The War On Drugs - Live Drugs
Super High Quality / CargoVÖ: 20.11.2020
Auf Entzug
Live-Erlebnisse sind immer auch eine Sache des Erwartungsmanagements. Hoffe ich auf DAS Konzertereignis meines Lebens, liegt die Latte ungleich höher, als wenn ich von Freunden auf den Gig einer Band mitgeschleppt werde, die mich kaum oder nur wenig interessiert. Und da das Höllenjahr 2020 sowieso seine ganz eigenen Regeln aufstellt, wird man künftig zufrieden sein, überhaupt wieder einem Live-Event beiwohnen zu dürfen. Da gibt sich so manch einer auch mit Sunrise Avenue zufrieden. Nicht wahr, Felix? Mit The War On Drugs musste man sich im Zuge ihrer letzten Tournee nicht zufrieden geben. Da kam die Begeisterung von ganz alleine. Die Erwartungshaltung war dabei gar nicht so hoch, schließlich war unklar, wie gut Adam Granduciel und Co. ihren nach Weite und Ferne klingenden Indie-Rock auf die Bühne bringen würden. Schaltet man bei den Zehn-Minuten-Schleichern nicht irgendwann automatisch ab und driftet in Gedanken davon? Verliert man da nicht allzu leicht den roten Faden?
Die Antwort musste letztlich lauten: nö. Der Sound war glasklar und perfekt abgemischt, die Bandmitglieder spielten sich in einen wohltemperierten Rausch und auch als Hörer ließ man sich nur zu gerne in diesen warmen, psychedelisch angehauchten Kokon wickeln. Konsequenterweise erscheint nun mit "Live Drugs" das erste Live-Album der Gruppe aus Philadelphia, Pennsylvania. Die Frage ist ja seit jeher eine grundsätzliche: Steht man auf Live-Platten oder empfindet man sie als obsolete Verdinglichung eines eigentlich nicht wirklich objektifizierbaren Erlebnisses. Im Jahr 2020 ist man hingegen froh über jede Form der Event-Imitation. Und seien es bloß die Stadionchöre aus der Konserve in der Bundesliga-Konferenz. The War On Drugs sind vom Stadion jedenfalls gar nicht mehr so weit entfernt. Ihr Konzert-Sound ist formvollendet, Songs wie das wunderbare Kleinod "Pain" perlen nur so aus den Boxen, Granduciel beherrscht auch die Rolle des Frontmanns, wenngleich er auf piefige Animationsansagen verzichtet. Seine Stimme steht im Zentrum des Songs, die großzügige Instrumentierung bildet eine bunte, reizvolle Collage, die zwischen Repetition und Akzentuierung oszilliert. "Strangest thing" bekommt in der Folge ein Saxofon verpasst, wodurch der AOR-Charakter des Songs verstärkt wird. Ganz ohne Ironie, einfach, weil es verdammt gut klingt. Das ist bei The War On Drugs erstaunlich oft die Erfolgsformel.
Der Opener "An ocean in between the waves" spannt mit den beiden starken Schlussmomenten "Under the pressure" und "In reverse" den Bogen: Fünf der zehn Stücke stammen vom 2014er-Album "Lost in the dream", dem Meisterwerk der Gruppe. Auf dem Höhepunkt ihres künstlerischen Schaffens entstanden diese ausufernden, in Dynamik und Melodieführung nach wie vor unangefochtenen Epen, die auch live ihre ganze Magie entfalten. Insbesondere "Under the pressure" darf in einer zwölfminütigen Version aus dem Vollen schöpfen und seine ganze Anmut unter Beweis stellen. Hier treffen Ambient und Psychedelic-Rock auf das hymnische Element eines Bruce Springsteen. Im Mittelteil wird "Live Drugs" mal dann kurz etwas weniger dringlich: "Thinking of a place" lädt zum Träumen ein, bleibt aber etwas blass neben den anderen Gassenhauern. Und das Cover des Warren-Zevon-Klassikers "Accidentally like a martyr" ist eine schöne Ehrerbietung, kommt aber schon etwas betulich daher. Packender erscheint da schon "Buenos Aires beach" vom Band-Debüt "Wagonwheel blues": Hier steht das Piano im Vordergrund, man denkt unweigerlich an Billy Joel, es ist ein kurzweiliges Zwischenspiel. Die Wehmut beim Hören dieser exzellenten Live-Platte wächst letztlich ins Unermessliche. Und doch stellt sie ein prima Mittel dar, um die Entzugserscheinungen zu kurieren. Zumindest kurzfristig.
Highlights & Tracklist
Highlights
- An ocean in between the waves
- Pain
- Under the pressure
- In reverse
Tracklist
- An ocean in between the waves
- Pain
- Strangest thing
- Red eyes
- Thinking of a place
- Buenos Aires beach
- Accidentally like a martyr
- Eyes to the wind
- Under the pressure
- In reverse
Im Forum kommentieren
Yersinia
2020-12-21 15:08:36
Mein Highlight: Eyes to the Wind.
squand3r
2020-12-21 14:29:37
huii alleine der Albumeinstieg mit dem Trio Ocean/Pain/Strangest Thing... live noch schwelgerischer, genau das richtige für die kalte Jahreszeit :) Zudem krass abgemischt, hört sich teilweise fast nach einem Studioalbum an
Grizzly Adams
2020-12-17 19:55:15
Hab mir das Album zugelegt. Keine Schwächen. So will ich es hören. Unbedingt Daumen hoch dafür.
Hogi
2020-12-13 08:44:02
Live steril? Nö, stimmt mal so gar nicht...
Eurodance Commando
2020-12-12 23:08:10
Muss mich korrigieren: Weder Intro, noch Outro. Aber ich meine diesen herrlich verspielten und ausgedehnten Teil.
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