Morrissey - California son

BMG / Warner
VÖ: 24.05.2019
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Die Schönheit und das Biest

Morrissey ist ja mittlerweile schon ein Politikum. War das larmoyante Dandytum des mit Gladiolen wedelnden Exzentrikers früher noch possierlich, ist seine Arroganz mittlerweile zu reaktionärem Querulantentum angeschwollen und weder Phase noch Persona. Doch obwohl er in letzter Zeit weder musikalisch noch menschlich aufs Image-Konto eingezahlt hat, bleibt er erstaunlicherweise salonfähig. Ist er schon zu ikonisch – oder zu irrelevant? Diese Frage stellt man sich spätestens seit seinem jüngsten Auftritt in "The Tonight Show", wo er mit einem Anstecker der Partei "For Britain Movement" seine Affinität zu einer politischen Gruppierung demonstrierte, die sogar der rechten UKIP zu weit rechts steht. Bis der Mann es sich mit allen verscherzt hat und man seine Alben guten Gewissens nur noch stehlen kann, frönt man eben der Hassliebe.

Verkörperten The Smiths mehr oder weniger eine ganze Epoche, ist Morrissey mit seinen letzten, eher eklektischen Alben zur Epigone geworden. Dann lieber Gutes kopieren anstatt Mittelmaß zu kreieren? Und so hat der Brite nicht nur ein ganzes Cover-Album mit Songs der 60er- und 70er-Jahre aufgenommen, sondern dabei auch mit namhaften Musikern der Gegenwart kollaboriert, unter anderem mit Ed Droste (Grizzly Bear), Billie Joe Armstrong (Green Day), Lydia Night (The Regrettes) und Laura Pergolizzi alias LP. Ist der Titel "California son" eine Anspielung auf die neue und ein Abgesang auf die alte Heimat? Zumindest kann man dem Album eines nicht vorwerfen – einen Mangel an Enthusiasmus. Morrissey schwelgt geradezu genießerisch in Nostalgie. "Morning starship", ein solider Pop-Song, der dem hierzulande eher unbekannten Jobriath posthum vielleicht neue Aufmerksamkeit verschafft, stellt klar: Morrissey hat immer noch die Stimme, bei der man nicht weghören kann. In Joni Mitchells "Don't interrupt the sorrow" pulsiert die Gitarre wie ein Echo aus "How soon is now?" und ein buchstäblich traumhaftes Saxophon-Solo schmeichelt sich ein. "Only a pawn in their game" (Bob Dylan) und "Days of decision" (Phil Ochs), zwei Protestlieder aus der Hochzeit der Bürgerrechtsbewegung, bilden die Klammer um den tanzbaren Gospel-Country "Suffer the little children" (Buffy Sainte-Marie). Allerdings gefällt sich Morrissey etwas zu sehr in der Rolle des Mahners und wirkt dabei doch unglaubwürdig vor lauter Pathos, dem jedoch der Impetus und Habitus des echten politischen Folk fehlen.

Der eine Haken der Platte liegt im Konzept: Alte Musik, die neu arrangiert wird, kann plötzlich verdammt altbacken klingen. Und so kippt das Album bei Roy Orbisons "It’s over" (aus unerfindlichen Gründen auch die erste Single-Auskopplung). Dabei beginnt der Track mit LPs Intro durchaus vielversprechend. Wo jedoch im Original ein Orchester Orbisons Schmerz befeuert, gibt es hier nur Synthesizer-Plastik-Sound. Und ausgerechnet dort, wo Orbison im Refrain kraftvoll lamentiert, wechselt Morrissey in die Kopfstimme. Der Song scheint zu groß für ihn. "Wedding bell blues" (The 5th Dimension) klingt wie das Intro einer harmlosen Sitcom aus den frühen Neunzigern: zu glatt, zu weich. Plastik eben. In Dionne Warwicks "Loneliness remembers what happiness forgets" tanzen fiese Synthesizer zu einem noch fieseren Pop-Beat. "Lady Willpower", im Original von Gary Puckett (der im direkten Vergleich der bessere Sänger ist), sollte man wegen des schon erwähnten Plastik-Kontexts besser gleich überspringen: Ein maßloser Schlager mit aufdringlichen Bläsern und einem Beat, der schon in "Uptown girl" genervt hat. Da kriechen Langeweile und Scham den Rücken hinauf und man fühlt sich ertappt, obwohl man allein ist.

Auch der andere Spielverderber von "California son" ist schnell ausgemacht: Authentizität. Denn das markante Morrissey-Timbre funktioniert am besten vor der Kontrastfolie, die ihm Melancholie, Ironie und Zorn bieten. Immerhin: Die letzten drei Stücke machen vieles wieder gut. "When you close your eyes" (Carly Simon) ist wohltuender Siebziger-Dreampop-Balsam. Da kann der Crooner nach Herzenslust säuseln und es fühlt sich richtig an. "Lenny’s tune", Tim Hardins Requiem für den an einer Überdosis verstorbenen Lenny Bruce, geht durch Mark und Bein, denn das Stück bleibt nah am Minimalismus des Originals. "Some say I got devil" (Melanie Safka) ist eine Art düsteres Schlaflied, vor dessen Kulisse aus dem einsamen Piano und den sinistren Synthie-Klängen die letzten Verse "I don’t think I’m in danger / In fact I know I’m not in danger" eben doch genau so klingen: gefährlich.

(Claudia Harhammer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Don't interrupt the sorrow
  • Lenny's tune
  • Some say I got devil

Tracklist

  1. Morning starship
  2. Don't interrupt the sorrow
  3. Only a pawn in their game
  4. Suffer the little children
  5. Days of decision
  6. It's over
  7. Wedding bell blues
  8. Loneliness remembers what happiness forgets
  9. Lady Willpower
  10. When you close your eyes
  11. Lenny's tune
  12. Some say I got devil
Gesamtspielzeit: 40:05 min

Im Forum kommentieren

Kerl Volta

2019-06-01 20:39:42

Definitiv besser als sein letztes Studioalbum. Gefällt mir gut 7/10!

mozzer

2019-05-24 12:34:00

"...ist man doch nicht reaktionär, sondern vernünftig."

Nein, nach PT-PC-Dogma ist man "..rechter Hetzer"

Macht der kanadische Premierminister Justin Trudeau auch, der gilt aber interssanterweise nicht als reaktionär oder rechter Hetzer.

Moz/Koz

2019-05-24 12:31:51

Wie bei Kozelek: Wenn man das Verhalten des Künstlers kritisiert, hat man nur seine "Ironie" nicht verstanden.

Der Nazi nebenan hat ja auch eine Katze, um die er sich kümmert. Er ist also ein feiner, missverstandener Mensch!

We ate your hate

2019-05-24 12:31:07

Ariel Engle (Broken Social Scene), die auf einem der Songs des für Ende Mai angekündigten Albums des Sängers zu hören ist, erklärte zuletzt, sie sei sich zum Zeitpunkt der Studioaufnahmen nicht im Klaren über Morrisseys politische Gesinnung gewesen. „Die hetzerischen Dinge, die er gesagt hat, entsprechen nicht meiner persönlichen politischen Ausrichtung“, so Engle in einem Interview mit „The Guardian“. „Ich fühle mich ein wenig betrogen, aber es ist meine eigene Schuld.”

Völlig krank, die BSS-Tante.

mozfather

2019-05-24 12:30:06

Nein, geht es nicht. Du kannst für Tierrechte sein und auf der anderen Seite trotzdem eine reaktionäre Haltung haben (siehe seine Äußerungen zu Brexit, Einwanderung, etc.).

wenn man nichts mit der europäischen knebel-wirtschaftsunion zu tun haben will und eine strengere überwachung derjenigen will, die nach uk einwandern möchte, ist man doch nicht reaktionär, sondern vernünftig.

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