Nightwish - Human. :II: Nature.

Nuclear Blast / Warner
VÖ: 10.04.2020
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Kitchen impossible

Vor fünf Jahren stellten wir fest, dass es verdammt leicht sein kann, Nightwish nicht zu mögen. Das galt zur Veröffentlichung von "Endless forms most beautiful" und gilt heute komischerweise immer noch. Denn egal, wie man zum Symphonic Metal der Finnen stehen mag – Nightwish haben dieses Genre geprägt wie kaum eine zweite Band. Und mögen auch Heerscharen von Epigonen versucht haben, dieses Erfolgsrezept zu kopieren – mit minimalem Erfolg übrigens – die Band selbst hat über die Jahre immer wieder versucht, sich und das Genre neu zu erfinden, die Grenzen zu verschieben. Im Grunde genommen war es also nur mäßig überraschend, als Bandchef Tuomas Holopainen ankündigte, mit dem neuen Album etwas Einzigartiges erschaffen zu wollen. Dass der Titel "Human. :II: Nature." schon mal einzigartig sperrig daherkommt, hat er vermutlich nicht damit gemeint, aber sei's drum.

Nun ist mit vollen Hosen bekanntermaßen gut stinken, und so nutzen die Skandinavier ihre Marktführerschaft schon einmal rein akustisch gleich zwei Mal. Zum einen sind die Zeiten, zu denen sich die Band in einen Proberaum verkroch und einfach mal drauflos zockte, offenbar passé. So ein Orchester muss schon sein, wenn es schön bombastisch klingen soll, und dann bitte direkt das London Session Orchestra, das ansonsten für zahlreiche Film-Scores verantwortlich ist. Zum anderen allerdings lässt sich Holopainen auch in Sachen Produktion nicht lumpen. Oder anders gesagt – verdammte Axt, klingt die Platte gut. Zu gut, mögen manche anmerken, für die Metal immer noch ein bisschen dreckig sein darf – doch solcherlei Ecken und Kanten sind im Sound der Finnen schon längst abgehobelt worden.

Höher, schneller, weiter soll es also gehen – ein Konzept, das durchaus Gefahren birgt. Schon der Opener "Music", der mit vielen Sound-Experimenten die Geschichte der Musik zu vertonen versucht, klingt seltsam überambitioniert. Fast ist es eine Erleichterung, wenn nach mehr als drei Minuten endlich Frontfrau Floor Jansen zum Einsatz kommen darf. Viel besser macht es im Anschluss "Noise", das breitbeinig rockt und durch das Orchester genau an den richtigen Stellen die nötige Opulenz findet. Hier endlich zeigt sich, welch Glücksgriff Jansen für die Band ist – die Niederländerin trällert, jubiliert, faucht und keift ohne erkennbare Mühe – ganz so, als sei ihr überragender Gesang ein weiteres Instrument, das wie bei "Shoemaker" immer wieder die kompositorischen Stränge Holopainens zusammenfügt. Denn eines wird mit zunehmender Spieldauer deutlich: Immer wieder stellt sich ein gewisses Völlegefühl ein, fällt es schwer, den überfrachteten Songs zu folgen.So verliert sich immer wieder die Struktur hinter dem Bombast und überfordert die Hörerschaft zusehends. Wohlgemerkt, für sich genommen sind Songs wie das heftig rüpelnde "Tribal" absolut gelungen, doch im Kontext verheddern sich Nightwish eben auch immer wieder im wagneresken Pomp.

Wem das dunkel bekannt vorkommt – Blind Guardian haben sich auf ähnliche Weise von ungestümen Speed-Metallern zu verkopften Metal-Symphonikern verwandelt, bei denen live eben nur noch bei den vielzitierten alten Sachen Stimmung aufkommt. Exemplarisch dafür steht das mehr als 30 Minuten lange Instrumental-Opus "All the works of nature which adorn the world", das nicht nur die Sängerin in Kurzarbeit schickt. Wenn man es positiv formulieren will, ist dieses Werk bestenfalls ambitioniert. Man könnte es auch als Egotrip Holopainens und demzufolge völlig unpassend für eine Nightwish-Platte bezeichnen. Noch einmal: Handwerklich ist das ohne jeden Zweifel ganz großes Kino. Was jedoch nicht nur diesem Longtrack, sondern dem Album auf kompletter Länge fehlt, ist der Fluss, sind die mitreißenden Momente, die Ecken und Kanten. Im Labelinfo wird Holopainen mit einem Sternekoch verglichen, und der Vergleich trifft im Grunde genommen ganz wunderbar. Ja, Sterneköche sind imstande, aus vielen Komponenten ein atemberaubendes Mahl zu kreieren, eine Explosion verschiedener Geschmäcker, auf den Punkt zusammenkomponiert. Das findet der Kopf auch toll, nur das Herz sehnt sich auf Dauer nach dem guten alten Eintopf von Muttern. Auf "Human. :II: Nature." übertragen bedeutet das, dass der gemeine Metalhead nach dem Genuss der Platte wohl erstmal eine Stunde Motörhead braucht. Wohl bekomm's.

(Markus Bellmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Noise
  • Pan
  • Tribal

Tracklist

  • CD 1
    1. Music
    2. Noise
    3. Shoemaker
    4. Harvest
    5. Pan
    6. How's the heart
    7. Procession
    8. Tribal
    9. Endlessness
  • CD 2
    1. All the works of nature which adorn the world
Gesamtspielzeit: 81:47 min

Im Forum kommentieren

Marküs

2020-07-22 10:41:08

Die erste Platte ist schon großartig. Da wird viel Neues probiert, absolut richtig. PopMetal vom Feinsten. Die zweite Scheibe ist über wie ein Kropf. So Filmmusik. Hab ich tatsächlich 8 mal gehört. Irgendwie öde.

Wolf

2020-07-21 13:36:11

Die Rezension passt schon. Hab die Band eigentlich erst jetzt entdeckt und finde das sehr gut. Vor allem der großartige Sound ist für mich kein Makel. Da nehme ich fehlende Ecken und Kanten, so sie denn zu so einem Sound überhaupt passen würden, gerne in Kauf.

Thomas W

2020-06-19 13:04:17

Recht geschmackige Rezension. Finde die Platte dennoch sehr gut, weil sie mal was Neues ist. Diese Platte ist nun mal nicht die immer gleiche Suppe um Erfolg zu haben. Hier wurde was riskiert. Ich finde es toll.

Armin

2020-04-22 21:16:10- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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