Starcrawler - Devour you

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 11.10.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Diskurswerfer

Wie viele Diskurse passen in eine kleine, junge Rockband? Der Rezensent versucht eine Skizze am Beispiel von Starcrawler. Zum einen halten die vier Milchgesichter, die zu Zeiten des selbstbetitelten Debütsfast alle noch Teenies waren, die mythische Diskrepanz zwischen Live- und Studio-Energie aufrecht: Wenn Sängerin Arrow De Wilde wie ein Derwisch über die Bühne fegt oder ihre Fans mit künstlichem Blut bespuckt, lässt sich diese Erfahrung wohl kaum auf Platte konservieren. Dann ist da noch der extreme Anachronismus der Kalifornier, die ihr Aufnahmestudio schon ins All schießen müssten, um noch weiter weg von Synthesizern und anderen Trends zu musizieren. Und ja, auch um die elendige Frage nach der Trveness kommen sie nicht herum. "I only drink champagne but my pockets have holes", heißt es in "Rich taste", möglicherweise darum wissend, dass die löchrige Kleidung auch Image statt Armutszeugnis sein kann. Sind Starcrawler nur ein paar posende Rotzlöffel oder leben sie den rebellischen Spirit ihrer Vorbilder wirklich? Ohne diese Frage mit Gewissheit beantworten zu können, wirkt ihre unheimlich spaßige Nummernrevue von sechs Jahrzehnten Rockmusik auf jeden Fall vitaler als solche Led-Zeppelin-Mannequins wie Greta Van Fleet.

Unterstützt von Nick Launay – einem der renommiertesten Produzenten der Post-Punk-Ära und im aktuellen Jahrtausend unter anderem Stamm-Reglerschieber von Nick Cave – klingt "Devour you" druckvoller und mächtiger als sein Vorgänger, ohne dessen ungebändigte Power einzubüßen. Schon das grandiose "Lizzy" fasst im Grunde die ganze Rock-Geschichte in eine kompakte Eröffnungs-Breitseite: Zwischen Rockabilly und Garage, Glam und Noise, Indie und Grunge kloppt die Band Riff um Riff, während De Wildes Schreigesang gleichermaßen Punk-Aggression wie Emo-Sensibilität trägt. "Bet my brains" nähert sich schon fast an Stoner an, "Home alone" transportiert Yeah Yeah Yeahs in die New Yorker Kellerbars zurück, aus denen sie einst kamen – irgendwer muss ja den Schweinerock zum Spielplatz bringen, wenn Opa Iggy Pop lieber mit Jazz-Trompetern und Ambient-Gitarristinnen abhängt. Als wollten Starcrawler ihre Explosivität nochmal ganz konzentriert unter Beweis stellen, zünden sie mit "Toy teenager" und "Tank top" zwei einminütige Punk-Granaten und laden den Indie-Disco-Brocken "You dig yours" in ihre Spaßkanonen. Ja, auch die frühen bis mittleren Nuller-Jahre scheinen schon lange genug her für Nostalgie zu sein.

Bis hierhin könnten die Songbeschreibungen auch alle vom Debüt stammen, doch "Devour you" zeigt noch ein paar andere, durchaus überraschende Facetten. Das melancholische "No more pennies" klimpert und rumpelt sich in die Nähe des College- und Alternative-Rock von Dinosaur Jr. und Co. – sogar De Wildes Gesangslinien klingen hier nach J Mascis. Auch "Hollywood ending" schlägt in eine ähnliche Kerbe, breitet im Refrain die Arme aus und fragt die Festival-Bühnen dieser Welt nach dem Ende allen Herzschmerzes. In "She gets around" versteckt sich ein Nine-Inch-Nails-Intro, während "Born asleep" mit Slide- und sonstigen Gitarren den Begriff der "Country-Psychedelia" provoziert. Bei so dynamischen Stimmungs- und Soundwechseln fällt auch das etwas schwächere "I don't need you" nicht negativ ins Gewicht, das sich blöderweise die neuen statt die alten Pixies zum Vorbild nimmt. Und was ist jetzt mit der Echtheit? "You called me a baby, that's not who I am / I'm a stud, I'm a power machine, I'm a full grown man", singt De Wilde im bedächtigen Closer, klingt verletzlich und nahbar, bis ein Kinderchor den Song in ein episch-beklopptes Finale treibt. Die Grenzen zwischen Ernst und albernem Image sind bei Starcrawler so verschwommen, dass sich ihre Herausarbeitung so chancenlos wie unnötig gestaltet. Wie viele Diskurse passen in eine kleine, junge Rockband? Leuten, die solche Fragen stellen, kann man wirklich nur ins Gesicht spucken.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Lizzy
  • No more pennies
  • Hollywood ending
  • Call me a baby

Tracklist

  1. Lizzy
  2. Bet my brains
  3. Home alone
  4. No more pennies
  5. You dig yours
  6. Toy teenager
  7. Hollywood ending
  8. She gets around
  9. I don't need you
  10. Rich taste
  11. Born asleep
  12. Tank top
  13. Call me a baby
Gesamtspielzeit: 40:15 min

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MopedTobias (Marvin)

2020-01-14 21:18:31

Also ich brauch das. Und die Resonanz ist bei 80-90% der hier rezensierten Platten doch nicht höher.

MasterOfDisaster69

2020-01-14 14:28:54

Klingt nach 08/15 pussy-rock a lá L7/Hole-Aufguss, den niemand braucht. Die Resonanz hier gibt den Rest.

Danke, nein.

The MACHINA of God

2019-11-14 19:38:46

Klingt ja schon interessant. Werd mal reinhören.

Armin

2019-11-08 11:34:50- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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