Liturgy - H.A.Q.Q.

YLYLCYN
VÖ: 12.11.2019
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Mehr Kunst, weniger Kacke

Manchmal möchte man sich ja doch auf die Seite der ganzen Liturgy-Hater stellen, die der Band so gern das Wort "Kunstkacke" entgegenschleudern. Meist dann, wenn Hunter Hunt-Hendrix – immer noch erstaunlich, dass dieser Name nicht ausgedacht ist – ein überhebliches Manifest im Namen seiner Band veröffentlicht, um die Welt zu erklären. Oder betont, wie transzendental die ganze Sache ist. Oder, wie auf "The ark work" geschehen, das Überschreiten von Genregrenzen in Richtung Electro oder HipHop leider auch eine Überschreitung der Grenzen der eigenen Fähigkeiten mit sich brachte. Oder, oder, oder. Das überraschend veröffentlichte vierte Album "H.A.Q.Q." steht mit seinem Namen für "Haelegen above quality and quantity" und ist nicht etwa eine Abhandlung über die besten Beleuchtungsmittel, sondern ist ein Ausdruck von Hunt-Hendrix' Überzeugungen. Diese sind schematisch auf dem Cover dargelegt, welches leider Simplizität mit Hässlichkeit und Lieblosigkeit verwechselt, und dürften für exakt niemanden verständlich sein. Genug abgelästert? Dann zum Wesentlichen.

Denn Liturgy haben kurz vor der Gefahr, zur Selbstparodie zu verkommen, mehr als nur die Kurve gekriegt. Sich darauf besonnen, was damals "Aesthethica" so groß gemacht hat, ohne dessen Konzept einfach stumpf zu wiederholen. Und den Abgang von Drummer Greg Fox verkraftet, dessen Nachfolger Leo Didkovsky ein achtbarer Ersatz in diesen komplexen, treibenden und mitreißenden Stücken ist. Hunt-Hendrix brüllt wieder, verzichtet weitgehend auf das monotone Nölen von "The ark work". Die umgebende Klammer von "H.A.Q.Q." ist natürlich auch das Zerren und Reißen an der Idee, was eine Black-Metal-Band sein kann, an der Liturgy immer schon mit Vorliebe gesägt haben. Auf der gesamten Platte hagelt es Hänger, Aussetzer und Glitch-Effekte wie bei Audiodateifehlern, meist unerwartet und den Rausch störend. Der Titeltrack gibt beinahe auf, wenn er sich in einem Loop verfängt, versucht daraus noch etwas zu bauen und reicht das Zepter schließlich doch an ein Klavier-Outro weiter.

Jeder der fünf kraftmeiernden, längeren Tracks hat besondere Merkmale. Das dramatisch-opulente "Pasaqalia" fährt desorientierende Glockenspielklänge auf, die das Zentralmassiv umkreisen. Der Opener "Hajj" bringt eine Flöte im Dickicht der Gitarrenwände unter, die weder nervt, noch auf irgendeine Art fehl am Platz wirkt. Als zentrales Opus platziert sich das wundervolle "God of love", welches sich nach einem klassischen Intro regelrecht explodiert, nur um überraschend zu harmonischen Backingvocals zu finden und trotzdem der digitalen Zerstörungswut anheimzufallen. Als verbindenden Kitt gibt es drei instrumentale Interludes namens "Exaco", von welchen besonders die erste eine äußerst starke Hypnosewirkung besitzt. Wenn ein Klavierspieler Tourette hätte, würde es in etwa so klingen: unerwartet abgehackt, immer auf die gleichen Noten zurückkommend, zugleich hektisch und einlullend.

"Swan on the surface, arise! / Weeping little cosmos, announce!", so lauten Zeilen aus "God of love" – nicht dass Hunt-Hendrix' Geschrei irgendwie verständlich wäre. Klar, eine Nummer kleiner wäre auch zu wenig gewesen – dennoch passt die große Geste Liturgy wie angegossen. "H.A.Q.Q." ist in seiner Berg- und Talfahrt trotz allem messerscharf fokussiert, an dieser Dreiviertelstunde ist kein Gramm zu viel. Womöglich kommuniziert dieses Album die angestrebte Transzendenz deshalb auch viel besser, weil die den Black Metal erweiternden Elemente nicht unwirsch dazugemischt wurden, sondern ihren Platz im Großen und Ganzen haben. Sie beeinträchtigen die Vision nicht, sondern bereichern sie. Damit kommt "H.A.Q.Q." durchaus als Diskussionsgegenstand für das ultimative Liturgy-Werk infrage. So ist es am Ende auch egal, was für ein Zirkus um konzeptionellen Überhang gemacht wird. Hier stimmt einfach das Wesentliche: Es ist keine Kacke, es ist Kunst.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Exaco I
  • Pasaqalia
  • God of love

Tracklist

  1. Hajj
  2. Exaco I
  3. Virginity
  4. Pasaqalia
  5. Exaco II
  6. God of love
  7. Exaco III
  8. HAQQ
  9. ....
Gesamtspielzeit: 45:23 min

Im Forum kommentieren

Given To The Rising

2020-05-13 09:03:50

*derer

Given To The Rising

2020-05-13 09:03:06

https://metalinjection.net/news/liturgys-hunter-hunt-hendrix-comes-out-as-transgender-i-am-a-woman

An sich nichts Negatives, aber Wasser auf die Mühlen, die Liturgy und Deafheaven für Mädchen-Metal halten *hust* Rainer *hust*.

Klaus

2019-12-09 22:39:26

Mir ist es deutlich zu anstrengend.

Eurodance Commando

2019-12-09 22:34:20

2/10

Onkelz4Ever

2019-12-09 21:38:05

Der letzte Satz der Rezi trifft es!
"Es keine Kacke, es ist Kunst."

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