Doves - The universal want

EMI / Universal
VÖ: 11.09.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Dem Zwang entkommen

Wenn einer der am meisten verehrten Indie-Acts Großbritanniens nach acht Jahren wieder zusammen kommt, erwartet man Glamour, einen ganz schicksalhaften Moment. Doch als die Zwillinge Andy und Jez Williams sowie Jimi Goodwin, zusammen Doves, im Jahre 2017 zu Writing-Sessions ins englische Peak District aufbrachen, war das ein ganz unspektakulärer Akt. Die Geschwister wollten einfach ein paar Songideen ausprobieren und da Goodwin nicht weit entfernt wohnte, lud man ihn dazu. Jener hatte einfach mal wieder Lust, mit den alten Freunden und Kollegen abzuhängen und ein bisschen zu jammen. Dass dabei der Grundstein für ein neues Album gelegt würde, konnte da noch keiner ahnen. Doch die Kreativität sprudelte ungehemmt und so entstanden die ersten neuen Songs seit einer Ewigkeit. 2019 dann das fulminante Live-Comeback, das Publikum reagierte enthusiastisch und zeigte der Band, dass ihre Rückkehr durchaus ersehnt war. Und nun erblickt "The universal want" das Licht der Welt und es vereint zwei schöne Umstände: Zum einen finden Nostalgie-Freunde typisches Doves-Material, zum anderen haben sich die Briten selbst auch locker gemacht, probieren Neues aus.

Da wäre zunächst der Opener "Carousels", welcher sich nach schwebendem Intro in eine klassische Doves-Hymnik hineinbegibt. Goodwins Stimme vermittelt wieder zwischen erhabener Feierlichkeit und Melancholie, und das ganze Stück gefällt sich in behutsam steigender Emphase. Die Drums sind dabei luftig, Synthies und Gitarren erschaffen staatstragend gewichtige Melodien. Doch dass Goodwin den aufkommenden Pathos mit einer Abwärtsbewegung zu tieferen Tönen hin ein wenig entschärft, ist wieder einer dieser kompositorischen Kniffe, die man an dieser Band so schätzt. Das folgende "I will not hide" macht sich daraufhin sogar richtig locker, frühlingshafte Akustikgitarre, federnd klöppelnde Percussion und dem übergeordnet der Wunsch, alles bescheiden und entspannt zu halten. Doch der Kontrast ist bei Doves nie fern und auch hier sorgt Goodwins Stimme dafür, dass sich der Flockenwolken-Himmel dezent dunkel einfärbt.

Mit "Broken eyes" ertönt dann ein klassisch sich abspulender Indie-Rock-Song im mittleren Tempo. Doch das, was bei anderen Künstlern zu einer gewöhnlichen Pflichtübung verkommt, erhält bei dem Trio durch einen Refrain, der gleichzeitig den Wunsch nach Ausbruch in die Weite, als auch das Bedürfnis nach Rückzug verbindet, eine ganz eindeutige, dramaturgische Prägung. Man erkennt bei diesem Album also seine alten Helden direkt wieder, die geliebten Tugenden sind alle noch da, doch waren Doves schon immer dafür, neue Einflüsse zuzulassen. Und so kommt es, dass "For tomorrow" gleichzeitig klassischer Northern Soul ist, doch eben auch den Geschmack schwarzer Musik auf der Zunge trägt. Es vertragen sich auch grell eingefärbte Synths mit der klassischen Doves-Getragenheit, so in "Cathedrals of the mind." Hier gefällt im Übrigen auch, wie der Song fortwährend Anlauf zu epischer Größe nimmt, durch Pausen und Rückzug aber immer wieder eingefangen wird. Daneben gibt es triphoppige Drums, jazzige Bläser und Gesangsspuren, die der pathetischen Leidenschaft eines Greg Dulli nahe kommen.

"Mother Silverlake" war im Übrigen der erste Song, der bei den angesprochenen Reunion-Sessions Form gewann. Das milde Gleiten einer unaufgeregten Rhythmik, das behutsame Einfügen der akustischen Gitarren in den stetigen Verlauf des Songs. Ebenso das Spiel mit sich verflüchtigenden Melodien, welche sich im genau richtigen Moment konkretisieren, dies alles zeugt von großer Songwriting-Kunst. Dass Doves dabei keine neuen Lieblingslieder erzwingen wollen, sondern ihren Songs natürliche Entfaltung und Entwicklung zugestehen, sorgt dafür, dass "The universal want" vielleicht nicht ihr bestes Album geworden ist. Dennoch, und dies zeigt auch die organisch gewachsene Grandezza des Titelsongs, haben die Engländer einen Weg gefunden, gleichzeitig neuen Dingen die Türen zu öffnen, alte Stärken hochzuhalten und dabei niemals in die Falle zu treten, sich krampfhaft ein eigenes Denkmal errichten zu wollen.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Broken eyes
  • Cathedrals of the mind
  • Mother Silverlake

Tracklist

  1. Carousels
  2. I will not hide
  3. Broken eyes
  4. For tomorrow
  5. Cathedrals of the mind
  6. Prisoners
  7. Cycle of hurt
  8. Mother Silverlake
  9. Universal want
  10. Forest house
Gesamtspielzeit: 47:03 min

Im Forum kommentieren

n00k

2022-05-24 12:57:13

Habe diesen Doves-Coldplay Vergleich nie verstanden.

peter73

2022-05-24 10:11:43

*wiederhören*

solides comeback-album, aber ... ja. nicht ihr bestes.
gut, in einer gerechten welt würden coldplay sich ENDLICH auflösen und die doves millionen alben verkaufen ;)

carpi

2020-10-30 20:59:06

Gefällt mir nach einigen Durchgängen doch besser als zunächst erwartet.
Carousels: Schon die erste Hymne, etwas zu gefällig, aber harmonisch, setzt sich fest, es gibt aber Besseres auf dem Album 7/10

I will not hide: Durchschnitt, die Stimmen im Hintergrund gefallen mir nicht, ne 6 kann man noch geben

Broken eyes: Gefällt mit schon besser, Midtempo-Song (wie viele hier und im gesamten Doves Oeuvre), der Chorus bleibt hängen, top 8

For tomorrow: siehe Broken eyes, auch 8

Cathedrals of the mind: Weniger Tempo, Ballade, schön, aber die Gänsehaut will sich (noch) nicht einstellen:) 7

Prisoners: Oh ja, der kann was, etwas mehr Tempo, wunderbare Gitarre gegen Ende, 9

Cycle of Hurt: wieder mehr im Mittelmaß, aber angenehm 7

Mother Silverlake: Jetzt wirds fantastisch, hat mich schon beim ersten Durchgang überzeugt 10, melancholisch und euphorisch

Universal Want: Die beste Ballade hier, am Ende noch tanzbar, das hatten sie ja schon so ähnlich auf einem alten Hit oder? (Edit: There goes the fear) 9

Forest House: fällt etwas aus dem Flow, bisher alles recht homogen, eher akustisch, wunderbares Stück zum Abschluss 9

Stimmt, dass sie kein schlechtes Album haben, die ersten beiden sind aber nach wie vor unerreicht, fand auch die Compilation Lost Sides fantastisch, Some Cities und Kingdom of Rust müsste ich mal wieder hören.





BVBe

2020-10-20 10:40:18

Hmm ... in der Diskografie mäandert es für mich so im unteren Bereich vor sich hin. So wie KINGDOM OF RUST, das auch nicht so gut gealtert ist. Zumindest nicht so wie die ersten drei Alben. Doch, bin etwas enttäuscht.

didz

2020-10-17 19:17:16

immernoch großartig. schade, dass das album gefühlt so extrem untergeht.

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