Miley Cyrus - Plastic hearts

RCA / Sony
VÖ: 27.11.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Synthie, Cyndi, Sünde

Man mag von Miley Cyrus halten, was man will, aber eine Freundin halber Sachen ist sie nicht. In jeder ihrer Schaffensphasen legte sie sich zu 100 Prozent in ihr Image hinein. Als Hannah Montana war sie so sehr Inbegriff von Disney-Spektakel, dass es grotesk war. Umso deutlich verlief die entgegengesetzte Emanzipation als twerkender Vamp über "Can't be tamed" hin zu "Bangerz". Danach machte sie als Kifferbraut mit The Flaming Lips und "Miley Cyrus & her dead petz" ein 90-minütiges Chaos-Pop-Sammelsurium. "Younger now" war plötzlich die Unschuld vom Country-Lande. Und dann? 2019 war sie gut beschäftigt. Die enttäuschende EP "She is coming" hat sie schnell hinter sich gelassen. In einer Folge von "Black mirror" machte sie in einer selbstironischen Wandlung eine gute Figur und nahm mal eben alte Nine-Inch-Nails-Songs aufs Korn. Die großartige Standalone-Single "Slide away" verarbeitete wenig später die Trennung von Liam Hemsworth. Dass "Plastic hearts" nun ihr bisher bestes Album ist, scheint nach alldem nur eine logische Konklusion zu sein.

Miley wirft sich hierfür die sündige Achtziger-Klamotte über, präsentiert sich mit entsprechender Matte und im grell-glänzenden Look, quasi als Cyndi Cyrus. Neben der ohnehin auf eine ähnliche Zeitspanne fixierten Dua Lipa heißen die Gäste Billy Idol, Joan Jett und Stevie Nicks – was eine gute Idee von der musikalischen Richtung dieser Songs übermittelt. Der Sound platziert sich zwischen Synthesizern und Gitarren. Die grandiose erste Single "Midnight sky" hat ohnehin ein dickes Ausrufezeichen gesetzt und überzeugt mit einem Killerrefrain, den Cyrus ganz locker über die Wupper schubst. Überhaupt ist die Stimme der 28-Jährigen, die astrein singen kann, aber immer eine raue Schicht von Versoffenheit mit sich trägt, in diesem Setting bestens aufgehoben. Andere würden mit einer Breitwand-Kitschballade wie "Angels like you" wohl baden gehen, Cyrus bringt den nötigen Grip, um Zeilen wie "Angels like you can't fly down hell with me" an den sicheren Ort zwischen Hommage, Parodie und Ernsthaftigkeit zu bringen.

Definitiv grinsen muss man hingegen, wenn sie sich mit Joan Jett das campy "Bad karma" zurechtstöhnt und die Gitarren in bester Manier verführerisch tuckern. Quasi so schlecht, dass es wieder grandios ist. Die zahlreichen "uh-huh"s bleiben in jedem Fall noch lange im Ohr und von Untaten wie damals Britney Spears' Coverversion von Jetts "I love rock'n'roll" ist das ohnehin weit, weit entfernt. Genauso wie der temporeiche Opener "WTF do I know", das Dua-Lipa-Duett "Prisoner", das durchaus sehr nach "Future nostalgia" klingt, oder das herrlich groovige "Gimme what I want" mit industriellem Beat und funky Saitenschrubbern: alles Treffer. Die Füller, die sonst jedes Miley-Cyrus-Album mehr oder weniger runterzogen, sind hier auf ein Minimum reduziert. In der zweiten Hälfte hakt es hier und da lediglich mal, wenn beispielweise "Hate me" Gedanken wie "I wonder what would happen if I die / I hope all my friends get drunk and high" akustisch nicht ganz adäquat begleiten kann.

Selbst der Zugabenteil überzeugt vollends. Mit Stevie Nicks und ihrem "Edge of seventeen" im Gepäck wird "Midnight sky" ein Mashup spendiert – Cyrus' Altersgenossen dürfen hier im Vorbeigehen lernen, wo Destiny's Child damals den Beat für "Bootylicious" gemopst haben. Dass die Tochter von – dem dank "Old town road" zu neuem Ruhm gekommenen – Billy Ray Cyrus beim Covern von Rock-Klassikern eine sensationelle Figur macht, zeigen die Live-Versionen von Blondies "Heart of glass" und The Cranberries' "Zombie" am Ende. Die werden zwar recht originalgetreu nachgespielt, aber es ist bemerkenswert, wie gut Cyrus sich hier einfügt und sich weder vor Debbie Harry noch Dolores O'Riordan verstecken muss. Als nächstes dann die vollständige Wandlung zur Rockerbraut? "Gimme what I want or I'll give it to myself." Keine Zweifel: Die kommt schon klar.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Angels like you
  • Gimme what I want
  • Midnight sky
  • Bad karma (feat. Joan Jett)

Tracklist

  1. WTF do I know
  2. Plastic hearts
  3. Angels like you
  4. Prisoner (feat. Dua Lipa)
  5. Gimme what I want
  6. Night crawling (feat. Billy Idol)
  7. Midnight sky
  8. High
  9. Hate me
  10. Bad karma (feat. Joan Jett)
  11. Never be me
  12. Golden G string
  13. Edge of midnight (Midnight sky remix) (feat. Stevie Nicks)
  14. Heart of glass (Live from the iHeart Festival)
  15. Zombie (Live from the NIVA Save Our Stages Festival)
Gesamtspielzeit: 50:26 min

Im Forum kommentieren

MartinS

2020-12-12 14:36:11

Also ich mag das Album, auch wenn schon ein paar ordentliche Nuller drin sind, vor allem, wenn es ruhiger wird. Ich kann nicht glauben, dass man z.B. auf "Angels like you" nicht einprügeln würde, würde auf dem Song "Nickelback" stehen...
Trotzdem gutes Album. Highlight ist für mich mit sehr großem Abstand "Bad Karma".

Felix H

2020-12-12 12:35:00

Ich hätte diese Single soo gerne noch als Closer auf der Platte gehabt:

MartinS

2020-12-09 20:59:33

Der Satz ist mehr so die Ausrutscherplattitüde in einem ansonsten gut geschriebenen Text,aber gut.
Hat die Cyrus eigentlich irgendwo behauptet, ein Genre retten zu wollen, oder warum ist das so ein Thema im Zeit-Artikel?
Ich höre gerade rein. Gefällt mir überraschend gut.

captain kidd

2020-12-08 18:55:13

"Als wollte sie jedes Vorurteil über den aktuellen Zustand des Genres bestätigen, beschwört Cyrus ein Rock-’n’-Roll-Gefühl, das es schon vor zehn Jahren als T-Shirt-Aufdruck bei H&M zu kaufen gab." Ein Satz für die Ewigkeit. Er kann es noch...

Klaus

2020-12-08 18:35:16

Hab es jetzt auch mal probiert und bin zu 2/3 durchgekommen. Fand es sehr schlimm. Nicht weil es miley ist oder weil sie in dem Genre sonst nicht zu Hause ist, sondern weil dieses Album so ganz unangenehme Assoziationen zu diesem Lederjacken-Powerrock der 70/80er/whatever weckt.

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