L.A. Witch - Play with fire

Suicide Squeeze / Cargo
VÖ: 21.08.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Neues aus der Albtraumfabrik

Die Musikgeschichte kennt so einige Bands, welche die Atmosphäre ihres jeweiligen Heimatorts mit ihren Instrumenten aufgesogen haben. Man empfängt die verregnete Düsternis Schottlands durch die Musik von The Twilight Sad, staunt mit Sigur Rós über isländische Fantasielandschaften oder lässt sich von The Velvet Underground zugedröhnt durch New Yorker Kunsthallen treiben. Bei L.A. Witch ist das so eine Sache. Den drei Frauen scheint nicht gerade die kalifornische Urlaubssonne aus dem Hintern, sie taumeln vielmehr durch eine versengte, verlassene Wüste irgendwo in New Mexico. Doch ihr psychedelischer Stoner-Garagenrock trägt auch einen Splitter der Seele Hollywoods in sich. Es ist einer, der auch einem David Lynch etwa gefallen würde: ein Spiel mit Mythen, das den Giftmüll der Traumfabrik in den Vordergrund stellt und das eine Aura des Okkulten, Surrealen umgibt. Das selbstbetitelte Debüt von L.A. Witch entstand nebenbei und wie von selbst, als wären sie immer wieder von einem Gespenst heimgesucht worden, das ihnen seine unheilvolle Geschichte erzählte. Dem zweiten Album "Play with fire" ging ein geplanter, fokussierter Schreibprozess voraus, doch erscheint es genauso freigeistig und faszinierend wie sein Vorgänger.

"I've got too much to do and not enough time." Der Opener "Fire starter" formuliert einen Weckruf, schleppt sich aber eher aus dem Bett, statt voller Tatendrang aufzuspringen. Die Hitze flirrt durch Sade Sanchez' Gitarrensaiten und ihren vernebelten Gesang, die stoisch polternden Drums pulen sich noch Wüstenstaub der letzten Nacht von den Fellen. Entschiedener aufs Gaspedal drückt der kurze Garagenpunk-Kotzbrocken "True believers" ebenso wie die grandiose Single "I wanna lose": Über einem herrlich verschlungenen Riff wird die Akzeptanz des eigenen Scheiterns zum Ausgangspunkt einer Hymne der Selbstermächtigung: "I control myself / Nobody else." Auch "Sexorexia" brettert über die Trümmer einer festgefahrenen Beziehung mit gleichermaßen destruktiver wie kathartischer Power. L.A. Witch machen, worauf sie Bock haben, und schütteln trotz der Kompaktheit ihrer Drecksschleudern immer wieder kleine Instrumentalparts aus den Lederjacken. Sanchez, Irita Pai und Ellie English heißen nicht nur wie Figuren aus einem Tarantino-Film, sie würden mit dieser Coolness und ihrer unverschämten Retro-Ästhetik auch akustisch wunderbar in einen passen. Füllt man den melodisch-lethargisch besungenen "Motorcycle boy" noch mit Bildern von James Dean und anderen grundlosen Rebellen aus, ist der Brückenschlag zur Ikonografie des Kinos komplett.

Doch die Band ist freilich mehr als reiner Vergangenheits- und Kultfetisch. "Maybe the weather" lässt sich ungewohnt üppig produzieren, um mit Tremolo-Keyboard, Kopfnicker-Beat und undefinierbaren Sirenen-Geräuschen eine sehr eigensinnige Interpretation von Country aus dem Sand zu heben. Eine unter der Attitüde aufblitzende Verletzlichkeit prägt diesen Track ebenso wie das frühe Highlight "Dark horse", das mit Orgel und Latin-Gitarre eine tolle, halluzinogene Halbballade formt. "Gen-Z" hat indes sogar explizit die Gegenwart im Blick, wenn es mit besonders stickigem Rhythmus die steigenden Suizidraten im Social-Media-Zeitalter angreift. Das finale "Starred" findet sich schließlich auch räumlich versetzt wieder, erinnern dessen Noise-Anleihen und der gallige Bass doch eher an die Underground-Szene der anderen US-Küste. Es ist nicht die einzige Reise, die "Play with fire" unternommen hat: In nur einer halben Stunde ging es über staubtrockene Highways und Seitengassen im Schatten Hollywoods von der Geisterwelt in die Realität und einmal quer durch die Rockgeschichte. An einen einzelnen Ort geknüpft sind schon genug andere – L.A. Witch bleiben eine Band der Bewegung.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Dark horse
  • I wanna lose
  • Sexorexia

Tracklist

  1. Fire starter
  2. Motorcycle boy
  3. Dark horse
  4. I wanna lose
  5. Gen-Z
  6. Sexorexia
  7. Maybe the weather
  8. True believers
  9. Starred
Gesamtspielzeit: 30:01 min

Im Forum kommentieren

Deaf

2021-01-06 17:48:42

Ein gutes Beispiel, warum ich lieber Platten zerreisse als lobe. ;-) Irgendwie schon traurig, dass sowas keinen einzigen Kommentar wert ist, während man sich bei seelenlosen Poperzeugnissen die Finger wund schreibt.

Armin

2020-09-05 12:24:42- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Deaf

2020-08-21 08:14:17

Zweites Album seit heute draussen, die Vorabtracks fand ich schon toll. Garage-Rock wie er sein muss, sowas brauche ich jetzt.

1. Fire Starter 03:21
2. Motorcycle Boy 03:48
3. Dark Horse 03:34
4. I Wanna Lose 04:03
5. Gen-Z 04:08
6. Sexorexia 03:14
7. Maybe the Weather 02:46
8. True Believers 02:01
9. Starred 02:58

https://lawitches.bandcamp.com/album/play-with-fire

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