Egotronic - Ihr seid doch auch nicht besser

Audiolith / Broken Silence
VÖ: 13.09.2019
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
4/10

Warum nicht mal ein Linker?

Wie geht's, Torsun Burkhardt? Berechtigte Frage trotz der Wucht, mit der seine kerngesunde Band Egotronic besorgten Bürgern, Tendenzbraunen und Neonazis unbeugsam entgegentritt. Den Frontmann plagte auf "Die Natur ist Dein Feind" nämlich eine rheumatische Arthritis, und auch auf diesem neunten Album fühlt er sich zuweilen "Wie Dr. House". Aber es gibt immer jemanden, der noch schlechter dran ist. Etwa die Sozialdemokraten, die inzwischen schon um eine Vorstandswahl großes Tamtam veranstalten müssen, damit sie überhaupt noch jemand wahrnimmt. Olaf Scholz gefällt das, nachdem er die Polizeieinsätze beim G20-Gipfel absegnete. Nicht. Und erst als das eigentliche Feindbild auf "Ihr seid doch auch nicht besser" sein Fett wegbekommen hat, ätzt "Adieu SPD" als Rausschmeißer: "Unter fünf Prozent sind drin." Hallo Bedeutungslosigkeit.

Burkhardt steht als Kandidat für den Vorsitz also offenbar nicht zur Verfügung – obwohl die SPD einen waschechten Linken in dieser Position womöglich gut gebrauchen könnte. Es wäre ein gefundenes Fressen für die Junge Union Bremen, die Egotronic als "Ende der Freiheit der Kunst" bezeichnet, und erst recht für die AfD, die beleidigt "linksversiffte Unkultur" schnaubt, wie das Label berichtet. Anders als seine Widersacher nimmt das Quartett aber nicht die Opferrolle ein, sondern tischt gewohnt krachend und unversöhnlich auf. Schon der knackige Titelsong zitiert das Scheinargument, mit dem die extreme Rechte der Gegenseite ihren eigenen hasserfüllten Standpunkt zurückzuverkaufen versucht, und Egotronic wälzen sich parodistisch in der ihnen angedichteten Untragbarkeit. Grober Klotz Nationalismus, grober Keil Elektro-Punk: So einfach ist das manchmal.

Klar, dass in Zeiten des Rechtsrucks auch der musikalische Ton so rau ist wie auf den Vorgängern. Zwar haben Egotronic ihrem Stil abgesehen von Autotune-Spritzern und noch etwas lauteren Gitarren nicht allzu viel Neues hinzuzufügen, doch rabiat in die Maschinen-Beats und analogen Blip-Blops einfallende Riffs und Shouts machen nach wie vor einen schlanken Fuß, wenn es darum geht, seinem Standpunkt Nachdruck zu verleihen. Das gilt auch für die Singles "Linksradikale" und "Kantholz" samt empörender Videos, die unzulässige Gleichmacherei der politischen Lager und Pöbelei in Sozialen Netzwerken hämisch kommentieren – Shitstorm garantiert. Zustände, angesichts derer "Die Quintessenz der Dinge" ein düsteres Bild zeichnet – als Gäste sind erneut Alles.Scheisze am Start, gemäß "Junge Freiheit" ebenfalls linksradikal, um der Chronistenpflicht zu genügen.

Auch Martin von den Bochumer Punks Die Shitlers hat in "1 Like für Euch" etwas zu brüllen, und die Aussagen Boris Palmers sowie der hässlichstmögliche Deutsche an sich finden bei "Der Bürgermeister" und "Hundesohn" zu trampelndem Flexi-Core keine Gnade. Viel Platz für andere Themen bleibt da naturgemäß nicht, und wenn doch, unterhalten Egotronic auch mit diesen prächtig. Die kleine, poppige Tinder-Schelte "Wie ein Mann" qualifiziert sich dank Supererbin Leonie Scholl als Online-Version des Klopfers "SMS d'amour" von Saalschutz und Stina Galaxina, und mit Razzias "Nacht im Ghetto" inklusive "California über alles"-Drum-Intro fehlt auch die hofknicksende Coverversion nicht. Alles schon gehört? Hier kein Argument – Egotronic machen weiter, und sie tun verdammt gut daran. Bis der Arsch im Sarge liegt. Wessen auch immer.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Linksradikale
  • Ihr seid doch auch nicht besser
  • Der Bürgermeister
  • Wie ein Mann (feat. Die Supererbin)

Tracklist

  1. Wann fangen wir an
  2. Linksradikale
  3. Gewalt
  4. Die Quintessenz der Dinge (feat. Alles.Scheisze)
  5. Ihr seid doch auch nicht besser
  6. 1 Like für Euch (feat. Martin Shitler)
  7. Wie Dr. House
  8. Hundesohn
  9. Berlin im Winter
  10. Kantholz
  11. Nacht im Ghetto
  12. Der Bürgermeister
  13. Wie ein Mann (feat. Die Supererbin)
  14. Adieu SPD
Gesamtspielzeit: 41:44 min

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2019-09-09 10:06:01

"Linksradikale" kenne ich aus dem Radio. Geiles Ding!

nörtz

2019-09-08 19:51:51

Ein wichtiges Album, das steht fest.

Armin

2019-09-08 19:43:02- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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