Insomnium - Heart like a grave

Century Media / Sony
VÖ: 04.10.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Nicht lustig

Joensuu, Finnland. Für sich genommen eigentlich eine gar nicht einmal so kleine Stadt mit 75.000 Einwohnern, tief in der Einöde Nordkareliens, unweit der Grenze zu Russland gelegen. Eigentlich nichts Besonderes. Doch 2018, als Finnland mit der der Nation so eigenen liebenswürdigen Skurrilität den Wettbewerb "World capital of Metal" ausrief, war Joensuu ganz weit vorne dabei. Denn in dem Land, das auf die Einwohnerzahl gerechnet die meisten Metal-Bands aufweisen kann, belegte Joensuu mit 233,4 Bands pro hochgerechnete 100.000 Einwohner den zweiten Platz. Nicht etwa hinter Helsinki, sondern hinter einem winzigen 3.000-Einwohner-Kaff namens Lemi, die in der Hochrechnung auf statistische 422,6 Bands kommen, aber das nur am Rande. Nun, eine der nun empirisch erfassten 177 Metal-Bands in Joensuu ist Insomnium. Die nach dem monumentalen Album "Winter's gate" von 2016 mit nur einem einzigen Song nun mit "Heart like a grave" wieder so etwas wie Normalität wagen, zumindest was Songstrukturen angeht.

Schon der Albumtitel greift dabei tief in die Klischee-Kiste. Ja, man kann es eigentlich echt nicht mehr hören, die ewigen Stereotypen von den ach so depressiven Finnen, die – auch das ist belegt – die höchste Suizidrate in Europa aufweisen. Und dann macht die Band aus dem äußersten Osten Suomis nichts anderes, als sich aus den vermeintlich traurigsten Liedern der finnischen Kultur einige herauszupicken und sie in ein Melodic-Death-Gewand zu kleiden? Das zeugt schon von Chuzpe. Doch nach dem eher gemächlichen Opener ist "Valediction" ein erstes mächtiges Ausrufezeichen. Insbesondere der klar gesungene Refrain sorgt inmitten der kellertiefen Growls für eine wunderbare Abwechslung und unterstützt die immer wieder eingestreuten Dynamikwechsel. Nur um dann vom folgenden "Neverlast" zunächst auf barbarische Weise in Grund und Boden gekloppt zu werden, bis plötzlich eine Gitarre singt, so schön wie sonst nur bei Amorphis.

Und dann – nach dem sehr epischen "Pale morning star" – ist er da, der nach einer Zeitungsumfrage wohl traurigste Song Finnlands. So bizarr, wie er nur eben dort sein kann. Denn "And bells they toll" ist ein altes Volkslied, eines der am weitverbreitetsten Weihnachtslieder Finnlands – und erzählt die Geschichte eines Kindes, dessen kleiner Bruder zu Weihnachten stirbt. Und plötzlich ist der lustige Opi vom Polarkreis mit dem Mantel aus dem Coca-Cola-Merchandise-Katalog ganz weit weg, und das Grinsen über die spleenigen Finnen gefriert. Insomnium erweisen diesem Lied die Ehre, indem sie daraus eine sparsam instrumentierte Power-Ballade ohne Bombast, aber mit umso mehr Düsternis zimmern. Und ja, auch Growls funktionieren dazu, sogar verdammt effizient.

Fast schon leichtfüßig mutet dagegen die zweite Hälfte der Platte an. Während "The offering" episch die Arme ausbreitet, gibt "Mute is my sorrow" den ruppigen Headbanger, begeistert vor allem durch die Arbeit der mittlerweile drei Gitarristen – die Stammkraft Ville Friman ist aufgrund beruflicher Verpflichtungen nicht mehr in der Lage, mit der Band aufzutreten und wird durch einen gewissen Jani Liimatainen unterstützt. Und dessen vorherige Tätigkeit bei Sonata Arctica scheint für genau das richtige Maß an melodiösen Klängen zu sorgen, mindestens jedoch dafür, dass die Songs nicht in Trauer und Depression versinken. Vielleicht mögen dadurch die ganz großen Hits fehlen, vielleicht ist "Heart like a grave" dadurch fordernder, als es zunächst den Anschein haben mag. Dafür jedoch besticht das Album vor allem durch Atmosphäre, durch Emotion, durch die Bilder im Kopf, wenn man in die Songs eintaucht. In der Statistik mag Insomnium eine von 177 aktiven Metal-Bands in Joensuu. Rein qualitativ müssen sich 176 davon verdammt strecken, um dieses Niveau zu erreichen.

(Markus Bellmann)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Valediction
  • And bells they toll
  • Mute is my sorrow

Tracklist

  1. Wail of the north
  2. Valediction
  3. Neverlast
  4. Pale morning star
  5. And bells they toll
  6. The offering
  7. Mute is my sorrow
  8. Twilight trails
  9. Heart like a grave
  10. Karelia
Gesamtspielzeit: 61:02 min

Im Forum kommentieren

8hor0

2024-01-02 08:58:02

gefällt mir immer besser! die passende musik für diese jahreszeit! 8/10

hos

2022-05-15 15:24:58

gerade mal in einige songs der band reingehört und für untauglich befunden. keine ahnung, was die wollen, aber es passt vorne und hinten nicht zusammen. hinterlässt bei mir einen einen eindruck wie wie im offenen cabrio durch sibirien fahrend. funktioniert nicht.

Armin

2019-10-16 21:37:35- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Forum