Jarv Is... - Beyond the pale

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 17.07.2020
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Field commander Cocker

Er ist schon ein Schlawiner, dieser Jarvis Cocker. Nachdem er das Kapitel Pulp nach einem gelungenen Kurzcomeback engültig zu den Akten gelegt hatte, machte er sich rar. Dass irgendetwas fehlte, wurde ihm wahrscheinlich schnell bewusst. Also suchte er sich ein paar fähige Mitstreiter und gründete ein neues Projekt. Der Name? Jarv Is... - Eigenschreibweise "JARV IS...". Understatement geht anders, aber wer den teils etwas verqueren Humor des Briten kennt, weiß, dass er sich selbst zwar wichtig, aber nicht immer ernst nimmt. Das Debüt "Beyond the pale" klingt trotzdem genau so wie erwartet. Und das ist nicht schlimm, im Gegenteil: Dass der mittlerweile 56-Jährige noch einmal Lust auf Pop im Breitbildformat bekommen hat, ist ein Glücksfall für all jene, die noch immer mit den Tränen in den Augen die "Different class"-LP umklammern. Denn "Beyond the pale" weckt nicht nur Erinnerungen, es hievt den altbekannten Sound erfolgreich in die Gegenwart.

Freilich sind die Jahre nicht ganz spurlos an der Stimme des Protagonisten vorbeigegangen. Tiefer, sonorer klingt sie, manchmal sogar schon ein bisschen brüchig. Wenn er im Opener "Save the whale" die ersten Verse raunt, wird sogar ein kurzer Kontrollblick nötig. Ist das wirklich Jarvis Cocker und nicht ein verschollenes Leonard-Cohen-Album aus den Achtzigern? Doch schon aufgrund des unverkennbaren englischen Akzents des Sängers erübrigen sich derlei Gedankenspiele rasch. Trotzdem ist die Cohen-Referenz passend: Zu den grummeligen Zeilen Cockers gesellt sich nämlich schnell ein weiblicher Backgroundchor. Dann geht die Tür auf und herein kommt ein halbes Orchester, um sicherzustellen, dass das Mischpult ausgelastet ist. Altersmilde ist der Sänger freilich nicht geworden. Noch immer beobachtet er genau, was ringsum geschieht und kommentiert das eigene Leben und jenes der anderen mit teils beißendem Spott.

Sinnbildlich hierfür stehen die rhetorischen Fragen, die sogar in den Songtiteln gestellt werden. "Must I evolve?", lautet so eine. Die Antwort fällt typisch aus: Wahrscheinlich schon, aber nur, weil es nicht anders geht. Die Musik mag nicht spektakulär sein, sie dient aber der Party. In "House music all night long" bleibt das lyrische Ich jedoch daheim. Sehnsucht nach draußen, der Zeitgeist spukt vorbei. Dabei durchweht auch diesen Song ein melancholischer Unterton. So ganz loslassen kann Cocker nie, der Kopf diktiert letzten Endes den Körper. Das Ringen mit dem Wahn lauert stets hinter der nächsten Ecke. In "Sometimes I am Pharaoh" beschwört Cocker den ewigen Bowie herauf und berichtet in impressionistischen Bildern von den Unzulänglichkeiten des Selbst.

Angst vor übertriebenem Kitsch gab es im Hause Cocker ebenfalls nie. Wenn er sich in "Children of the echo" mit seiner Kollegin Serafina Steer duelliert, zaubert das ein Schmunzeln auf die Lippen. "Tongue in cheek", nennt der Brite das. Oder auf Deutsch: Der Schalk sitzt stets im Nacken. Musikalisch gefällt auch dieser Track mit einer Mixtur aus Britpop, Hippietum und elektronischer Verfremdung. "I have created an all-seeing, all-knowing, allmighty entity, who does not care about me one bit", lautet der zentrale Vers. Danach vergeht die Welt in Schönheit. Zwischen den Zeilen, zwischen den Zeiten eiert er herum, dieser Jarvis Cocker. Selten greifbar, immer faszinierend. Auf der Suche nach sich findet er glücklicherweise noch immer den Weg zur Musik. Bis zum Ende ist es ja auch noch ein bisschen hin. Hoffentlich.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Must I evolve?
  • House music all night long
  • Children of the echo

Tracklist

  1. Save the whale
  2. Must I evolve?
  3. Am I missing something?
  4. House music all night long
  5. Sometimes I am Pharaoh
  6. Swanky modes
  7. Children of the echo
Gesamtspielzeit: 40:19 min

Im Forum kommentieren

Klaus

2020-07-29 14:10:29

Hinten raus erinnert mich das in seiner Art sehr an Damon Albarns "Everyday Robots"

The MACHINA of God

2020-07-29 13:51:26

Nur Musik hören, die man nicht mag. Gruselig.

Xavier

2020-07-28 18:44:32

Jarvis ist nur noch eine Lemure von Leonard Cohen. Gruselig.

The MACHINA of God

2020-07-27 18:28:49

Wow. Bin überrascht, wie gut mir das gefällt. Besonders der Opener.

hidden

2020-07-22 20:41:24

Der erste Song klingt mehr nach Leonard Cohen, als 90% der Leonard-Cohen-Songs

Fiel mir auch sofort auf. Und beim ersten Song blieb es längst nicht. Solides Album insgesamt, 7/10.

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