Still Corners - The last exit
Wrecking Light / CargoVÖ: 22.01.2021
Wüste Träume
Dreampop? Ist im Grunde genommen schon seit Mazzy Star auserzählt. Die vielleicht schönste je auf Tonträger gebannte Stimme, gehaucht über Kompositionen, die exakt den Sweet Spot zwischen Wohlklang und einer subtilen Abgründigkeit treffen – was braucht es mehr? Man sollte allerdings nicht übertreiben, sicher warf auch das Dreampop-Revival der letzten zehn bis 15 Jahre Bands wie Beach House ab, die vom Schatten der Vergangenheit gelöst ihre eigene Grandeur entwickelten. Ob Still Corners in diese Kategorie fallen oder bloß zu den zwar guten, aber auch etwas generischen Vertreter*innen ihres Genres gehören, blieb lange im Zweifelhaften – doch mit dem fünften Album "The last exit" haben sie ihren in Americana und Psychedelia getauchten Sound perfektioniert. Das britisch-amerikanische Duo schafft einen astreinen Spagat zwischen Wüstenstaub und kristallklarem Glitzer, zwischen der rastlosen Bewegung auf dem Highway und faulenzerischen Tagträumereien in der Mittagssonne. Tessa Murray und Greg Hughes konservieren den Geist von Hope Sandoval und David Roback, versehen ihn mit einer eigenen Note und schenken dem Jahr 2021 damit ein erstes, ganz frühes Highlight.
Es sind genau jene vermeintlichen Gegensätze, die Still Corners so faszinierend machen. Ihre Songs schweben auf der Stelle und treiben stetig vorwärts, als hätten sie sich Valium und Aufputschmittel gleichzeitig eingeschmissen. Verästelte Arrangements und strukturelle Brüche versuchen, die im Kern simplen Pop-Melodien zu entwurzeln, ohne dass es je erzwungen wirkt. Von einer grobkörnigen Akustischen befeuert, galoppiert der eröffnende Titeltrack durch die Prärie, bis ihn Slide-Gitarren und funkelnde Piano-Akzente in den Himmel hieven. "I'm almost home", singt Murray, und man erfährt nach diesen wunderschönen fünf Minuten auch am anderen Ende der Leitung eine Art spirituelle Heimkehr. "Crying" erzählt von der Unmöglichkeit des Loslassens und verbindet sehnsuchtsvolle Synthies mit geisterhaftem Pfeifen. Der Wandertrieb findet seinen Höhepunkt im unheimlich intensiven Sternenritt "White sands", der die Luft so elektrisch auflädt, dass er am Ende tatsächlich mit Donnergrollen quittiert wird. Die Ruhepause in Form des Instrumentals "Till we meet again" kommt genau zur richtigen Zeit: Die geballte Hochklasse des Eingangsdreiers von "The last exit" muss erstmal absacken.
So, wie etwa Chromatics die kühlen Neonlichter einer nächtlichen Großstadt evozieren können, malen Still Corners akustische Landschaftsbilder des Mittleren Westens. Die Geisterstadt, die das mysteriöse "Bad town" zu Beginn aus dem Boden hebt, erscheint geradezu plastisch. Doch weil auch meilenweit weg von sterilen Großraumclubs gerne getanzt wird, kommt die Band der rhythmischen Verantwortung ihres Pop-Anspruchs ebenfalls nach: Egal, ob "A kiss before dying" zum morbiden Engtanz im Friedhofsgarten einlädt oder der Surfrock-Fiebertraum von "It's voodoo" jede in den Sechziger-Jahren eigefrorene Truckerkneipe zum Überkochen bringt. Mit dem unbeschwerten "Mystery road", das auf einer eingängigen Gitarren-Hook baut, schält sich indes ein kleiner Hit aus der zweiten Albumhälfte – als wollten Murray und Hughes ihre endgültige Emanzipation von der Dreampop-Masse damit untermauern, dass sie auch abseits ihrer Country-Noir-Pfade brillieren. Doch hoch oben im Legendenhimmel hat ihnen ein gewisser Herr Roback sowieso schon längst zugeprostet. Natürlich ist die Geschichte des von ihm und Kollegin Sandoval mitgeprägten Genres noch lange nicht auserzählt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The last exit
- White sands
- Mystery road
- It's voodoo
Tracklist
- The last exit
- Crying
- White sands
- Till we meet again
- A kiss before dying
- Bad town
- Mystery road
- Static
- It's voodoo
- Shifting dunes
- Old arcade
Im Forum kommentieren
saihttam
2023-08-21 00:03:09
Ja, leider nichts vom Debüt. Aber war wie du schreibst ein schönes Konzert.
qwertz
2023-08-18 15:47:16
Waren beide auch mit die stärksten Songs beim Konzert. :) Dazu eine schöne Akustikversion von "Going back to strange". Von den anderen Alben überzeugten "Sad movies" und "Downtown". Tatsächlich wurde gar nix vom Debüt gespielt und auch, dass fast durchgehend 2-3 Instrumente aus der Konserve kamen, irritierte etwas. Trotzdem fand ich's insgesamt besser als erwaret und sogar stärker als vor ca. 5 Jahren. In ihrer Nische eine wundervolle Band.
nörtz
2023-08-15 13:19:59
"The Trip" und "Strange Pleasures" sind ihre beiden besten Songs - für mich. :D
qwertz
2023-08-15 10:10:53
@saittham: Vom Debüt spielen sie wahrscheinlich sehr wenig. Sie feiern ja gerade "Strange Pleasures"-Jubiliäum und touren zum ersten Mal "The Last Exit". Darauf wird eher der Fokus liegen, schätze ich. Möchte mich selbst aber nicht spoilern, was die Setlist angeht.
qwertz
2023-08-15 10:07:24
War vor ein paar Jahren mal zum Konzert und bin auch jetzt wieder dabei. Sicher kein Must-see, aber weit entfernt davon, sich nicht zu lohnen.
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