The Killers - Imploding the mirage
Island / UniversalVÖ: 21.08.2020
Frischzellenkür
Duscht gerade niemand? Sehr gut. Erledigt just wer ein kleines oder gar großes Geschäft? Keiner? Bestens. Dann können sie ja spielen. Brandon Flowers und Ronnie Vannucci Jr. wichen zur Promotion der Single "Caution" coronabedingt auf teils etwas unübliche Örtlichkeiten aus, um die erste Single des sechsten The-Killers-Albums "Imploding the mirage" in den gängigen Talk- und Late-Night-Shows vorzustellen. Wie etwa Flowers' Badezimmer. Viele gute Ideen sollen ja auf dem stillen Örtchen geboren werden. Und da "Caution" sogar ein sehr guter Einfall ist und Hall dem Stück nicht abträglich, warum es also nicht gleich dort performen?
Sinnbildlich ist das Szenario obendrein. Denn in der Besetzung der Killers sind Flowers und Vannucci die Konstanten. Bassist Mark Stoermer gehört der Band weiter an, aufgrund eines Hörschadens nach einem Pyro-Vorfall jedoch eher in abgespeckter Version. Gitarrist Dave Keuning pausiert offiziell. Eine Rückkehr steht ihm offen, allerdings – hört man die Aussagen der Beteiligten – bestehen auch künstlerische Differenzen. 2019 veröffentlichte Keuning sein Solo-Debüt "Prismism", auf "Imploding the mirage" blieb er komplett außen vor. Wobei: Stimmt nicht ganz. Indirekt leistete Keuning seinen Beitrag. Durch seine Abwesenheit waren The Killers nämlich gezwungen, etablierte Arbeitsschritte zu überdenken und sich in puncto Gitarrenspiel und Arrangements neu zu organisieren. Etwas Besseres hätte der Band nicht passieren können.
The Killers holen externe Expertise und verpassen sich selbst so eine Frischzellenkur. Stärker als je zuvor spielen Synthies eine Rolle, was zwar weder bei der Historie der Band noch beim Blick auf Flowers' Solo-Platten verwundert, aber noch nie so kongruent in einer Sammlung von hymnischen Refrains zusammenfand. Auf ihrer Reise in ein neues Leben begleiten The Killers in "Blowback" beispielsweise eine junge Frau mit programmierter Rhythmik und einer Art Sound-Amalgam aus Tom Petty und U2. Auch durch "Dying breed" tuckert der Maschinen-Beat, bis nach zwei Minuten die unterschwellige 80er-Jahre-AOR-Rock-Blase aufplatzt und der Song mit Glockenspiel auf den Highway einbiegt. Wer wie beim Opener neben Bruce Springsteen an The War On Drugs denkt, liegt nicht falsch. Deren Hirn und Herz Adam Granduciel ist ebenso Teil der illustren Gästeschar auf "Imploding the mirage" wie Shawn Everett, der "A deeper understanding" mixte und nun nebst Foxygens Jonathan Rado das sechste The-Killers-Werk produziert.
"Caution" zieht es an die sommerliche Westküste. Auf dem Weg sammelt der Song eine Paul-Simon-Textzeile ein sowie Fleetwood-Mac-Legende Lindsey Buckingham als Keuning-Ersatz. Wer kann, der kann. Die Single ist nicht nur wegen Buckinghams Solo so gut, sondern auch, weil The Killers mit der Akustischen einen analogen Gegenpol zur synthetischen Grundierung bieten. Im nächsten Song tritt k.d. lang als Gastsängerin für das mit Piano-Tupfern versehene "Lightning fields" in Erscheinung. Toll und symptomatisch für die ganze Platte, wie sich in Hall und Background große Theatralik abspielt, Flowers sich aber nicht von ebenjener mitreißen lässt. Weitere weibliche Unterstützung kommt neben Lucius von Natalie Mering alias Weyes Blood, deren beinahe androgyn tönende Zeile "A weight has been lifted" sämtliche Lasten in "My god" himmelwärts sendet.
Auf "Wonderful wonderful" trübten ein paar Gurken das Gesamtbild. Nicht so dieses Mal. Frisch, pointiert, angemessen over the top, und on the top. Selbst "When the dreams run dry" an der Acapulco Bay schwülstige Synthies aufs Badetuch legt, entschädigen im Verlauf Tempowechsel und das umtriebige Finale. Flowers soll zwischenzeitlich die Sorge geäußert haben, über kein Single-Material zu verfügen. Erstens: falsch, wie das groovige "Fire in bone", das hervorragende imaginäre Fleetwood-Mac-Foxygen-Mashup "Running towards a place" und nahezu jeder andere Song der Platte belegen. Zweitens: Dieser innerliche Druck trieb Flowers zu "My own soul's warning", das im Geiste des Bruce Springsteen von 1985 steht und ein unbestreitbarer Hit ist: "I just wanna get back to where you are." Auf dieser Platte zerfasert nichts und finden die Aufbruchsgeschichten eine pathetische, aber nicht überdramatisierte Umsetzung im Sound. The Killers bilden aus Kunst, Pomp, Pop, Herz und Kommerz eine Einheit. Schreibt es ruhig an den Badezimmerspiegel Eures Vertrauens: "Imploding the mirage" ist das beste Album der Band seit "Hot fuss".
Highlights & Tracklist
Highlights
- My own soul's warning
- Caution
- Running towards a place
Tracklist
- My own soul's warning
- Blowback
- Dying breed
- Caution
- Lightning fields
- Fire in bone
- Running towards a place
- My god
- When the dreams run dry
- Imploding the mirage
Im Forum kommentieren
Enrico Palazzo
2020-12-03 18:03:56
My God und My Own Souls Warning sind auch meine Favoriten!
El arco
2020-12-03 17:46:15
Ja das hot Fuß schlecht gealtert ist finde ich auch. Es sind dort großartige songs zu finden und klar ist mr brightside schon fast ein Evergreen aber auf Albumlänge funktioniert es irgendwie nicht mehr.
Mein Highlight hier ist der titeltrack. Der macht mir einfach so gute Laune gefolgt von my god und my own souls warning.
qwertz
2020-12-03 15:22:08
Hab's auf dieser Seite zwar schon mal geschrieben, trotzdem stimme ich hier erneut in die Lobeshymnen ein. Könnte auch meine Nr. 1 werden, was vorher ich nie für möglich gehalten hätte. Neben "Sam's Town" ihr Bestes. Das Debüt fand ich damals gut, ist meiner Meinung nach aber besonders schlecht gealtert.
musie
2020-12-03 14:15:13
Freue mich jedes Mal, wenn mal wieder My Own Soul's Warning im Radio läuft. Ihr bestes Album seit Sam's Town, aber in die Nähe eines AOTY kommts auch bei mir nicht.
Gordon Fraser
2020-12-03 14:09:55
Naja, von AOTY weit entfernt, aber mit Sicherheit das beste Killers-Album seit "Sam's Town". Ich höre es immer noch gern und bin jedes Mal erstaunt, wie sie hier endlich mal wieder den Pomp und den Pop gleichermaßen gut dosiert haben.
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