
Metallica - S&M 2
Blackened / EMI / UniversalVÖ: 28.08.2020
Allegro ma non troppo
Ja, Metallica haben schon viel eingesteckt 1999 für "S&M" – neben ein bisschen Lob allerdings vor allem viel Häme für den Versuch, Metal und großes Orchester miteinander zu verbinden. Und das, obwohl Kollege Thorsten Thiel in einer der allerersten Rezensionen dieser Seite der Platte noch mit, naja, sagen wir einmal wohlwollender Skepsis begegnete. Those were the days! Vor allem aber hagelte es Kritik, weil es selbst dem 2003 verstorbenen Michael Kamen, der solche Hits wie "November rain" oder "Silent lucidity" arrangierte, nicht gelang, so etwas wie eine künstlerische Symbiose zwischen dem Orchester und den Megastars des Thrash zu erzeugen – zu groß die damalige Sinnkrise der Band, zu gering der Wille, die Songs auch einmal zu dekonstruieren. Und dass Drummer Lars Ulrich jegliche Feinheiten des Orchesters mit seinem nicht gerade für allzu große Sensibilität bekannten Spiel in Grund und Boden ballerte, gehört mittlerweile auch zur Metal-Folklore.
Jede Menge Verbesserungspotenzial also für zwei Shows, die mit dem "San Francisco Symphony"-Orchester im Herbst 2019 stattfanden. Und, auch das sei hinzugefügt, mit dem durchaus respektablen Unplugged-Album "Helping hands... Live & acoustic at The Masonic" im Rücken, auf dem die vier 2019 den Mut fanden, ihre Songs auf neue Pfade zu führen. Doch zunächst gilt es, beim obligatorischen Intro "The ecstasy of gold" eine Träne für den am 6. Juli 2020 verstorbenen Ennio Morricone zu verdrücken, bis "The call of Ktulu" wie schon beim Erstling die Show eröffnen kann. Was direkt auffällt, ist die erheblich verbesserte klangliche Transparenz. Endlich ist das Orchester vernünftig zu hören, spielen die beiden Gruppen mit- anstatt gegeneinander. Der Grund ist so simpel wie effektiv – statt im Bühnenhintergrund wurden die Orchestermusiker um die Band herum platziert. Wobei auch das nicht das hoppelige Timing von Lars Ulrich zu Beginn von "For whom the bell tolls" verhindert, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein. Dafür ist Frontmann James Hetfield erstaunlich gut bei Stimme, vor allem vor dem Hintergrund, dass er sich nur wenige Tage nach den Aufnahmen erneut auf eine Entziehungskur begeben musste.
Denn die Songauswahl ist bis auf den Zugabenteil durchaus mutig, beinhaltet sie doch zunächst einmal jede Menge Songs, die nicht schon auf dem ersten Teil zu Ehren kamen. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut, erst recht weil ein ums andere Mal das Orchester nur dazu degradiert wird, ein paar akustische Tupfer zu setzen – schade, dass die Kalifornier zum Beispiel "Moth into flame" humorlos herunterknüppeln, anstatt dem Song neue Facetten zu verleihen. Und "The outlaw torn" war schon auf "Load" stinklangweilig. Viel, sehr viel besser ist dann das, was auf der zweiten CD geboten wird. Denn jene beginnt mit einer Interpretation des zweiten Satz der "Skythischen Suite" von Sergej Prokofjew, die bei der Uraufführung 1916 einen veritablen Skandal auslöste – der Schlagwerker hatte in seinem Eifer doch glatt das Fell der Pauke zerdroschen. (Ähnlichkeiten mit bekannten Drummern sind natürlich nicht beabsichtigt.) Noch obskurer allerdings ist das folgende "The iron foundry" (zu deutsch "Eisengießerei"), mit dem der russische Komponist Alexander Mossolow 1928 eine Klangcollage schuf, die auch als Vorbild für die "Stahlwerksinfonie" von Die Krupps hätte dienen können. Und endlich, endlich spielt die Band einmal für das Orchester und nicht umgekehrt, gibt das Gefühl, wie eine Symbiose aus Metal und Klassik klingen kann, wenn nur beide Seiten mutig genug sind. So mutig, dass Hetfield direkt im Anschluss "The unforgiven III" tatsächlich ausschließlich mit Orchesterbegleitung performt und dabei so verletztlich wie selten klingt.
Apropos mutig: Das ist auch das erste Wort, was in den Sinn kommt, wenn das uralte Instrumental "(Anesthesia) Pulling teeth" auf der Trackliste auftaucht. Zur Erinnerung: Das ist das Instrumental vom Debütalbum "Kill 'em all" von 1983, bei dem der legendäre Cliff Burton alle Effektgeräte, derer er habhaft werden konnte, an seinen Bass-Verstärker klemmte. Selbst die Band war zunächst skeptisch und ließ den Kontrabassisten Scott Pingel zunächst zum Vorspielen antanzen. Doch was Pingel daraus macht, ist zum Niederknien großartig, und das Publikum rastet zu Recht hörbar aus. So viel Euphorie ist zwar nicht immer angebracht, weil wie erwähnt auch bei der Neuauflage die Experimente, die mutigen Arrangements fehlen. Und das mit reichlich Geigeneinsatz zugekitschte "Nothing else matters" kann eh niemand mehr hören. Allerdings gelingt es Metallica durchaus, einige andere der gröbsten Patzer von 1999 auszumerzen. Ganz so wie befürchtet oder gar vergeigt ist "S&M 2" also nicht geraten. Doch leider bleiben Metallica etwas zu oft in ihrer Komfortzone, um neue Maßstäbe in Sachen Metal meets Classic zu setzen, und sehen von wirklich innovativen Kooperationen wie den Italienern Fleshgod Apocalypse nur noch die Rücklichter.
Highlights & Tracklist
Highlights
- For whom the bell tolls
- The iron foundry, opus 19
- (Anesthesia) Pulling teeth
- One
Tracklist
- CD 1
- The ecstasy of gold
- The call of Ktulu
- For whom the bell tolls
- The day that never comes
- The memory remains
- Confusion
- Moth into flame
- The outlaw torn
- No leaf clover
- Halo on fire
- CD 2
- Intro to "Scythian suite"
- Scythian suite, opus 20 II: The enemy god and the dance of the dark spirits
- Intro to "The iron foundry"
- The iron foundry, opus 19
- The unforgiven III
- All within my hands
- (Anesthesia) Pulling teeth
- Wherever I may roam
- One
- Master of puppets
- Nothing else matters
- Enter sandman
Im Forum kommentieren
Felix H
2022-03-14 22:00:16
Hat mit "Anesthesia" einen wirklich wertigen Moment. Aber sonst tatsächlich überflüssig, vor allem weil zum Großteil eh identisch. Wie Affengitarre auch schon sagt: Meistens wird wie bei Teil 1 fleißig aneinander vorbei gespielt.
8hor0
2020-09-16 12:33:01
Warum eigentlich so viele Songs, die schon auf S&M 1 drauf waren? Sinnlos fast, die Nr. 2.
doept
2020-09-03 00:00:52
Muss da (leider) Affengitarre 100% recht geben.
Sehr schade dass es eine Band mit diesen Mitteln nicht nutzt ein Orchester sinnvoll einzusetzen.
Habe letztens (bei Fans der Band die ich kenne, möchte das betonen!) das Evanescence Live Album "Synthesis" gesehen, die Abstimmung zwischen Orchester und Bands war ziemlich gut und die haben sich auch Gedanken über alternative Arrangements der Songs gemacht. Man kann es also besser machen, Herr Hetfield!
Dass die Sängerin häufig an ihr Limit kommt kann man da fast verschmerzen, sie ist halt keine Opernsängerin.
KingAdRock
2020-09-01 17:50:38
Ich hätte es mir gerne auf Vinyl geholt, aber bei den Preisen bin ich nicht mehr bereit, die Schatulle aufzumachen. Die Special-Supadupa-XXL-Vinyl-Box können die meinetwegen so teuer machen wie sie wollen - aber dass die reguläre LP-Version 80 Euro kosten soll, verstehe ich nicht. 40 Euro wären aus meiner Sicht für eine 4 LP noch vertretbar gewesen.
Affengitarre
2020-09-01 16:15:31
Mh, leidet eigentlich unter den selben Schwächen wie schon der erste Teil. Das Orchester spielt die meiste Zeit an der Band vorbei und im besten Fall stört das nicht. Auch die Tracklist ist doch größtenteils ziemlich mutlos und wird zu großen Teilen schon vom ersten "S&M" abgedeckt, so ein "Frantic" mit wilden Streichern hätte ich mir wohl gut vorstellen können. Hätte man im Großen und Ganzen auch einfach gut ohne das Orchester aufnehmen können.
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