Urlaub In Polen - All

Tapete / Indigo
VÖ: 06.11.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Verlängerte Ferien

"All“. A-l-l. Kurz für: Weltall, Mars und Jupiter, die Milchstraße, unendliche Weiten? Oder schlicht Englisch für: alles? Nicht ganz auszuschließen, dass Georg Brenner und Philipp Janzen Urlaub In Polen nur deshalb reanimiert haben, weil ihnen zu bierseliger Stunde ein pfiffiger Albumtitel eingefallen ist. Wahrscheinlicher indes, dass sich bei den beiden Kreativköpfen über die Jahre einfach viel zu viele Ideen angestaut hatten, die irgendwann mal raus mussten. Wie auch immer die Hintergründe sein mögen, die Hörer*innen wird freuen, dass der Nachfolger zu "Boldstriker" zum Glück so gar nicht nach oller Resteverwertung klingt, sondern erstaunlich frisch und unverbraucht. Das Rezept hat sich dabei über all die Jahre nicht wesentlich verändert, wurde allenfalls hier und da verfeinert: "All" frönt einem selbstbewussten und wohl durchdachten Eklektizismus, der Sounds und Elemente aus verschiedenen Stilen und Jahrzehnten kombiniert, dabei aber durchweg angenehm fokussiert bei der Sache ist.

Nach dem sphärischen Intro "Void" setzt "Impulse response" ein erstes Ausrufezeichen. Schlagzeug und Bass geben stoisch den Takt vor, Vocoder-Sprechgesang und krautige Gitarren sorgen für wohliges Entzücken. In der Folge darf sich die Rhythmusfraktion zwar ab und an mehr Freiheiten herausnehmen – besonders das perkussive "Overall" ist in diesem Zusammenhang zu nennen und zu loben –, legt aber auch weiterhin zuvorderst das solide Fundament, auf dem es munter zwitschert, zirpt und zischt. Die Mittel der Transgression sind überlegt gewählt: "T.H.D.T." sucht sein Heil in Hall-Effekten und Kraut-Synthies, "The witcher" packt ein Saxofon ein und nimmt die Ausfahrt in Richtung Free Jazz. Für ihre Verhältnisse nur sporadisch und relativ dosiert drehen Urlaub In Polen den Noise-Pegel hoch: "The witcher" und "The hunter", mit jeweils über sechs Minuten Spielzeit die beiden ausdauerndsten Stücke auf "All", lassen es dann aber zwischendrin durchaus gepflegt scheppern und krachen.

Für nachhaltigere Irritationen sorgen der aus Bass-Wummern und Samples zusammengebaute Kurztrack "Rodeo" sowie "2 sec. delay", der eine gute Minute lang nervös vor sich hin klickert und klackert, bevor ein technoider Beat einsetzt und die Karre über die Zielgerade bugsiert. Brenner und Janzen wären nicht die nerdigen Soundtüftler, die sie allem Anschein nach sind, wenn sie auf derartige Spielchen verzichten würden. Dass Urlaub In Polen aber auch Pop im engeren Sinne können, zeigen sie zum Ende hin. Nach dem einlullenden "LTS" folgt mit "Proxy music" eine kühle Disconummer in retro-seligem Elektrogewand. Was auch sonst, mag man sich jetzt denken, denn bis zu diesem irgendwie überraschenden, gleichzeitig auch folgerichtigen Finale hat "All" doch jede Menge aufgeboten, dabei aber den Eindruck erweckt, als wäre es das Leichteste auf der Welt. "Das Weltall ist zu weit / Und der Rest ist schon verteilt" lautete bekanntlich ein nicht ganz unironischer Slogan der Diskurspopper Die Sterne – der Band, für die Janzen zuletzt hinterm Schlagzeug saß. Mit Kollege Brenner beweist er heuer wieder das Gegenteil: Alles ist möglich. Immer noch. Immer wieder.

(Markus Huber)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • T.H.D.T.
  • The witcher
  • Proxy music

Tracklist

  1. Void
  2. Impulse response
  3. 2 sec. delay
  4. T.H.D.T.
  5. Rodeo
  6. The witcher
  7. Overall
  8. The hunter
  9. LTS
  10. Proxy music
Gesamtspielzeit: 38:06 min

Im Forum kommentieren

afromme

2020-11-14 10:49:41

Ein bisschen - sträflicherweise - nebenbei gehört. Bleibt schon auf gewohntem Niveau, ich hör die Motorik-Anleihen viel stärker als bisher. Muss dem Album aber noch einmal mehr Aufmerksamkeit widmen.

Armin

2020-11-10 21:21:56- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

The MACHINA of God

2020-08-30 13:43:00

Die gibt es immer noch?

vincent92

2020-08-26 14:40:43

fantastisch - ich freu mich sehr - auch live ein absolutes top-highlight :-)

afromme

2020-08-25 23:43:56

Oh - ich auch.

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