Thees Uhlmann - Junkies und Scientologen

Grand Hotel van Cleef / Indigo
VÖ: 20.09.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Frühling, Sommer, Herbst und Tod

Quizfrage! Was haben die folgenden Personen und Gruppen gemeinsam?

Helmut Kohl, Stephen King, Avicii, ABBA, Jürgen Klopp, Mousse T., Tom Jones, Fury In The Slaughterhouse, Scorpions, Kraftwerk, Trude Herr, Adel Tawil, Bob Marley, Bob Dylan, Bob Andrews, Bob Ross, Ramones, Rainer G. Ott, Sade, The Who, Bono, U2, Die Toten Hosen, Katy Perry, Marcus Wiebusch, Grayson Perry, Martin Luther King, Elvis Presley.

Na, eine Idee? Keine? Wirklich gar keine? Tja, dann folgt nun die Auflösung: All diese Menschen, all diese Bands, sind Teil des dritten Soloalbums vom sympathischen Zahnlückenträger und Teilzeit-Romanautor Thees Uhlmann. All jene Künstler und Personen des öffentlichen Lebens spielen natürlich nur Nebenrollen in den oftmals vertrackten, um die Ecke denkenden Texten, und doch fällt auf, wie gern und wie häufig der ehemalige Tomte-Frontmann sich des Namedroppings bedient, um seinen Metaphern Nachdruck zu verleihen. Und bei der ganzen Fülle an Referenzen und Bezügen, die Uhlmann hier zu einem engmaschigen Netz zusammenspinnt, bleibt vor allem der Eindruck, dass er insbesondere eines ist: ein Musik- und Popkulturfan. Ein Mensch, der gerne staunt und bewundert. Vielleicht ein, nun ja, Nerd.

"Junkies und Scientologen" ließ lange auf sich warten, schließlich gab es in der Zwischenzeit ein paar andere Projekte, denen Uhlmann sich widmete. Die wichtigste Nebenbeschäftigung war wohl "Sophia, der Tod und ich", sein äußerst erfolgreiches Romandebüt aus dem Jahr 2015. Die Musik geriet in der Folge ein wenig in den Hintergrund, die erste Singleauskopplung "Fünf Jahre nicht gesungen" thematisiert diese Abstinenz auf überzeugende Weise. Wie so oft erzählt der bekannteste Sohn der niedersächsischen Kleinstadt Hemmoor von sich und seinem Innenleben. Seiner Mutter gehe es auch gut, aber das sollte es ja auch, schließlich haben wir lange Jahre ihren Namen geschrien. Über einen flotten Beat erklingt nun seine Song-gewordene Abwesenheitsnotiz, und man fühlt sich ein wenig in der Zeit zurückversetzt, erinnert die Nummer doch an die späten Tomte.

Im folgenden "Danke für die Angst" formuliert Thees Uhlmann seine Lobhudelei für den amerikanischen Thriller- und Horrorautor Stephen King. Die Gitarre verharrt im melancholischen Midtempo, während man als Hörer an die Hand genommen und einmal durch die Bibliografie Kings geführt wird: "Was ich übers Leben weiß, weiß ich aus 'Stand by me' / Ich hab einen Hund, der Cujo heißt / Und mein Auto heißt Christine / Wenn Du schreiben kannst, dann schreibe / Wenn Du singen kannst, dann sing / Und wenn Du nicht mehr weiter weißt, frag Stephen King." Eine schöne, weil wirklich liebevolle Hommage ist das, nicht nur an King, sondern an die Kraft der Literatur per se. Warum dem verstorbenen Star-DJ "Avicii" dann ein ganzer Song gewidmet wird, bleibt ein Geheimnis, hinter das man nicht so ganz steigt, aber immerhin knallt die Nummer, weil Uhlmann ein wenig Uptempo wagt.

Auf musikalischer Ebene bleibt sich Uhlmann treu. Melancholie ist ein Trumpf, den er immer in der Hinterhand hat, hin und wieder wird dann aber auch der direkte Weg zur Tanzfläche gesucht. Unterstützung holte sich Uhlmann von Rudi Maier, den manch ein gut Informierter von seinen anderen Projekten The Dope und Burkini Beach kennen könnte. Dazu noch Tausendsassa Simon Frontzek. Nicht zum ersten Mal holt sich der Labelchef von Grand Hotel van Cleef also Hilfe "von außen". Wir erinnern uns an den ehemaligen Miles- und Monta-Kopf Tobias Kuhn, der bis dato an Uhlmanns Seite stand. Sanfte Verschiebungen sind also auszumachen, doch die grundsätzliche Marschrichtung bleibt die alte. "100.000 Songs" ist wieder eines jener Meta-Stücke, mit denen Uhlmann die Musik an sich feiert, die Momente, die der Rock'n'Roll einem beschert. Da schwingt auf musikalischer Ebene Bruce Springsteen mit, Tom Petty, vielleicht auch Neil Young, wenn gegen Ende eine Mundharmonika einsetzt.

Im sechsminütigen Titelstück breitet Thees Uhlmann die Arme aus, alle bekommen seine Liebe: Mädchen im Ramones-Shirt genauso wie die Dealer im Görlitzer Park, selbst auf die leidgebeutelten HSV-Fans möchte der leidenschaftliche St.-Pauli-Anhänger nicht verzichten. Eine Hymne gegen Exklusion und Ressentiments und fürs gelebte Miteinander, die vielleicht ein bisschen zu sehr Richtung Ökumenischer Kirchentag schielt, aber im Grunde ein irgendwie herzerwärmendes Stück, das an kalten Tagen etwas Trost spendet. Ein Label übrigens, das man dem kompletten Album anheften kann: "Junkies und Scientologen" fühlt sich an wie der letzte warme Tag des Herbstes. Wie die Tasse Tee, die einen durch neblige Abende bringt. Oder der Schuss Schnaps, der aus der Tasse Tee ein noch größeres Vergnügen macht.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Fünf Jahre nicht gesungen
  • Danke für die Angst
  • Katy Grayson Perry

Tracklist

  1. Fünf Jahre nicht gesungen
  2. Danke für die Angst
  3. Avicii
  4. Was wird aus Hannover
  5. 100.000 Songs
  6. Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach HipHop Videodrehs nach Hause fährt
  7. Junkies und Scientologen
  8. Katy Grayson Perry
  9. Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt
  10. Ein Satellit sendet leise
  11. Die Welt ist unser Feld
  12. Immer wenn ich an Dich denke, stirbt etwas in mir
Gesamtspielzeit: 49:22 min

Im Forum kommentieren

sizeofanocean

2021-08-26 08:43:34

"Hinter all diesen Fenstern" war der Zenit, da ist Uhlmann nie wieder rangekommen

Superhelge

2021-08-25 23:17:20

Habe es gerade zufällig bei AM (wieder)entdeckt... hatte damals nur einzelne Tracks auf Heavy Rotation gehört.

Enorm cooles Teil - sein bisher bestes Solo.

8/10

Er ist mittlerweile für mich besser als Tomte es waren - und die waren echt gut.

Eurodance Commando

2021-03-11 22:56:46

War das das Konzert im Paulaner Garten?

lol

2021-03-11 15:22:18

habe damals beim tomte konzi meine birgit kennen und lieben gelernt , dafür bin ich thees auf immer DANKBAR

Blanket_Skies

2021-03-11 11:11:42

Schade, dass er jetzt den Fame bekommt, den er mit Tomte verdient hatte.
Bin bei der Qualität seiner Solosachen mittlerweile auch froh, dass er Tomte ruhen lässt. Trotzdem natürlich ein Supertyp!

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