Goat Girl - On all fours

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 29.01.2021
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Chaos mit Kontur

Bei Goat Girl regiert das Chaos. Vier Frauen Anfang 20 aus dem Untergrund Südlondons, die mit ihrem verqueren Post-Punk einen kleinen Hype erfuhren – so die groben Eckdaten. Dahinter stecken politisch-bissige Texte, verrückte Visuals und ein Geist namens Vera, der laut eigener Aussage den Wohnsitz von Sängerin Clottie Cream und Drummerin Rosy Bones heimsucht. Goat Girls selbstbetiteltes Debüt stopfte 19 Songs in 40 Minuten, klang mal nach Warpaint, mal nach PJ Harvey und mal wie etwas, das der Cowboy aus "Mulholland Drive" in seiner Freizeit hören würde. Der Nachfolger "On all fours" addiert nun noch Talking Heads, LCD Soundsystem und Stereolab, behält aber freilich sein Grundlevel an Beklopptheit bei. In den surrealen Videos steht ein Oktopusmann zum Duell bereit ("Sad cowboy") oder prozessiert die Band in arty Tierkostümen am Strand entlang ("The crack"). Ihren speziellen Humor beweisen Goat Girl mit einem Songtitel wie "P.T.S. tea" oder der Klimax des sonnigen "Once again", wenn dramatische Streicher gegen Synthie-Klänge ankämpfen, die wie ein von einem Frettchen verschlucktes Theremin anmuten. Alles so zerschossen und skizzenhaft wie gehabt also? Nicht ganz.

Denn "On all fours" klingt aufgeräumter, abgerundeter als sein Vorgänger, was bereits die üppigeren Songlängen suggerieren. Neu-Bassistin Holly Hole erhält beim Fundamentklopfen Unterstützung von einem funkigen, an Kuhglocken nicht armen Percussion-Kabinett und elektronischen Untertönen. Über diese hochrhythmischen Gerüste schlingt Cream ihre desinteressiert vorgetragenen Melodien, während die Gitarren kratzen und Produzent Dan Carey jedes Luftloch verschließt. Obwohl auf dem Album stets Hochbetrieb herrscht, verlieren sich die Stücke nicht in den aufwändigen Arrangements. Man höre etwa, wie organisch "The crack" erdig-schwere Riffs mit psychedelischen Saxofon-Kometen verbindet. Auch der staubige Weltraumgalopp "Sad cowboy" pumpt komplett schlüssig vorwärts bis zu einem kleinen Schluss-Rave zwischen pulsierender Großstadt und Western-Ödnis. Mit "Bang" schütteln Goat Girl gar einen mehrstimmig schwelgenden Soul-Pop-Song aus dem Ärmel und nicht einmal der Fast-Instrumental-Jam "Jazz (in the supermarket)" schießt völlig ins Ziellose. Es macht einen Heidenspaß, wie das Quartett auf der Rasierklinge des Wahnsinns balanciert, ohne je die Fassung zu verlieren.

Die klareren Konturen haben die vier Frauen allerdings nicht zu Menschenfreundinnen gemacht. "I have no shame, when I say, 'Step the fuck away'", heißt es etwa im vielsagend betitelten Opener "Pest", während "They bite on you" kapitalistischer Ausbeutung mit Ungeziefer-Metaphern beikommt. Doch der festere Halt eröffnet Cream auch den Raum für persönlichere Geschichten, zum Beispiel über den Umgang mit ihrer Depression im zarten "Anxiety feels": "I don't wanna be on those pills." Goat Girl sind trotz ihrer Schrullen eben keine distanzierten Kunstfiguren, sondern durchaus sympathische Menschen. Da verzeiht man ihnen gerne die eine oder andere Überlänge oder kleine Schwäche im Songwriting, das nicht immer mit der Qualität der hochwertigen Grooves mithalten kann. Seine Faszination bezieht "On all fours" neben der "Scheiß auf alles"-Attitüde ohnehin aus seiner hypnotischen Sogkraft, die vor allem den in einer endlosen Bläser-Brandung kulminierenden Closer "A-Men" auszeichnet. Und wenn das frühe Highlight "Badibaba" im wahrlich beunruhigenden Noise-Spuk endet, kommt auch ein nicht minder einnehmender paranormaler Vibe dazu. Vera gefällt das. Und uns natürlich auch.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Badibaba
  • Sad cowboy
  • Bang
  • A-Men

Tracklist

  1. Pest
  2. Badibaba
  3. Jazz (in the supermarket)
  4. Once again
  5. P.T.S. tea
  6. Sad cowboy
  7. The crack
  8. Closing in
  9. Anxiety feels
  10. They bite on you
  11. Bang
  12. Where do we go from here?
  13. A-Men
Gesamtspielzeit: 54:43 min

Im Forum kommentieren

AliBlaBla

2022-05-03 08:15:23

Wird heute aufgelegt, war in meiner Jahres Top Ten, und die Scheibe, die ich wohl am Besten in meinem Bekanntenkreis streuen konnte (musste man nich kennen, wahr aber hinreichend alleingestellt vom Sound etc etc), ist schon sehr dings, ..sehr special.

nörtz

2022-05-02 23:52:57

Besser ist das!

fuzzmyass

2022-05-02 23:20:29

Muss ich auch mal wieder auflegen

nörtz

2022-05-02 23:17:38

Pest 8
Badibaba 9
Jazz (in the supermarket) 8
Once again 8
P.T.S. tea 9
Sad cowboy 10
The crack 8
Closing in 8
Anxiety feels 9
They bite on you 7
Bang 9
Where do we go from here? 10
A-Men 7

nörtz

2022-05-02 17:46:02

Ja, ein super Album. 8,5/10

Die muss ich mir noch mal live ansehen.

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