
Fennesz - Agora
Touch / MembranVÖ: 29.03.2019
Ständiger Begleiter
Der Wiener Elektro-Veteran Christian Fennesz konzentriert sich auf seinem siebten Album "Agora" auf das Wesentliche. Die Natur spiegelte sich schon immer in der Musik des 47-Jährigen in ihren Windungen und Wallungen, doch selten wirkten die Urgewalten so stark durch den digitalen Soundwald wie hier. Lediglich vier Kompositionen, alle über zehn Minuten lang, formen das Gesamtwerk, welches sich auf lange Sicht als idealer, ständiger Begleiter entpuppt. Es kann unaufdringlich genug sein, um den Alltag zu untermalen, aber genauso intensiv auf hoher Lautstärke mit Kopfhörern ohne Ablenkung wirken. "Agora" funktioniert wie ein WLAN-Repeater: Es nimmt Signale der Umwelt auf und verstärkt diese. Kaum ein Album funktioniert besser als Lektüre-Untermalung, Reise-Soundtrack oder Synapsen-Massage. Dabei macht Fennesz hier nicht viel anders als sonst – man könnte behaupten, er macht hier ohnehin nicht viel. Insofern ist "Agora" auch ein Dokument der Effizienz.
Jeder der Tracks beginnt mit einem ruhigeren Setting, meist einem wiederholten Pattern, und intensiviert sich bis zur Mitte hin, um in einem ausladenden Abstieg wieder quasi am Ausgangspunkt anzukommen. Wie fantastisch dieses stete Auf- und Abschichten funktioniert, demonstriert schon der Opener "In my room". Sein Titel führt etwas in die Irre, hören sich die rauschenden Klangwellen, welche ab der ersten Sekunde eine Art rhythmische Basis bilden, doch mehr nach gewaltigen Wassermassen oder Windstößen im freien Feld an. Es gesellt sich ein Surren dazu, Bass und Höhen werden von Effekten vereinnahmt und losgelassen, immer mehr türmt sich der Track auf. Bedrohlich ist das nicht, vielmehr ungeheuer einnehmend und faszinierend, wie quasi unbemerkt das Schauspiel neue Farben aus der Palette gekonnt in das bestehende Bild integriert. "Rainfall" macht seinem Namen schon eher alle Ehre, wie es eine zunächst weit weg scheinende Regenwolke über den Kopf hinwegziehen lässt, ein wenig grelle Blitze und rumpelnde Donnerschläge inklusive.
Am meisten sticht der Titeltrack heraus, der mit Abstand am abstrakesten und ungreifbarsten bleibt. Die iterativen Schübe sind noch länger, die Entwicklung noch geduldiger. Eine Art Ruhepause, bevor "We trigger the sun" erneut die dynamische Spannweite auskostet. Kleine Details, beispielweise das Geräusch einer zur Unkenntlichkeit modulierten Gitarre, bleiben haften. Die einzelnen Tonspuren verfolgen scheinbar ihre eigenen Ziele und doch klicken die Zahnräder ineinander für das große Finale. Dass eine solch instrumentale, entrückte Musik emotional auch ergreifen kann, beweist Fennesz mit "Agora" nicht nur auf ein Neues, sondern liefert direkt ein klares Highlight seiner Schaffensgeschichte ab. Es rauscht, es brummt, es surrt. Und es begeistert.
Highlights & Tracklist
Highlights
- In my room
Tracklist
- In my room
- Rainfall
- Agora
- We trigger the sun
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Armin
2020-01-03 21:22:17- Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Als "Vergessene Perle 2019".
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