
Kid Cudi - Man on the moon III: The chosen
Republic / UniversalVÖ: 11.12.2020
People, I've been sad
Kid Cudi ist ein Phänomen. Im Fahrwasser von Kanye Wests "808s & heartbreak" trat Scott Mescudi 2009 auf den Plan, um der Rap-Welt der folgenden Dekade eine neue Dimension der Introspektion zu verleihen. Sein im Genre damals noch ungewohnt offener Umgang mit Depressionen und Ängsten ebnete nicht nur Mainstream-tauglichen Emo-Rappern wie Drake oder Travis Scott den Weg, er wurde selbst zur Bezugsfigur für Menschen mit mentalen Problemen und Krankheiten. Cudi rappte oder sang technisch nie sonderlich gut, doch der Klang und die Melodien seiner tiefen Stimme tragen in Kombination mit den Texten bis heute eine nahezu therapeutische Wirkung. Diesen Einfluss auf Fans wie Szene konnte der aus Cleveland stammende Musiker jedoch nie auf ein rundum gelungenes Solo-Meisterwerk bannen. Daran ändert auch "Man on the moon III: The chosen" nichts, das die elf Jahre zuvor begonnene Trilogie vermeintlich abschließt. Das mehr als ordentliche Album knüpft zwar an seine besten Taten an, hat aber – wie immer – mit Überlänge und den damit verbundenen Redundanzen zu kämpfen.
"Can't stop this war in me", singsangt Cudi über den vernebelten Orgeln von "Tequila shots", dem besten Song der Platte. Mr. Rager, sein Sucht und Hedonismus verfallenes Alter Ego, ist wieder da und soll in den vier Akten von "The chosen" niedergerungen werden. Im Run von "Another day" bis "Damaged" übernimmt der toxische Zwilling die Bühne, eingepackt von jener modernen Trap-Ästhetik, welcher der 36-Jährige selbst das Fundament baute. Das gelingt mal inspiriert ("Dive"), mal ungelenk überdramatisiert ("She knows this"), insgesamt generisch, aber solide. Erst die unheimliche Spieluhr-Melodie von "Heaven on Earth" deutet die Ambitionen an, die "Show out" gar in ein Novum überführt. Hier verdient sich Cudi seine Sporen im UK Drill und bastelt einen durchaus spaßigen Track zusammen – auch wenn er von Feature-Gast Skepta erbarmungslos an die Wand gerappt wird.
Doch sobald das grandiose "Solo dolo, pt. III" zum Nachtflug anhebt, ist der Mondmann wieder voll in seinem Element. Die zweite Albumhälfte liefert die bekannten Trademarks: kosmisch strahlende Krisendokumente, die vom HipHop weg in die Umlaufbahnen von Synth-Pop und Alternative-Rock gleiten und ungefiltert die eigene Verletzlichkeit preisgeben. "In the dead of the night, I have these dreams / What'll happen to me? Will I burn out?", zweifelt Cudi in "Sad people" und trifft damit voll in die Herzkammer. Das zarte, von Billie Eilishs Bruder Finneas O'Connell produzierte Liebeslied "Sept. 16" streichelt ebenso die Seele wie die elektronischen Arpeggios des Bangers "The pale moonlight". "The void" quetscht Cudi in die berüchtigte Nussschale – diesen sowohl inbrünstig als auch monoton geschmetterten Ohrwurm bringt er so aufrichtig rüber, dass er zu keiner Sekunde peinlich wirkt.
Makellos sind diese hinteren Parts von "The chosen" allerdings auch nicht. Mit "Rockstar knights" bekommt auch der letzte Akt seine egale Trap-Pop-Nummer und ob er das an "House of the rising sun" erinnernde Gitarren-Gekratze von "Elsie's baby boy (Flashback)" irritierend oder intim finden soll, weiß der Rezensent auch nach einer Handvoll Durchgängen noch nicht. Die perkussive Indie-Ballade "Lovin' me" ist gut, aber auch nicht das Über-Highlight, das man von einer Kollaboration mit einer der größten Songwriterinnen ihrer Generation erwartet hätte – zumal Phoebe Bridgers' entfremdete Stimme hier klingt, als wäre sie erkältet. Doch die Mission der Platte weist sowieso über sich selbst hinaus, wie "4 da kidz" auf den Punkt bringt: "Feelin' alone, just know you are not / We won't leave you alone." Solange Scott Mescudi seine inneren Dämonenkämpfe in sympathisch unperfekte Alben verpackt, solange wirft er für alle jene den Anker aus, die sich ähnlich verloren fühlen. Und wenn das am Ende von einer Kinderstimme gehauchte "To be continued" recht behält, hat die heilsame Geschichte des "Man on the moon" vielleicht doch noch nicht ihr Ende gefunden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tequila shots
- Solo dolo, pt. III
- Sept. 16
- The void
Tracklist
- Beautiful trip
- Tequila shots
- Another day
- She knows this
- Dive
- Damaged
- Heaven on Earth
- Show out (with Skepta & Pop Smoke)
- Solo dolo, pt. III
- Sad people
- Elsie's baby boy (Flashback)
- Sept. 16
- The void
- Lovin' me (feat. Phoebe Bridgers)
- The pale moonlight
- Rockstar knights (with Trippie Redd)
- 4 da kidz
- Lord I know
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MopedTobias (Marvin)
2021-01-05 21:25:27
Das ist wohl wirklich etwas verkürzend formuliert. Ich meinte das halt so, dass "808s" diesen Sound "salonfähig" gemacht und damit auch Cudis nachfolgende Alben gepusht hat – auch wenn Cudi selbst natürlich schon maßgeblich daran beteiligt war.
Ansonsten danke für das Lob :)
Affengitarre
2021-01-05 21:10:59
Kid Cudi ist ein Phänomen. Im Fahrwasser von Kanye Wests "808s & heartbreak" trat Scott Mescudi 2009 auf den Plan, um der Rap-Welt der folgenden Dekade eine neue Dimension der Introspektion zu verleihen
Ich weiß wohl, was du meinst, das klingt aber doch so, als wäre Cudi nur auf Kanyes Soundwelle mitgeschwommen. West hatte ja vor der Aufnahme des Albums Kid Cudis erstes Mixtape gehört und war sehr begeistert (worauf dieser Cudisound ja schon einigermaßen definiert wird) und Cudi hatte ja auch einige Songs auf "808 & Heartbreak" mitgeschrieben.
Sonst tolle Rezension, schön geschrieben. Mit der Bewertung gehe ich mit.
Armin
2021-01-05 20:31:54- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Kojiro
2020-12-15 19:39:50
Cudi ist ein Guter, aber mir sind die Alben ebenfalls zu lang. Auf 40 Minuten reduziert und 3-4 schwächere Songs entfernt, und man hätte ein richtig starkes Release. So ist´s mir auf Dauer zu lang. Tequila Shots ist großartig.
Aber wie gesagt: Das Ding mit Kanye ist sein Opus Magnum. Da hat alles gestimmt.
Kojiro
2020-12-13 18:38:46
Mal die Tage reinhören. Kids See Ghosts mit Kanye wird er aber nicht mehr toppen können...
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