Joachim Witt - Rübezahls Rückkehr

Ventil / The Orchard / Sony
VÖ: 08.05.2020
Unsere Bewertung: 1/10
1/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Oh je! Oh je!

Er ist wieder da. Beziehungsweise: "ICH BIN IMMER NOCH HIER!!!", wie es einem der Leibhaftige im gleichnamigen Song wiederholt entgegen schreit. Die Rede ist von Joachim Witt, der unlängst seinen 71. Geburtstag feiern durfte und zwei Jahre nach seinem Album "Rübezahl" nun den Nachfolger präsentiert. Was bei der Anhängerschar vermutlich Entzücken hervorruft, dürfte anderen einen Schauder über den Rücken jagen. Dass die Witt-Fans dieser Welt nicht unbedingt in der Plattentests.de-Redaktion sitzen, wo sich die Last mit den Alben und Jahren schon auf viele verschiedene Schultern verteilte, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Wirklich so: Im Vorfeld der Rezension ließ uns die Promoterin wissen, dass dessen Management aufgrund der letzten Reviews zu Joachim Witt nicht wolle, dass Plattentests.de mit dem Album bemustert wird. Obwohl doch auf seiner Homepage zu lesen ist: "Er stellte sich schon immer, manchmal provokativ, seinen Kritikern [...]." Schade. Schließlich hat der Rezensent, den das glückliche Los dieses Mal auserkoren hat, in weitestgehender Unkenntnis des Witt'schen Œuvre den festen Vorsatz getroffen, sich offen und unvoreingenommen "Rübezahls Rückkehr" zuzuwenden. So schlimm wird es schon nicht werden. Und er ist doch schon auch 'ne Type, der Joachim. Was man halt so denkt, wenn man naiv und ahnungslos ist.

Denn "nicht so schlimm" beschreibt es nicht einmal annähernd. "Rübezahls Rückkehr" ist das Grauen. Eine Heimsuchung. Ohne Wenn und Aber. Und weil "Der Herr der Ringe"-Anspielungen bei all dem düsteren Fantasy- und Märchenschmonz leider weiterhin aktuell und angebracht sind: Sollte Uwe Boll jemals ein Remake drehen, mit Til Schweiger als näselndem Legolas und Yvonne Catterfeld in der Rolle der holden Elbenherrscherin Galadriel, das hier wäre der perfekte Soundtrack. Was auf diesem Album dargeboten wird, ist ausnahmslos so unbegreiflich, dass man zwangsläufig ins Grübeln gerät, ob das alles nicht ein großes Missverständnis ist, ob man das Wesentliche vielleicht nicht völlig verkennt? Sind die vor Klischees und Nonsens strotzenden Texte – "Mein Herz schlägt nicht nur am Freitag / Es schlägt schon Jahre auch montags / Wie lange warst Du von mir schon nicht mehr berührt?" – , die der große Zampano voller Inbrunst vor sich hinknödelt, in Wahrheit dadaistische Sprachkunst? Und ist die Mischung aus Kirmes-Gothic, abgedroschen Neue-Deutsche-Härte-Riffs und fadem Orchesterpomp, die alle Grenzen des guten Geschmacks weit hinter sich lässt, im Sinne Susan Sontags gar irgendwie "campy"?

Ist die Platte also so schlecht, dass sie fast schon wieder gut ist? Fragen wie diese erwachsen der puren Verzweiflung. Wenn man "Rübezahls Rückkehr" wie auch seinem Vorgänger überhaupt etwas zugute halten mag, dann, dass hier jemand um Originalität bemüht ist und mutmaßlich einer Art künstlerischen Vision folgt. Oder dem, was er dafür hält. Im Vergleich zu den einschlägigen Deutschpop-Luschen mit ihren immer gleichen und austauschbaren Larifari-Songs ist das zumindest etwas. Witt ist einzigartig. Allerdings auch einzigartig mies. "Wo liegt die Störung? Was ist verdreht?", salbadert er in "Steinzeit" – und man weiß gar nicht, wo man anfangen soll. In der unfreiwilligen Rammstein-Parodie "Kopfschwul" bahnt sich dagegen sogar so etwas wie Einsicht an: "Oh je / Oh je / Das wird nicht jeder verstehen." Zwar geht es hier sprachlich gewohnt unbeholfen um Witts platonische Liebe zu Männern, doch bezogen auf dieses Machwerk möchte man laut ausrufen: Ja, ich jedenfalls nicht! Kein Verstehen, kein Verständnis, tut mir leid! Ich habe es wirklich versucht, Joachim, sorry! Das nächste Album wird dann wohl auch nicht bemustert werden, aber was will man machen? War schön mit Dir. Oder auch nicht. Um zum Abschluss noch einmal Deine eigenen unnachahmlichen Worte zu bemühen: "Du trägst die wilden Gedanken vom Wipfel des Geistes ins Licht." Tja nun. Dann ist das wohl so.

(Markus Huber)

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Highlights & Tracklist

Highlights

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Tracklist

  1. Geist an das Licht
  2. Kopfschwul
  3. Die Rückkehr
  4. Schmerzende Welt
  5. Gib mir den Himmel
  6. Steinzeit
  7. Ich bin immer noch hier (feat. Eklipse)
  8. Wo blüht der Mohn
  9. Zora (feat. Gergana Dimitrova)
  10. Rote Tränen
  11. Windstille
Gesamtspielzeit: 50:59 min

Im Forum kommentieren

Christopher

2021-02-02 20:28:28

Ich mag sein erstes Album sehr. Das ist überragend.

No Filler

2021-02-02 20:17:23

Ich oute mich...

Ich bin Witt Fan.

Ich bin mir auch nicht sicher wie viel von dem was er von sich gibt unironisch ist (Steinzeit, Dämon, Kopfschwul... Wo blüht der Mohn sprechen meines erachtens doch nun wirklich eher für Ironie)

aber genau das macht doch die klasse der Musik aus. Werde jetzt nicht weiter ins Detail gehen, aber im Stadion zu hits wie "Schmutz" oder "Supergestört" abzugehen oder Klassikern wie eben "Ich bin Schwul" (einem der besten Torch Songs aller Zeiten ; )) ABZUGEHEN ist einfach klasse

Witts Musik war nie originell oder besonders stark. (z.B. auf Bayreuth 3 wird wirklich unter aller Sau musiziert) aber gerade auf den letzten Beiden hab ich da eine deutliche Verbesserung gespürt.

Naja bin Prog Fan hab also eh Hang zum Pathos

Schön dass ich hier mal wieder richtig was fillen konnte

in Liebe

Euer No Filler

Saftnase multipliziert endlos

2020-05-14 12:39:58

Er grunzt

Superhelge

2020-05-14 09:39:39

@edegeiler: cool, danke für den Hinweis.

Ich hab ja seit 2000 (wg. des guten Batallion D'Amour Covers) in nix mehr von Witt reingehört, außer die Vorab-Singles und wenn ein Video mal wieder als skandalös bezeichnet wurde...

Also mittlerweile kann ich mir einiges wirklich gut anhören, nur die Texte und Songnamen schmerzen teils doch arg, sind aber auch ein paar okaye dabei...

kingbritt

2020-05-14 08:45:07


. . . ohne den Thread hier hätte ich den goldenen Witt links liegen gelassen. Wenn das Album so auf Grotte ist, hör ich mal rein. Auch ein Effekt, aber manchmal wird daraus auch Kult!

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