The Rolling Stones - Honk

Polydor / Universal
VÖ: 19.04.2019
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Recycle race

So dann und wann erscheinen Sonderalben und Compilations, bei denen trotz jahrelanger Erfahrung mit Wiederkäuern ob des Zynismus die Spucke wegbleibt. Maximo Park bewarben sich erst kürzlich mit dem Live-im-Studio-Album "As long as we keep moving" um den Titel für die sinnloseste Veröffentlichung des Jahres. The Killers stellten bereits nach vier Platten ein eher entblößendes Best Of zusammen. Fans von Björk kennen ohnehin längst die Schröpfung des Geldbeutels durch Livealben, Remixe und teure Sondereditionen. The Rolling Stones sind in dieser Hinsicht kein unbeschriebenes Blatt. In diesem Jahrtausend feierten bereits "Forty licks" und "Grrr!" das jeweils 40- und 50-jährige Bestehen. Alte Alben wurden erneut remastered und als Deluxe-Blafasel auf dem Markt geworfen. "Honk" setzt nun jedoch allem die Krone auf. Der Rezensent selbst unkte noch anlässlich Nick Caves "Lovely creatures": "Man stelle sich vor, die Rolling Stones hätten auf 'Grrr!' der Phase nach 1972 viermal so viel Platz eingeräumt wie dem Jahrzehnt davor." Und jetzt? Gibt es die größten Stones-Hits – ab dem Jahr 1971. Mick Jagger und Keith Richards müssen ja von etwas leben.

Natürlich ist das ganz offensichtlich eiskaltes Kalkül, denn Universal besitzt nun mal lediglich die Rechte an den Veröffentlichungen ab den Siebzigerjahren. Einen anderen Grund, die Klassiker der frühen Phase nicht mitzunehmen, gibt es nicht. Allein dafür gehört "Honk" eigentlich mit Missachtung gestraft. Möglich ist natürlich, dass so auch eine Phase der Band näher beleuchtet werden kann, die vielleicht zu Unrecht in Verruf geriet. Und immerhin fallen die unumstritten großartigen LPs "Sticky fingers", "Exile on Main St." und das spätere Disco-Aufbäumen "Some girls" in die abgedeckte Phase. Je drei Songs dürfen diese Platten beisteuern, genauso viele entfallen jedoch auch beispielsweise auf die jüngsten Alben "A bigger bang" und das erst 2016 erschienene, respektable Coverwerk "Blue & lonesome". Überraschend: Neue Studiosongs sind komplett Fehlanzeige. Stattdessen dürfen sich Hörer der ohnehin verbreiteteren 46-Song-Variante über zehn Liveversionen freuen, teils mit erlesenen Gästen wie Dave Grohl, Florence Welch und dem nicht mal hier vermeidlichen Ed Sheeran.

Die Hoffnung, dass "Honk" durch seine Tracklist wenigstens eine Aufgabe der Rekontextualisierung leistet, fällt jedoch schnell flach. Es hilft weder die hier abgebildete Standardvariante der 36 bekannten Songs noch die aus unbegreiflichen Gründen wahllos umgestellte Digital-Deluxe-Version weiter. In beiden Fällen werden zu Beginn die größeren Hits abgehakt, während zum Ende hin die Spätphase sowie Zweit-, Dritt- und Viertauskopplungen überproportional vertreten sind. Klar ist da nichts wirklich schlecht und vieles bemerkenswert. "Saint of me" und "Out of control" von "Bridges to Babylon" aus 1997 grooven beide hübsch die Furchen des üblichen Blues-Schemas auf, "Doom and gloom" ist tatsächlich so schmutzig wie das Image der Stones irgendwann mal war, und "Harlem Shuffle" ist immerhin deutlich besser als der hier nicht enthaltene Rest von "Dirty work". Häufig haben die Stücke jedoch schon deutlich Staub angesetzt, besonders "Mixed emotions" oder "Rock and a hard place" von "Steel wheels" aus 1989 klingen mit dem Hall-Drums vollkommen altbacken. Und das döselige "Fool to cry" direkt hinter "Wild horses" zu setzen – die wohl beste Ballade der Truppe – ist auch nicht gerade clever.

Dass im Gegensatz zu "Forty licks" und "Grrr!" die ungekürzten Albumversionen Verwendung finden, ist zwar nett gemeint, geht teilweise aber am Ende nach hinten los. So dauern nämlich Songs wie "It's only rock 'n' roll (but I like it)" oder "Emotional rescue" einfach gut ein bis zwei Minuten länger als sie eigentlich sollten, und "Honk" zieht sich als Gesamtwerk zudem ziemlich über die Zeit. Aber wer sollte schon über diese musikalisch zwar größtenteils solide bis großartige, aber in ihrer Konzeption vollkommen überflüssige Zusammenstellung den Einstieg in die Band finden, wenn es doch die umfassenderen Compilations oder direkt die Klassikeralben gibt? Da hilft auch nicht das mittlerweile gefühlte 83. Remaster der Stücke nicht. "You'll never make a saint of me", singt Jagger noch. Mit frechem Recycling wie "Honk" würde auch niemand auf die Idee kommen. Wir sprechen uns dann zum 60. Jubiläum in 2022.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Rocks off
  • Miss you
  • Wild horses
  • Doom and gloom
  • Doo doo doo doo doo (Heartbreaker)
  • Saint of me
  • She's a rainbow (Live at U Arena, Paris)
  • Bitch (Live at the Honda Center, Anaheim) (with Dave Grohl)

Tracklist

  • CD 1
    1. Start me up
    2. Brown sugar
    3. Rocks off
    4. Miss you
    5. Tumbling dice
    6. Just your fool
    7. Wild horses
    8. Fool to cry
    9. Angie
    10. Beast of burden
    11. Hot stuff
    12. It's only rock 'n roll (but I like it)
    13. Rock and a hard place
    14. Doom and gloom
    15. Love is strong
    16. Mixed emotions
    17. Don't stop
    18. Ride 'em on down
  • CD 2
    1. Bitch
    2. Harlem Shuffle
    3. Hate to see you go
    4. Rough justice
    5. Happy
    6. Doo doo doo doo doo (Heartbreaker)
    7. One more shot
    8. Respectable
    9. You got me rocking
    10. Rain fall down
    11. Dancing with Mr. D
    12. Undercover of the night
    13. Emotional rescue
    14. Waiting on a friend
    15. Saint of me
    16. Out of control
    17. Streets of love
    18. Out of tears
  • CD 3
    1. Get off of my cloud (Live at Principality Stadium, Cardiff)
    2. Dancing with Mr. D (Live at the GelreDome, Arnhem)
    3. Beast of burden (Live at Arrowhead Stadium, Kansas) (with Ed Sheeran)
    4. She's a rainbow (Live at U Arena, Paris)
    5. Wild horses (Live at London Stadium) (with Florence Welch)
    6. Let's spend the night together (Live at Manchester Evening News Arena)
    7. Dead flowers (Live at Manchester Evening News Arena) (with Brad Paisley)
    8. Shine a light (Live at ArenA, Amsterdam)
    9. Under my thumb (Live at London Stadium)
    10. Bitch (Live at the Honda Center, Anaheim) (with Dave Grohl)
Gesamtspielzeit: 196:52 min

Im Forum kommentieren

Günni

2019-05-03 00:08:35

Beast of Burden mit Ed Sheeran, da tut ja schon die Vorstellung weh.

Armin

2019-05-02 20:23:00- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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