My Morning Jacket - The waterfall II
ATO / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 10.07.2020
Ihr wollt kein Liebeslied
Hahaha, ach ja, die naive Jugend. Da schrieb eine gewisse Rezensentin im 2015er-Text zu "The waterfall" doch tatsächlich voller Hoffnung solche Sätze wie "... steht das nächste Album für 2016 bereits in den Startlöchern" und "... dauert es vielleicht wirklich nicht so lange bis 2016, wenn My Morning Jacket ihre Hörerschaft auf eine weitere Reise mitnehmen" und glaubte das auch noch selbst. Träum weiter, Schätzelein! Frontmann Jim James hat sich in den letzten Jahren lieber seiner Solokarriere gewidmet, von My Morning Jacket als Band hörte man seitdem bis auf ein paar Konzerte hier und da nicht viel. Bis jetzt: Rund fünf Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Teils ist "The waterfall II" nun endlich da. Das Album, das ebenfalls während des Aufnahmeprozesses zum Vorgänger entstanden ist, dreht sich um eben jene zerbrochene Beziehung, die schon damals Thema war. Niemals enden wollende Trauerarbeit also? Das möchten wir doch schwer hoffen!
Zumindest mit dem gefühlten zeitlichen Abstand jedoch mutet "The waterfall II" fast wie eine andere Blickrichtung an. War Teil eins noch aus der frisch zerrütteten Zweisamkeit entsprungen und entsprechend unruhig, folgt hier der milde, selbstreflektierende Bewältigungsprozess. Und damit auch irgendwie ein idealer Wegbegleiter für diesen gelinde gesagt etwas anderen Sommer 2020, der von den größtenteils sanften Tönen einen angemessen beruhigenden Soundtrack verpasst bekommt. "Welcome home" etwa könnte wirklich kaum noch tröstender, heimeliger, herzlicher sein mit seinen countryesken Folk-Anleihen und der Samtstimme eines auf Hochtouren arbeitenden James, bis man sich sogar an gänzlich fremden Orten wie daheim fühlen dürfte. Auch der Opener "Spinning my wheels" setzt auf Streicheleinheiten statt auf Arschtritt und steht damit nicht nur im kompletten Gegensatz zu seinem Teil-eins-Pendant "Believe (Nobody knows)", sondern auch überaus gut da: Wenn ein derart reduzierter Start in ein Album mit so wenigen Mitteln so viel Lust auf den Rest macht, will das schon was heißen.
Aber My Morning Jacket wären eben auch nicht My Morning Jacket, wenn sie den Hörer nicht genau da anpacken würden, wo es manchmal auch arg schmerzt. "All I wanna do is feel you", heißt es dementsprechend im souligen "Feel you", das sich mit viel Piano und noch mehr Kitsch rosabebrillt in die Vergangenheit zurückwünscht. Derweil stellt sich "Beautiful love (wasn't enough)" allerlei Fragen, auf die es ohnehin niemals Antworten bekommen wird – und wahrscheinlich auch gar nicht haben möchte – und klingt dabei stellenweise so extrem nach John Lennon, das man sich fragt, ob James & Co. in den letzten Jahren womöglich mit dem Bau einer Zeitmaschine beschäftigt waren. Andererseits klingt die lässige Marlboro-Mann-Melancholie von "Run it" mit Alabama Shakes' Brittany Howard als Backing-Vokalistin so zeitlos nach My Morning Jacket, dass man hier wohl doch von klassischer Vielfältigkeit ausgehen muss. Soll es ja auch geben.
Nun will man, ähnlich wie in vergangenen Beziehungen, natürlich nicht die alten Fehler wiederholen, aber ein bisschen Vorfreude sollte erlaubt sein, denn: "The waterfall III", oder wie auch immer der dritte Teil heißen könnte, soll angeblich ebenfalls bereits fertig sein. Den möchte die Band jedoch erst veröffentlichen, wenn Konzerte wieder gefahren- und mehr oder weniger bedingungslos möglich sein sollen. Bis dahin versüßen das bereits bekannte "Magic bullet" sowie die astreine Psychedelic-Pop-Perle "Wasted" die Wartezeit – wenn es sein muss, dann eben auch die nächsten fünf Jahre. Zu entdecken gibt es glücklicherweise viel, selbst zum Schluss noch, wenn "The first time" sicher nicht ohne Augenzwinkern "Oh, I wonder where the time went" in die Runde fragt. Tja, wohin eigentlich? Bleibt nur noch eine wundersame Erkenntnis: Wenn Jim James aus einem Beziehungsende so viel wunderbare kreative Kraft gewinnt, wie großartig tönt es denn dann erst, wenn er nicht nur Glück in der Musik, sondern auch in der Liebe hat?
Highlights & Tracklist
Highlights
- Magic bullet
- Run it
- Wasted
Tracklist
- Spinning my wheels
- Still thinkin
- Climbing the ladder
- Feel you
- Beautiful love (wasn't enough)
- Magic bullet
- Run it
- Wasted
- Welcome home
- The first time
Im Forum kommentieren
hesmovedon
2020-09-06 10:38:22
Dieses Album geht für mich auch eher Richtung Pop/Folk/Country.
Welche Untergruppe davon ist doch nicht so wichtig, die Grenzen überschneiden sich sowieso oft.
Zu den Referenzen fällt mir ein: Merury Rev, The Antlers, Tame Impala
kingbritt
2020-09-01 14:28:03
. . . auf der Platte sehr wohl. Alles drauf.
Indie rockart rockpsychedelic rockalternative countrySouthern rockjam Americana IndiePop DreamPop
Gordon Fraser
2020-09-01 14:20:52
DreamPop/Indie-Pop
Gibt gerade in diesem Forum kaum einen Genrebegriff, das so oft falsch verstanden/verwendet wird wie dieses - aber MMJ machen nun beim besten Willen keinen Indiepop. :D
kingbritt
2020-09-01 10:10:51
My Morning Jacket - waterfall II (2020) 8/10
DreamPop/Indie-Pop mit noch nicht verwendetem Material/Aufnahmen 2013-2015 zum Album Waterfall.
Der opener „spinning my wheels“ kommt wunderschön verträumt in bester Mercury Rev Manier und den schwebenden 10cc aus Urzeiten daher. Die Stimme Jim James hat was besonderes, sandig betont und etwas kindlich und zerbrechlich. Still Thinkin ist leicht und unbeschwert westcoastmäßig. Die Tracks sind vom Stil und Tempo recht abwechslungsreich zusammengestellt. Musikalisch sind auch einige Einflüsse von Klassik bis Jazz verarbeitet und fein auch das ein oder andere Instrumenten- und Studio-Gimmick. Gut zu hören das Album, ja der Waterfall II landet gut im Fluß.
hesmovedon
2020-08-03 20:09:38
Ein ruhiges entspanntes Album, wenn man so will, das "Sky Blue Sky" von MMJ.
Ohne echte Highlights, dafür durchgehend stark. Sehe es auf einer Stufe mit Waterfall I
An die Meisterwerke "Z" und "It Still Moves" reicht es nicht ganz heran, aber das war auch nicht zu erwarten.
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