
Yves Tumor - Heaven to a tortured mind
Warp / Rough TradeVÖ: 03.04.2020
Die Qualverwandtschaften
Soll man jetzt mit Vorwürfen kommen? Hat sich Yves Tumor korrumpieren lassen? Nur zur kleinen Auffrischung der Erinnerung: 2018 kam dieses "Safe in the hands of love" raus und verheiratete über eine oberflächliche Unvereinbarkeit hinweg Distortion und Zuckerwatte. 60s-Girlgroup-Pop stand da neben ohrensprengender Kakophonie und nach anfänglichen Berührungsängsten entstand faszinierende Kommunikation. Vielversprechend jetzt der Titel des Nachfolgers "Heaven for a tortured mind", greift er doch wieder die Kernelemente Tumors auf: Erlösung und Qual. Doch schnell zeigt sich, dass Yves Tumor den stilistischen Reigen und Vielklang diszipliniert eingeengt hat und sich mehr an den Spielregeln populärer Musik orientiert. Unter dem nasskalten, schwarzblauen Strobolicht entfalten sich kühl abbrennende Soul und R'n'B-Nummern, denen neo-psychedelische Gitarrenfunken die Haut versengen. Ist das nun ein Verlust? Nein, denn die Fokussierung Tumors auf weniger Klangelemente zeitigt beeindruckende Songs, die allein durch das Songwriting genug Gewicht besitzen, ganz abgesehen vom rein klanglichen Experiment. Darüber hinaus bleibt das ursprüngliche Kontrastspiel zwischen süßem Pop und Kracheinbrüchen bestehen, nur essenzieller und purer.
Der "Gospel for a new century" marschiert zum Beispiel mit fatalistischen Bläsern mächtig auf, der Beat, kräftig und satt, bietet ein herrliches Tummelbett für Tumors enervierenden Gesang, der sich nie zwischen abgefuckter Blasiertheit und hitziger Agitation entscheiden mag. Doch bereits in diesem sehr cleveren Stück findet man Wärme und Kontaktpunkte zum Anschmiegen. Die verliert man freilich ein wenig aus den Augen, wenn es in "Medicine burn" zu nörgelnden Gitarren ungesund scheppert und rumpelt. Die Schräglagen sind also nach wie vor da, doch auf "Heaven for a tortured mind" deutlich gefasster und fokussierter als auf dem Vorgänger. Doch riecht vieles auch nach schwüler Liebesnacht, flötende Synths wie in "Kerosene!" sorgen in Kombination mit weiblicher Gesangsunterstützung für entspannten Austausch von Liebesbekundungen und Körperflüssigkeiten. Dazu im Hintergrund die ätzend glühenden Gitarren – sinnlicher geht es fast nicht.
Der "Romanticist" hält es mit satt schwingenden Beats in lauer Sommernacht, der abgedämpfte Gesang der Strophe wird im Refrain zu mehr Tempo und Intensität angestachelt, aus easy going wird steady rolling. Klar, dass das folgende "Dream palette" mit verrenkten Psych-Gitarren und haltlosem Analog-Schlagzeug-Gewitter dagegen hält, dann aber doch seine letzte Befriedigung im schwungvollen Pop findet. Abwechslung, Verblüffung, alles wieder da, nur eben mit verringerter Stil-Streuung, der Wahnsinn gibt sich konzentriert und zielsicher. Dabei setzt es dann auch mitunter Nummern wie "Folie imposée", denen trotz quirliger Songstruktur nicht eine gewisse Vorliebe für die Stromlinienform abgeht – ein Fest!
Das abgeklärte Sinnessäuseln von "Strawberry privilege" lässt sich deswegen noch lange nicht aus der Ruhe bringen, der Bass gurrt guttural wie eine Taube, Synthie-Blinker senden spitze Signale in die Kuschelecke, und man kann dabei nur konstatieren, wie sicher Tumor diese Bestandteile handhabt. Und ohne das Alleinstellungsmerkmal der Diskussion zwischen süßer Eingängigkeit und dem krachigen Dazwischenfunken aufzugeben, schafft es Tumor, in sich geschlossene und damit schlüssige Songs abzuliefern, die nicht nur einzelne, spannende Elemente besitzen, sondern als Ganzes prachtvoll strahlen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Kerosene!
- Romanticist
- Folie imposée
- Strawberry privilege
Tracklist
- Gospel for a new century
- Medicine burn
- Identity trade
- Kerosene!
- Hasdallen lights
- Romanticist
- Dream palette
- Super stars
- Folie imposée
- Strawberry privilege
- Asteroid Blues
- A greater love
Im Forum kommentieren
Cade Redman
2020-10-31 10:48:52
"Kerosene!" fängt super an. Doch dieses Gitarrensolo-Gegniedel macht den Song kaputt für mich.
Plattenbeau
2020-03-26 08:13:29
"Kerosene!" klingt einerseits modern, doch an manchen Stellen kommen so Alanis Morissette- und Slash-Vibes auf, dann fühlt man sich in längst vergangene Zeiten katapultiert. So oder so, ich liebe den Song.
Nasentasse
2020-03-25 21:12:35
EXTREM heiß!
Immer wieder toll, wenn Musik einen so unerwartet umhauen und vereinnahmen kann.
Armin
2020-03-25 21:06:04- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Nasentasse
2020-03-25 20:56:05
Ach du Kacke, Kerosene! ist heiß!
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