Dinosaur Jr. - Sweep it into space

Jagjaguwar / Cargo
VÖ: 23.04.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Dinosaur Sr.

Mein Lieblingskneipenwirt sieht J Mascis erstaunlich ähnlich: die langen weißen Haare, die runden Brillengläser, dazu der stets leicht mürrische Gesichtsausdruck, hinter dem sich genuschelte Anekdoten aus der Rockgeschichte und eine erst nach und nach offengelegte, raue Herzlichkeit verbergen. Beide machen außerdem den Eindruck, im Laufe der Jahre eine beinahe stoische Gemütsruhe errungen zu haben, aus der sie die Wechselfälle der Gegenwart betrachten. Musikalisch bringt ja J Mascis ohnehin nicht mehr viel aus der Fassung. Seit dem doch einigermaßen unverhofften Comeback der Originalbesetzung um Lou Barlow und Murph vor inzwischen 14 Jahren schrauben Dinosaur Jr. mit kontinuierlicher Qualität und in kleinen Schritten an ihrem Sound weiter. Die Feedback-Explosionen und wirbelnden Gitarren ihrer kanonischen Platten aus den 80ern – "You're living all over me" sollte sowieso jede Gitarristin einmal gehört haben – glänzen darin wieder auf, doch wirken sie seither mit jedem weiteren Album etwas aufgeräumter und lakonischer.

Diesen Weg setzt auch "Sweep it into space" fort, das die Markenzeichen des Trios natürlich nicht aufgibt, die einstige Wildheit aber in eine zunehmend abgeklärte Melancholie übersetzt. Schon die erste Single "I ran away" geht im Kontext der Dinosaurier als zuckersüßer Indie-Pop durch, in dem sich Kurt Viles akustischer Zwölfsaiter zur Feier des Gastauftritts ein spielerisches Duell mit Mascis' Jazzmaster liefert. Auch sonst brutzeln die Gitarrenwände nicht mehr so massiv, die Songs klingen so kompakt und eingängig wie nie zuvor in der Phase nach der Reunion. Die euphorischen Einstiegsakkorde des Openers und Mascis' begrüßende Erkenntnis – "I ain't good alone" – scheinen gar eine Abkehr vom chronischen Eigenbrötlertum zu markieren, doch keine Sorge: Seine Soli kommen knackiger und konziser daher, könnten aneinandergereiht aber immer noch eine Brücke bis zum Mond bauen. Die emotive Kraft der herrlich floskelnden Nicht-Lyrics leuchtet wie eh und je. Zwar dudelt sich "Hide another round" versehentlich zu weit in die Belanglosigkeit, dafür zelebrieren Songs wie "I expect it always" dank Barlows dynamischem Rückgrat – er spielt seinen Bass selbstredend immer noch wie eine Rhythmusgitarre – und "Walking to you" allerfeinsten Band-Standard inklusive virtuos klagender und heulender Eskapaden an der Leadgitarre. Hauptsächlich ist "Sweep it into space" aber von einer sommerlichen Leichtigkeit geprägt, die im überraschenden "Take it back" kulminiert. Karibisch angehauchte Blue-Beat-Rhythmen in den Strophen ringen dem alten Grantler Mascis ein hörbares Lächeln und tänzelnde Licks ab, während Murph fröhliche Fill-Ins dazu trommelt und sich inmitten der ungemähten Frühlingswiese ein Klavier versteckt.

Barlows obligatorische Beiträge dürfen natürlich auch diesmal nicht fehlen, doch stellen seine beiden Kompositionen wieder einmal weit mehr dar als schnöde Pflichterfüllung. Gerade die Refrains der zweiten Single "Garden" entpuppen sich als wunderschön-nachdenkliche Hymnen und setzen sich als heimliches Highlight der Platte unaufdringlich im Ohr fest. "You wonder" entlässt schließlich mit subtilem Power-Pop, dessen Gesangsmelodien stellenweise ein klein wenig an Elliott Smith gemahnen. "The dark corner of our yesterday / Let me get it right", wünscht sich Barlow programmatisch. Denn "Sweep it into space" präsentiert eine Band, die mit sich im Reinen zu sein scheint und sehr viel Freude an ihrer Selbstsicherheit hat, ohne all ihre Potentiale aufs Neue entfesseln zu müssen. Ist das schon Altersmilde? Mein Lieblingswirt untermalt seine Kneipe jedenfalls am liebsten mit Rock-Klassikern aus längst vergangenen Dekaden. Vielleicht passen Dinosaur Jr. mittlerweile gar nicht so schlecht dazu. Fast vierzig Jahre nach der Bandgründung sei ihnen diese Nostalgie auf hohem Niveau doch wohl erlaubt.

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Garden
  • I expect it always
  • Walking to you

Tracklist

  1. I ain't
  2. I met the Stones
  3. To be waiting
  4. I ran away
  5. Garden
  6. Hide another round
  7. And me
  8. I expect it always
  9. Take it back
  10. N say
  11. Walking to you
  12. You wonder
Gesamtspielzeit: 44:54 min

Im Forum kommentieren

Telecaster

2024-02-01 16:51:15

Es ist nicht so, dass ich das Album überhaupt nicht mag. Ich nehme nur leider keinerlei Höhepunkte auf der Platte wahr.

fuzzmyass

2024-02-01 12:36:57

Farm ist auch für mich ihr bestes Album. Ich kann allerdings irgendwie nicht nachvollziehen, wie man als Dino Fan nichts mit Sweep it into space anfangen kann...

Telecaster

2024-02-01 12:27:54

"Farm" thront bei mir auf der Nummer 1.
Ungewöhnlich einerseits, weil es ihr längstes Album ist, zum anderen weil es nicht aus der ersten Phase der Band ist.
Aber ich mag es einfach am meisten von allen.

noise

2024-01-31 23:31:18

Bislang konnte mich diese Scheibe auch nicht begeistern. Ist die einzige mit Originalbesetzung die mir fehlt. Werde es demnächst noch mal mit der "Sweep..." versuchen. Vielleicht klappt das mit uns beide doch noch.

fuzzmyass

2024-01-31 17:11:57

Mag auch alle Alben, höre mich immer wieder mal durch die komplette Diskographie

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