Arlo Parks - Collapsed in sunbeams
Transgressive / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 29.01.2021
Mit Ansage
Erwachsenwerden ist irgendwie alles. Laut und bunt und grau und leise. Freundschaft, Liebe und auch Frust und Einsamkeit. Mal Euphorie, mal Depression. Es mag manchmal erdrückend sein, wenn man auf der Suche nach dem ist, was einen ausmacht, dieses alles. Ständig verwirrt, ohne genau zu wissen, in welche Richtung man gerade stolpert. Man erlebt Dinge, die einen prägen und Dinge, die man vergessen will und hübscht die Vergangenheit dann ein wenig auf, wenn man von ihr erzählt. Irgendwann verdrängt man dann vielleicht sogar wirklich Erlebnisse, einige gute und vor allem die schlechten. Schreibt man das Ganze auf, in einem Tagebuch zum Beispiel, so wie Anaïs Oluwatoyin Estelle Marinho alias Arlo Parks es getan hat, dann vergisst man das sicher nicht. Und das ist manchmal auch gut so. Sie schrieb in ihr Tagebuch, dass sie sich für eine Schwarze gehalten habe, die nicht tanzen könne, dass sie zu viel Emo-Musik höre und schließlich dann, dass sie erkannt habe, bisexuell zu sein und verknallt sei in Mädchen aus ihrem Spanischkurs.
Die in London lebende 20-Jährige mit nigerianischen, französischen und tschadischen Wurzeln ist wohl noch mittendrin im Prozess des Erwachsenwerdens. Das hindert sie keineswegs daran, das Erlebte der letzten Jahre zu Kunst zu machen und mit ihrem Debüt "Collapsed in sunbeams" in zwölf außergewöhnlich intimen Stücken mitzuteilen, was sie erlebt und geprägt hat. Sie hat ein bemerkenswertes Talent, zu erzählen, als sei man Teil der Szenerie, als sei man mit im Raum, aus dem sie schildert, wie Enttäuschung wirkt, wie ihr Herz bricht, wie grausam und verletzend und wie schön das Leben sein kann, wenn man akzeptiert, wer man ist. Der Opener des gleichnamigen Albums ist ein Gedicht, unterlegt von einer gezupften Gitarre und milden Synthies, in dem es genau um das geht. Das Genießen des Lebens, wenn man klarkommt mit sich und den Macken, die ein jeder in irgendeiner Form hat. In "Hurt" geht es um ihren Freund Charlie, der trinkt und nicht loslassen kann, nach einem Verlust. "I know you can't let go of anything at the moment / Just know it would hurt so, won't hurt so much forever." So brennt sich das erste Mal ein Satz von diesem Album ins Hirn. In "Too good" ist sie verliebt in eine Person, die Nähe und Gefühle nicht sonderlich gut zulassen kann. "Why do we make the simplest things so hard?", fragt sie sich. Mit dem Track "Hope" singt sie ihrer Freundin Millie zu, dass sie nicht allein ist und spricht ihr mit den Zeilen "You're not alone / Like you think you are / We all have scars" Mut zu.
In "Black dog" verzweifelt sie zwischen Gitarren-Loops an der Depression einer Freundin. Sie fühlt sich machtlos und erklärt die Depression für grausam und beängstigend, sorgt sich gar um ihr Leben "Sometimes it seems like you won't survive this / And honestly it's terrifying." Sie bekommt ihre Freundin inmitten ihrer sozialen Isolation zu gar nichts, obwohl sie alles dafür tun würde. "I'd take a jump off the fire escape / To make the black dog go away", singt sie. "Some of these folks wanna make you cry / But you gotta trust how you feel inside and shine", ist die Botschaft des Songs "Green eyes", in dem ihre Freundin ihre Sexualität versteckt und sich nicht traut, in der Öffentlichkeit zu zeigen, wie sie fühlt. In "Eugene" verliebt sie sich in ihren besten Freund, welcher sich zu einem anderem Jungen hingezogen fühlt. "Seeing you with him burns", beschreibt sie ihren Schmerz darüber.
Arlo Parks verpackt ihre Geschichten in einen warmen, von Jazz- und R'n'B-Elementen beeinflussten Wohlfühl-Soul, der manchmal gar nichts von Problemen ahnen lässt. Ihre weiche Stimme, sucht sich zwischen Schlagzeug, Gitarren und Bass. immer mal wieder auch unterstützt von Bläsern, entspannten Synthies und Gesang in der Zweitstimme, einen Weg, um all die Empathie, vor der dieses Album fast überquillt, an den Hörer zu übermitteln. Und das gelingt in jedem der zwölf Stücke. Sie öffnet uns Herz, Frontal- und Temporallappen, schüttet Herz und Gedächtnis aus, um zu zeigen, wer sie ist, wie sie fühlt und gefühlt hat, in all der Unsicherheit, die sie auf der Suche nach sich selbst schließlich überwunden hat. Es hat sich bei den bereits erschienenen Vorab-Singles angedeutet. Arlo Parks setzt mit diesem wichtigen Album ein Statement. Sie wird zum Vorbild in der Queer-Bewegung mit Worten, die jeder versteht und mit ihrer sagenhaft empathischen Art. Dieses Album ist emanzipiert, divers und bedingungslos ehrlich, es ist bewegend und voller Hoffnung. Dieses Arlo Parks' Musik wird etlichen jungen Menschen Mut machen auf der Suche nach sich selbst.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Hurt
- Black dog
- Eugene
Tracklist
- Collapsed in sunbeams
- Hurt
- Too good
- Hope
- Caroline
- Black dog
- Green eyes
- Just go
- For Violet
- Eugene
- Bluish
- Portra 400
Im Forum kommentieren
VelvetCell
2021-10-29 08:58:24
Sehe ich anders. Kege ich immer noch regelmäßig auf: Saustarke Songs! Dafür muss das stilistisch auch nichts Besonderes sein, um vollkommen zu überzeugen.
Gomes21
2021-10-29 08:11:05
Mochte sie anfangs sehr gerne, ist aber überhaupt nicht hängen geblieben
Enrico Palazzo
2021-10-29 06:45:18
Geht mir ähnlich. Nett, leider nicht mehr. 6/10
saihttam
2021-10-29 01:36:15
Sehr gefällige Platte, wie die meisten auch schon geschrieben haben. Aber für mich wirklich auch nichts besonderes. 7/10 maximal. Ich werde es die nächsten Wochen trotzdem mal öfters hören, um zu entscheiden, ob ich auf ihr Konzert im November in Frankfurt gehe.
Mich erinnert der Sound ja auch sehr an Lianne La Havas.
Gomes21
2021-02-10 13:01:00
Starkes Album, bin auch wirklich angetan. Hoffe es hält sich auch länger.
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