poppig und sorgt für ein klasse abwechslungsreiches, angenehmes Album.
Ich für meinen Teil sehe hier allerdings kein Album über das "reale Leben", sondern Haftbefehl klingt für mich eher ala Viktor Vaughn von MF Doom, Kategorie: fiktiver Bösewicht. Ich schrieb ja schon was von comichaftem Charakter und der zieht sich durchs gesamte Album, welches gerade dadurch glänzend unterhält. Ich glaube, ich habe mich lange nicht mehr so über einen Refrain amüsiert wie über jenen von 4 Kanaken. Klasse Song auch.
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