Sylvan Esso - Free love
Caroline / UniversalVÖ: 25.09.2020
Dancefloor-Nickerchen
Man könnte so viel darüber schreiben, was sich bei Sylvan Esso alles seit ihrer Gründung im Jahr 2013 verändert hat. Wie sich die zu Beginn klare Arbeitsteilung zwischen Songwriterin Amelia Meath und Produzent Nick Sanborn so sehr entgrenzte, dass ihr Kreativprozess nun einem Streitgespräch nahekommt. Wie sie ein ambitioniertes Live-Projekt namens "WITH" auf die Beine stellten, bei dem das Duo von einer zehnköpfigen Band begleitet wurde. Oder, natürlich, wie die beiden ihre nicht nur künstlerische, sondern auch private Partnerschaft inzwischen mit dem Ja-Wort besiegelten. Doch eigentlich sollten all diese Informationen lieber in den Promo-Texten bleiben, aus denen sie stammen – aus dem simplen Grund, dass auf den tatsächlichen Studio-Alben von Sylvan Esso nicht viel von dem Wandel angekommen ist. Noch immer entlockt Sanborn Geräusche aus seinen Synths und Beats, die den Kollegen Holtmann einst anlässlich "What now" in den onomatopoetischen Neologismenwahn trieben. Noch immer singt darüber Meath mit ihrer herrlich eigensinnigen Stimme, die sich in verwinkelten Art-Folk-Wäldern mindestens genauso wohl fühlen würde. Gemeinsam machen sie noch immer Electro-Pop, der zu quirky fürs Mainstream-Radio, aber auch zu brav und unscheinbar ist, um das Genre in seinem Fundament zu erschüttern.
Zwei grazile, entschlackte Alben lang hat diese Formel wunderbar funktioniert, doch auf "Free love" machen sich ein paar Abnutzungserscheinungen breit. Nicht, dass Sylvan Esso das Schreiben von Hits verlernt hätten. "It's the summer, got a lot to prove / Can't wait to do it, can you?" fragt Meath in "Ferris wheel", "No!", brüllt ihr ein Kinderchor entgegen. Die Amerikanerin packt ihre "dancing shoes" aus und hüpft unbeschwert auf dem Rummelplatz herum, auch wenn die Tanzmoves zum von ihrem Kollegen vertonten Aufstand im Pilzkönigreich eher ungelenk aussehen dürften. Egal, gerade wegen seiner Verschrobenheiten ist der Track ein Banger sondergleichen. Auch "Ring" und "Train" gehen gut ins Ohr und Bein: Ersterer bricht mit ungewöhnlich scheppernden Drums in seinen diesigen Pop-Schimmer, letzterer schmeißt den 8-Bit-Dynamo an, vergisst allerdings leider, in der Hook das Tempo anzuziehen. Ein wenig geraten Sylvan Esso in die Schlaglöcher, über die auch Chvrches mit ihrem Drittling "Love is dead" stolperten. Wenn nicht mehr jeder Treffer sitzt, fehlt es der Musik an Tiefe und Reizpunkten, um die geringere Hitdichte auszugleichen.
Das ist deshalb so bedauerlich, weil die Band ihre Zukunft offenbar selbst nicht im Radius der Charts sieht. In seiner zweiten Hälfte verschiebt "Free love" die Parameter nämlich in Richtung Introspektion und Understatement. In "Numb" gelingt das noch hervorragend: Der Song zuckt nervös vor sich hin und kippt nur gelegentlich in kleine Dancefloor-Ausbrüche, während sich Meaths Gesang in sich selbst verliert. Auch "Free" deutet als synthetische Lagerfeuer-Ballade spannende Ansätze an, doch Sylvan Esso denken diese nicht konsequent weiter. Stattdessen geraten sie in ein Dilemma, das so auf Tanzbarkeit ausgelegte Popmusik oft befällt, wenn sie zur Ruhe kommt. Ein Stück wie "Frequency" krallt sich in seiner Zurückhaltung nicht mehr nachhaltig im Gehörgang fest, bleibt aber auch zu flach, um auf einer anderen Ebene Wirkung zu erzielen. Immerhin weiß der dynamische Halb-Acapella-Closer "Make it easy" den Minimalismus effektiv umzusetzen, indem er seine Stille immer weiter mit Klang befüllt, bevor der Raum zu zerbersten droht. Ganz zaghaft klopft der Geist des Wandels schließlich doch an die Tür des Ehepaars Meath und Sanborn. Ob er sich die Füße wundstehen muss oder schon bald herzlich empfangen wird?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ferris wheel
- Numb
- Make it easy
Tracklist
- What if
- Ring
- Ferris wheel
- Train
- Numb
- Free
- Frequency
- Runaway
- Rooftop dancing
- Make it easy
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Armin
2020-09-22 19:52:04- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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