M. Ward - Migration stories
Anti / IndigoVÖ: 03.04.2020
Erzähl mir was
Auch wenn er es der Menschheit gemeinsam mit ein paar Kumpels für eine Weile eintrichtern wollte: So ein richtiges Monster ist M. Ward ja gar nicht. Eigentlich überhaupt nicht. In seiner Ende der Neunzigerjahre gestarteten Karriere hat er allerhöchstens bewiesen, dass er monströs talentiert ist – und ein verdammt guter Geschichtenerzähler. Viel mehr als seine sanfte Stimme und eine Gitarre braucht er für seine entspannten Folknummern in der Regel nicht, wenngleich er so gut wie immer mit feiner Instrumentierung aufwartet. So auch auf seinem nunmehr zehnten Studioalbum "Migration stories", das er mit der Hilfe der beiden Arcade-Fire-Mitglieder Tim Kingsbury und Richard Reed Parry aufgenommen hat.
Nach dem 2016er-Werk "More rain" und dem zwei Jahre später in Eigenregie veröffentlichten "What a wonderful industry" zeigt sich M. Ward auf "Migration stories" von seiner besten, bekanntesten Seite: Elf Songs direkt vom Lagerfeuer in der Wüste, von der Frontveranda des kleinen Südstaaten-Hauses, vom Rücken des liebgewonnenen Pferdes aus. Mit Ward schmeckt man den Sand förmlich auf der Zunge, spürt die Melancholie des Fernwehs und gleichzeitig die Vertrautheit der Heimat. Schon der Opener "Migration of souls" holt den Hörer ab und entführt ihn in eine Welt, die er wahrscheinlich nur vom Kino kennt, mit Gefühlen für eine Person, die wie in einem Traum kein richtiges Gesicht hat und doch der wichtigste Mensch der Welt ist: "Sailing on past / Space and time, that's / How I'll get back to you."
"Shut the door on yesterday", empfiehlt hingegen das countryeske "Coyote Mary's traveling show", in dem Wards Stimme wie auf einer Achterbahn auf- und abfährt, aber nie ins Stolpern gerät: Der Cowboy-Hut sitzt, die Jeans sowieso, und in dieser coolen Pose wird wohl selbst der Marlboro-Mann persönlich eifersüchtig. Auch die fantastische Single "Unreal city" kaut anfänglich zwar gedankenverloren auf einem Grashalm, findet sich aber binnen weniger Sekunden bei einem waschechten Rodeo wieder und packt den Stier gekonnt bei den Hörnern. Ungleich verträumter, ja, richtiggehend verschlafener wird es im darauffolgenden "Real silence", das langsam davonschwebt und es sich zwischen den rosa Wolken gemütlich macht. So kuschelig ist nur Folk-Musik.
An anderer Stelle packt Ward den Hörer an der Hand, zieht ihn von den Wolken zurück auf die Erde und lädt zur gemeinsamen Wanderung ein: Im Hopserlauf "Along the Santa Fe Trail" nämlich, bekannt geworden in den Vierzigerjahren durch Glenn Miller. Ein Song, bei dem selbst dem miesepetrigsten Zeitgenossen ein Lächeln übers Gesicht huschen dürfte. Der in seiner Fröhlichkeit und Verliebtheit geradezu ansteckend ist. Noch mehr Spaß hat man nur im "Ba ba ba"-Teil von "Torch" auf der Zielgeraden, mit dem der 46-Jährige abermals beweist, dass der Gesang genauso wichtig ist wie die Arrangements – beides ist hier so liebevoll produziert, dass man jedes Detail schnell zu schätzen lernt. Mit dem abschließenden Instrumental "Rio drone" gibt es eine letzte Geschichte, ganz ohne Worte, aber mit ebenso viel Herz. Nein, ein Monster ist dieser M. Ward nun wirklich nicht. Kann er gar nicht sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Coyote man's traveling show
- Unreal city
- Along the Santa Fe trail
Tracklist
- Migration of souls
- Heaven's nail and hammer
- Coyote man's traveling show
- Independent man
- Stevens' snow man
- Unreal city
- Real silence
- Along the Santa Fe Trail
- Chamber music
- Torch
- Rio Drone
Im Forum kommentieren
Takenot.tk
2020-04-25 20:35:19
Ja, Unreal City ist ziemlich groß, und leider ein bisschen ein Einzelgänger auf dem Album. Nichtsdestotrotz, höre ich sehr gerne.
Garmadon
2020-04-25 20:06:03
Hmm, insgesamt könnte es aus meiner Sicht ein wenig flotter sein. Also noch ein zwei Stücke mehr Richtung "Unreal City", das eindeutig mein Favorit auf dem Album ist.
Ich finde es zwar schon ein gutes Album, an More Rain (meinen Favoriten von ihm aus dem 10ern) kommt es aber wohl nicht ran.
Takenot.tk
2020-04-06 11:58:21
Das ist wirklich sehr schön geworden. Ein Album, dass sich anfühlt wie gemacht für eine laue kalifornische Wüsten-Nacht.
Armin
2020-03-25 21:06:15- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Garmadon
2020-03-15 14:11:44
Finde die drei Vorabsongs auch gut gelungen, vor allem "Unreal City".
Nachdem von What a Wonderful Industry eigentlich nichts so richtig hängen blieb (am ehesten vielleich noch "Shark") machen die Songs schon Lust auf das Album!
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- M. Ward - For Beginners: The Best Of M. Ward (2 Beiträge / Letzter am 13.09.2024 - 06:27 Uhr)
- M. Ward - Post-war (44 Beiträge / Letzter am 12.06.2020 - 18:18 Uhr)
- M. Ward - Migration stories (11 Beiträge / Letzter am 25.04.2020 - 20:35 Uhr)
- M. Ward - More rain (1 Beiträge / Letzter am 26.02.2016 - 21:59 Uhr)
- Conor Oberst, M. Ward & Jim James - Album (37 Beiträge / Letzter am 15.09.2009 - 12:05 Uhr)
- M. Ward - Hold time (20 Beiträge / Letzter am 08.03.2009 - 10:21 Uhr)
- She & Him - Volume 1 (Zooey Deschanel & M. Ward) (12 Beiträge / Letzter am 15.12.2008 - 22:31 Uhr)
- M. Ward - Transfiguration of Vincent (27 Beiträge / Letzter am 21.06.2008 - 18:06 Uhr)
- M. Ward - Transistor radio (28 Beiträge / Letzter am 13.04.2005 - 20:08 Uhr)