Michael Kiwanuka - Kiwanuka

Polydor / Universal
VÖ: 01.11.2019
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Hi, my name is

Ein Bild, ein Gemälde, ein Indiz? Das Artwork von Michael Kiwanukas drittem Studioalbum wirft den Musiker in prunkvolles Gewand. Wie Black Panther mit güldenem Kragenschmuck und weicher Fell-Stola, wie ein König mit Afro-Frisur vor dem Gold der afrikanischen Sonne unter dem schwungvoll geschliffenen Schriftzug "Kiwanuka" in 70er-Jahre-Optik. Egal ob augenzwinkerndes Arrangement oder transzendentale Neuverortung in heroischer Pose: Für den 32-Jährigen stellen beide Varianten einen großen Schritt dar, spürte er in Schaffen und Sein vor allen Dingen doch große Unsicherheiten und auch kulturelle Orientierungslosigkeit. "Solid ground" und andere Stücke auf "Kiwanuka" erzählen noch immer eindringlich davon. Kiwanuka macht kleine Schritte und kehrt sukzessive den Zweifel mit dem Besen in die Vergangenheit.

"Don't hesitate / Time heals the pain / You ain't the problem / ... / I used to hate myself / You got the key, break up the prison", fasst Kiwanuka im überraschend fröhlich gestimmten Opener zusammen. Die Zeit heilt alle Wunden: ein Blick in den Rückspiegel auf dem Weg zur Selbstvergewisserung. Dass "Kiwanuka" den Namen seines Schöpfers trägt, soll denn auch ein Ausdruck des Zu-sich-selbst-Stehens sein und dessen identifikatorische Wurzeln ungeachtet äußerer Einflüsse, Meinungen und Erwartungshaltungen tief in den Boden schlagen. In "You ain't the problem" erklingen afrikanische Rhythmen, die Bongos klopfen bei Fela Kuti an und bei Kiwanukas ugandischen Wurzeln. Später im Song packt Danger Mouse, der nach "Love & hate" neben Inflo erneut als Produzent auftritt, die Effektgeräte aus und gibt den "Lalala"s ein Muppet-Show-Gewand.

Der unwiderstehliche Basslauf nimmt das titelgebende "Rolling" sehr persönlich und treibt Groove in die angefuzzten Rock-Elemente. "I've been dazed" wiederum gäbe es ohne Stücke wie "Cold little heart" und "Love & hate" in dieser Form vermutlich nicht. Die Grandezza der genannten Nummern aufgreifend, kulminieren die eingespielten Zeilen "Love said to me / Time is a healer" mit Kiwanukas weichem Gesang zu einem psychedelischen Gospel-Soul erster Güte. Die Betäubung weicht dem rauchgeschwängerten Hochgefühl des "Piano joint (This kind of love)". Ein vibrierendes HipHop-Intro führt den Hauptteil des Songs an, in dem Kiwanuka zunächst recht einsam neben dem Piano im Hall steht. Und das ist toll, weil der Singer-Songwriter als stimmlicher Fixpunkt alleine funktioniert. Alle Blicke auf sich lenkend, gesellen sich entzückte Streicher hinzu und zum exakt richtigen Zeitpunkt tauchen Bass und Drums aus der Versenkung auf. Herrlich. Wer noch Gründe benötigt, warum der Brite mit Genre-Größen der Sechziger- und Siebzigerjahre verglichen wird, höre hier genau hin und begebe sich dann auf weitere Entdeckungs- und Identitätsreise.

Der 32-Jährige baut auf seinem bislang besten Album musikalisch wie lyrisch Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. "I won't change my name / No matter what they call me", sagt Kiwanuka zu Beginn von "Hero". Was sich leicht auf seine persönliche Situation münzen ließe und auf den Aspekt, dass sein Nachname früher wohl kontinuierlich falsch ausgesprochen wurde, erweist sich zu übersteuertem Fuzz- und Psychedelic-Rock als indirekte Ehrerbietung für die Martin Luther Kings, Marvin Gayes, Fred Hamptons, Sam Cookes, für all die zu jung verstorbenen Prediger des Guten und Gerechten. "Am I a hero now? / To die a hero is all that we know now." Kiwanuka, der "black man in a white world", denkt Identität hier allumfassend. Dadurch, dass die Songs ineinanderfließen, zieht sich auch eine engere inhaltliche Schlinge um Geschichten seiner persönlichen Widrigkeiten, seinen Status als schwarzer Künstler und den der schwarzen Bevölkerung.

Das "Interlude (Loving the people)" beinhaltet einen Ausschnitt des US-Kongressabgeordneten John Lewis, einem führenden Akteur bei der Beendigung der Rassentrennung in den USA. Kiwanukas Eltern flohen in den Siebzigern aus Uganda vor dem brutalen Diktator Idi Amin; er selbst wuchs im Norden Londons auf. Welche Beziehung also hat Kiwanuka nun zu Lewis & Co? Die einfachste Antwort: Sie sind relevante Wegbereiter und Segregation und Rassismus besitzen 2019 eine erschreckende Aktualität. Und auch wenn Kiwanuka in "Final days" sogar TripHop referenziert, so sind es doch die dominanten Soul-, Folk und Psychedelic-Klänge, die damals als Vehikel Menschen auf den Straßen und in den Köpfen zusammenführen konnten, und die nun von ihm ebendafür revitalisiert werden. Letztlich steckt in den Geschichten von gravierenden Selbstzweifeln und elementaren Fragen der Identität ein Plädoyer für Menschlichkeit.

(Stephan Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • I've been dazed
  • Piano joint (This kind of love) Main
  • Hero
  • Solid ground

Tracklist

  1. You ain't the problem
  2. Rolling
  3. I've been dazed
  4. Piano joint (This kind of love) Intro
  5. Piano joint (This kind of love) Main
  6. Another human being
  7. Living in denial
  8. Hero
  9. Hard to say goodbye
  10. Final days
  11. Interlude (Loving the people)
  12. Solid ground
  13. Light
Gesamtspielzeit: 50:51 min

Im Forum kommentieren

Eiersalat

2024-02-04 12:26:02

https://youtu.be/ianBdZbU_jk

Eurodance Commando

2021-05-03 20:12:40

Immer noch: Herrliches Album.
9/10

Grizzly Adams

2020-09-29 19:07:40

Nicht unverdient. Freue mich ihn im nächsten Jahr in Hamburg zu sehen. Hoffentlich...

Jennifer

2020-09-28 10:57:45

PS: Hier noch die Liste der Nominierten.

Anna Meredith – Fibs
Charli XCX – How I'm Feeling Now
Dua Lipa – Future Nostalgia
Georgia – Seeking Thrills
Kano – Hoodies All Summer
Lanterns on the Lake – Spook the Herd
Laura Marling – Song for Our Daughter
Moses Boyd – Dark Matter
Porridge Radio – Every Bad
Sports Team – Deep Down Happy
Stormzy – Heavy is the Head

Jennifer

2020-09-28 10:55:22

Gar nicht mitbekommen: Kiwanuka hat den Mercury Prize gewonnen.

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