Zugezogen Maskulin - 10 Jahre Abfuck

Four / Sony
VÖ: 07.08.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

K(l)eine heile Welt

Zugezogen Maskulin haben ein Problem: Sie sind weder blöd noch ignorant und wissen genau, wie der falsche Hase läuft. In einer zunehmend verrohten und zerrissenen Gesellschaft, wo Hass und Gewalt keine Ausnahme sind und Faschos durch die Straßen marschieren und in Parlamenten sitzen. Und in einer Szene, die dominiert wird von erfolgsgeilen Hohlbratzen, die zwar das Maul aufreißen, aber nichts zu sagen haben und Verbrüderung mit den Fans simulieren, um ihnen auch noch das letzte Geld aus der Tasche zu ziehen. Weil Moritz Wilken und Hendrik Bolz alias Grim104 und Testo das alles aber immer noch nicht rotzegal ist, schieben sie auf Album Nummer vier mächtig schlechte Laune. "10 Jahre Abfuck" ist das Dokument einer Dekade des Niedergangs und verschmilzt Band- und Zeitgeschichte zu einem galligen Brocken Deutschrap. Besonders gefallsüchtig waren Zugezogen Maskulin noch nie, doch wenn der Titeltrack zum großen Rundumschlag ausholt und dazu leiernde Synthies das Trommelfell malträtieren, dann ist das mit voller Absicht nur schwer verdaulich. Und gerade deswegen so gut und so wichtig.

Dieser erste Schlag in die Magengrube ist kein Ausrutscher, dahinter steckt ein Programm. Zugezogen Maskulin verpacken ihre Frustration und Wut nicht in wattigen Wohlklang, drücken ihre Ablehnung nicht allein auf Ebene der Lyrics aus. Stotternde Bässe und zerhackte Samples finden sich auf "10 Jahre Abfuck" zuhauf, während die Dichte an eingängigen Hooks im Vergleich zu "Alle gegen alle" wieder merklich abgenommen hat. Grim104 und Testo setzen ganz auf Konfrontation – was nicht verhindern kann, dass Tracks wie "Der Erfolg" und "Fans", die beispielhaft besonders unangenehme Auswüchse im HipHop aufs Korn nehmen, zwar in der Sache alles richtig, es sich aber insgesamt vielleicht etwas zu einfach machen. Das gilt schon weniger für "Tanz auf dem Vulkan", das Anspruch auf die Nachfolge von Antilopen Gangs "Beate Zschäpe hört U2" erheben kann. Wie Testos Part die Kontinuität der deutschen Zustände von 1968 über die Wendezeit bis hin in die Gegenwart aufrollt, ist perfekt auf den Punkt gebracht und legt den Finger in die Wunde. "Plötzlich sind wieder paar Ausländer tot / Plötzlich fallen Schüsse vor Synagogen / Und Rechtsradikale gewinnen an den Urnen / Das sind Traditionen von Schweigen und Gewalt / Wann ziehen wir uns endlich den Stachel aus dem Fleisch?"

Zugezogen Maskulin sind nicht blöd. Sie sind sogar ziemlich clever und wissen auch um die einlullende Gefahr des zustimmenden Schulterklopfens und um die Widersprüchlichkeit nicht zuletzt der eigenen Position. Weil es aber kein sicheres Hinterland gibt und die Vereinnahmung überall lauert, zelebriert "Dunkle Grafen" die große Verweigerung aus Trotz mit diebischer Freude: "Brauch' keinen Schulterklopfer von 'nem Journalist / Für den ein neuer Klick-Rekord ein Gütesiegel ist / Du sagst: Gute Kunst gibt immer einen Lösungsansatz mit / Ok, lass mich kurz überlegen: Schüsse ins Genick." Zur Hochform laufen die beiden immer dann auf, wenn sie ausgehend von ihrer eigenen Biografie erzählen und dabei auch die persönlichen Illusionen, die Scham und die Unsicherheit nicht unter den Teppich kehren. "Normiefest" wählt einen vergleichsweise selbstironischen Ansatz und taucht kopfüber ein in die aus Jugendtagen bekannte Tristesse zwischen Autoscooter und Kirmeszelt. Das ätzende "Rap.de" entführt in eine Zeit, als Marcus Staiger noch Sozialdemokrat war und ein gewisser Deso Dogg zwar auch schon einen an der Waffel hatte, aber den markigen Worten noch keine extremistischen Taten folgen ließ. Und heute? "Mich jagen die Zweifel, macht Fame wirklich glücklich? / Ihn jagt die YPG."

Die Deutschrapszene erscheint auf "10 Jahre Abfuck" mitunter als besonders bekloppter und von Idioten bevölkerter Mikrokosmos, ist in diesem Sinne aber im Grunde nur eine Besonderheit des schlechten Allgemeinen. Eine Line wie "Heute sitzen Fackeln und Mistgabeln schön locker / Und Juden wieder auf gepackten Koffern" findet ihre Entsprechung in der bitteren Feststellung, dass es im HipHop doch besonders "weltoffen und cool" zugeht – "außer bei Juden, Frauen, Schwulen". Womit wir beim Thema toxische Männlichkeit angekommen wären. Die nehmen sich Zugezogen Maskulin mit den Tracks "Echte Männer Freestyle" und "Jeder Schritt" vor, wobei letzterer eine überraschende Wendung vom offensichtlich machohaften Prollgehabe zum mehr oder minder versteckten Chauvinismus selbsterklärter vermeintlicher Feministen nimmt. Dass sich davon manche Kerle, die sich für besonders woke und aufgeklärt halten, auf die Füße getreten fühlen dürften, ist ebenso einkalkuliert wie die wohl erwartbare Kritik an der Beschreibung sexueller Übergriffe aus Täterperspektive. Insofern könnte man sagen: In Sachen Unbequemlichkeit einmal mehr alle Erwartungen erfüllt.

Denn nichts anderes ist das Ziel: "10 Jahre Abfuck" ist ein Album, das es dem Hörer gar nicht einfach machen will. Das bewusst herausfordert, verstört und vor den Kopf stößt. Selbstredend trieft das locker-flockige "Es war nicht alles schlecht" vor Sarkasmus und bietet "Exit" alles, nur keinen Ausweg. Doch bei aller Negativität haben Zugezogen Maskulin mit "Sommer vorbei" immerhin einen veritablen Hit zu bieten, der zudem noch einmal mustergültig zwei wesentliche Themenstränge aufgreift und zueinander in Beziehung setzt. Da ist die bittere Erkenntnis, dass mit dem Erfolg als Rapper auch die Ernüchterung wächst – Goldketten hin, Festivalbühnen her. Und da ist der omnipräsente Rechtsruck, veranschaulicht an Testos Erlebnissen während der so genannten Baseballschlägerjahre. Dass der Track seine trostlose Message in genau die sommerlichen Vibes verpackt, die er gleichzeitig negiert, und dann in der Hook sogar noch etwas Klima-Apokalypse obendrauf packt, ist in der Summe so irrwitzig wie genial. Ausnahmsweise machen Zugezogen Maskulin hier mal gute Miene zum bösen Spiel. Keine Überraschung: Auch das ist hörenswert.

(Markus Huber)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • 10 Jahre Abfuck
  • Rap.de
  • Sommer vorbei

Tracklist

  1. 10 Jahre Abfuck
  2. Der Erfolg
  3. Tanz auf dem Vulkan
  4. Rap.de
  5. König Alkohol
  6. Normiefest
  7. Echte Männer Freestyle
  8. Sommer vorbei
  9. Dunkle Grafen
  10. Jeder Schritt
  11. Fans (feat. Ahzumjot)
  12. Es war nicht alles schlecht
  13. Exit
Gesamtspielzeit: 43:49 min

Im Forum kommentieren

Jack the real Wiesel

2020-08-18 06:47:28

Ja, MEGAAAAA....bei Normie-Fest könnte man fast denken, dass die Hook von Nico K.I.Z ist...

Aber jetzt mal im ernst: Ich find die Platte sehr gut. Ich mag auch sehr die stressigen Elemente wie zum Beispiel auf "Rap.de" in der Hook oder das skizzenartige "Echte Männer Freestyle". Das lockter das Ganze irgendwie auf.

All Crips are Bloods

2020-08-07 16:37:18

Bin etwas enttäuscht. Langweiliger als die letzten Platten und in einigen Songs drängt sich zum ersten mal ein gerechtfertigter KIZ-Vergleich auf. Kaum interessante Perspektiven, viel erwartbares.

AndreasM

2020-08-07 12:59:04

Erscheint ja heute, ich werde also bald mal in Gänze reinhören. Die Rezension klingt auf jeden Fall schon mal vielversprechend und so, als wäre auch eine höhere Wertung drin gewesen.

Armin

2020-07-31 21:43:20- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2020-07-10 12:23:41- Newsbeitrag

Zugezogen Maskulin veröffentlichen heute die neue Single "Sommer Vorbei" samt Video aus ihrem Anfang August erscheinenden Album!

Liebe Freunde, liebe Medienpartner,

in knapp einem Monat ist es soweit und das dritte Album von Zugezogen Maskulin erscheint unter dem Titel „10 Jahre Abfuck“. Nach den bisherigen beiden Vorabtracks „Exit“ und „Tanz auf dem Vulkan“ wird heute mit „Sommer vorbei“ die nächste Single des Duos veröffentlicht. Dazu haben die beiden auch ein sehr unterhaltsames Video gedreht.

Den Clip zu "Sommer Vorbei" gibt es hier zu bestaunen.

Der Sommer gilt als unumstrittener König der Jahreszeiten. Keiner anderen Saison werden mehr Liebeslieder, Hymnen und Huldigungen gewidmet. Ein goldener Herbsttag kann noch so gemütlich sein, mit Kastanientierchen und einen schönen Kakao vor dem Kamin, ihm wird trotzdem nie so ein großes Oho entgegengebracht, wie einem brüllend heißen Augustnachmittag, an dem man sich den klebrigen Schweiß aus dem Gesicht wischt, mit glasigen Augen die brennende Sonne fixiert und sich doch noch ein Bier aufmacht, obwohl man vielleicht mal eine Pause machen sollte. Aber was wäre, wenn dieser Augustnachmittag, dieser Sommer, kein Ende findet? Wenn das Geschrei der Badegäste immer schriller wird, die Wespen immer aggressiver um's längst geschmolzene Eis surren, wenn die Sonne nicht mehr wärmt, sondern verbrennt, versengt und unerbittlich all die Makel und Traumata ausleuchtet, die man an einem Tag am See gerne vergessen würde.

Und so erzählen Zugezogen Maskulin auf „Sommer Vorbei“, ihrer neuen Single aus dem am 07.08.2020 erscheinendem Album „10 Jahre Abfuck“, von ihren Horror-Sommern: grim104 nimmt uns in eine gar nicht so lange vergangene Vergangenheit, in einen Festivalsommer, in dem Bühnen und Gagen immer größer werden und die Freude daran immer kleiner: „Depressiver König Midas/ Was ich anfass: Gold!/ Stapel Scheine immer höher/ hoffentlich treff ich bald Gott“. Mit dem Tod geliebter Menschen löst sich eine Welt auf, aber: The Show must go on, der nächste Backstage ruft und im Hotel wird wieder mit dürren, langen Fingern die eigene Seele befingert: „Die gelbe Sonne lacht/ legt mir Strahlen auf die Schulter, die mich wärmen sollen, ich zieh die Vorhänge runter/ Schlafe wie ein Baby, was in etwa heißt/ dass ich alle drei Stunden wach werd und wein'“.


Und Testo? Dessen Zeitmaschine landet in Ostdeutschland, in den Ruinen eines gerade erst untergegangenen Staates. Es sind die ersten Sommer im geeinten Deutschland, aber es mag kein richtiges Funbad-Feeling aufkommen, wenn in den aufgeheizten Nächten finstere Parolen durch die Dunkelheit donnern und er dabei zusieht, Faustrecht und giftige Männlichkeit wie ein verseuchter Regen in sein Kinder-Ich, in seine älteren Brüdern und Cousins einsickert, in die Schwachen und Weichen und Fremden. „Vom Himmel brennt die Gelbe Sau/ in deim' Gesicht 'ne fremde Faust/ Trabbi fährt vorbei, alle rümpfen die Nase/ spuck auf den Boden/ Salzige Marmelade“. Und während Badestrand und Schwimmbad von Männern mit kurzen, blonden Haaren eingenommen werden, bleibt den anderen nur die Flucht in die heimische Höhle, „Kissen über'n Kopf, wenn sie um's Bett rumtanzen/ Dunkle Blöcke die unendlich in den roten Himmel wachsen“.

Und dabei klingt „Sommer Vorbei“ melancholisch und leichtfüßig, süß und bitter, nach einem Aperol Spritz-Glas, in dem eine Wespe ertrinkt, nach einem Sommerabend, an dem sich das Rot des Himmels langsam blau färbt. Der Beat von Silkersoft lässt die dritte Single-Auskopplung von Zugezogen Maskulin traurig und warm klingen, nach Summertime Sadness in Zeiten von Corona, Massenprotesten und brennenden Kontinenten.

Sowieso: Dass dieser rauschhafte Rückblick trotzdem so zeitgeistig, weltläufig und aktuell klingt, ist vor allem Ahzumjot zu verdanken, der als Executive Producer auf „10 Jahre Abfuck“ gearbeitet hat. Der 30-Jährige Hamburger hat für die Platte ein minimalistisches und elegantes Soundbild entworfen, in den Produktionen wurde jeder unnötige Pomp abgestoßen, kein Geigen-und-Piano-Pathos, sondern finstere Bass-Music und zerhackte, zerschnittene Samples, die ineinander gewirbelt werden.

Und bei aller Modernität, es klingt nie glatt, nie beliebig, immer werden Kanten und Brüche in die Songs eingebaut. Diese Weirdness blitzt immer wieder auf den Produktionen von Silkersoft auf, der neben Ahzumjot für die Beats auf dem dritten Studio-Album von Zugezogen Maskulin verantwortlich ist.

Und so ist „10 Jahre Abfuck“ Rückschau und Aufbruch zugleich: In einen eleganten und hypermodernen Sound eingepackt, schreiben grim104 und Testo über längst verblasste Anfänge, wühlen im Morast zwischen der Kindheit und ersten Gehversuchen auf Bühnen, Beziehungen und Selbstbehauptungen. Und blicken gleichzeitig in eine Zukunft, die alles sein kann: Hamsterrad oder Emanzipation, strahlende Zukunft oder, hoffen wir es nicht, 10 JAHRE ABFUCK.



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