Clinic - Wheeltappers and Shunters
Domino / GoodToGoVÖ: 10.05.2019
Sechs Jahre in der Reha
Wer seine intensivste Verbindung mit alternativer Musik zur Jahrtausendwende beziehungsweise in den Nullerjahren eingegangen ist, könnte jetzt aufhorchen: ein neues Album von Clinic, den vielleicht schwarzhumorigsten Briten im Kaputtmach-Pop. Sechs Jahre Pause stehen zu Buche, da fragt man sich schon: Was bleibt vertraut, was ist vielleicht neu im Kosmos der Weggefährten Ade Blackburn und Jonathan Hartley? Nun, der generelle Clinic-Sound ist schon mal intakt geblieben. Das bedeutet, dass ein stoischer Rhythmus voranmarschiert, Blasinstrumente aus Holz und Plastik enervierend dazwischenquaken, so mancher Taste ein eindringlich-schräger Ton entlockt wird und, ach ja, die unter der roten Sonne brutzelnden Western-Gitarren schlingern auch wieder durchs Bild. Dies war rund ums Millennium eine ganz aufregende Sache, denn Clinic sind immer eine Band gewesen, die dem Hörer im Nacken saß, lüstern darauf aus, ihm die Nerven zu stutzen und zu schreddern. Und genau dieser Effekt will sich nicht mehr so recht einstellen.
Der "Laughing cavalier" stellt sich mit jeder Menge albernen Lautmalereien und einem sneaky Rhythmus zwar schnell als vertrauter Zeitgenosse heraus, aber es fehlt der psychotische Druck – Clinic geben sich mit einer routinierten Fingerübung zufrieden. Auch das folgende "Complex" führt die Spielereien mit Sound und Atmosphäre treffsicher aus, wobei es aber an Dringlichkeit im grundsätzlichen Songwriting mangelt. Klar sind der sexy Grummel-Bass und die sägenden Gitarren ein Genuss, wenn jedoch die Strophen wie eine semi-motivierte ABBA-Andacht wirken, verliert nicht nur dieses Stück einiges an Momentum. Besser gelingt die Verknüpfung von schräger Soundlandschaft mit treibender Rhythmik in "Mirage", das mit mantraartigem Gesang den Beats in der dunklen Tiefe nachspürt. Irgendwie abgewrackt, aber zweifellos virulent.
Der wie eine Schlange daherschleichende Groove-Minimalismus von "Congratulations" hat einen ähnlichen Effekt, und das abschließende "New equations (at the Copacabana)" schafft sogar den Spagat zwischen äußerst skurriler Soundtapete und zwingender Melodik. Einiges jedoch rutscht eher halb spannend durch: So ist der sinistere Groove von "Flying fish" zwar in dunklen Tönen atmosphärisch gelungen ausgeleuchtet, Melodie und Struktur gähnen aber aufgrund verhaltener Routine. Auch das psychedelisch dahertaumelnde "Be yourself / Year of the sadist" kommt von seinem Tauchgang durch wabernden Klangnebel ohne Markantes zurück. Vielleicht haben sich Clinic keinen Gefallen damit getan, fast alle Songs mit einer knappen Spielzeit von deutlich unter drei Minuten auszustatten. Richtig tragende Ideen entwickeln sich so nur selten – und das ist nach sechs Jahren Pause doch etwas schade.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Mirage
- Congratulations
- New equations (at the Copacabana)
Tracklist
- Laughing cavalier
- Complex
- Rubber bullets
- Tiger
- Ferryboat of the mind
- Mirage
- D.I.S.C.I.P.L.E.
- Flying fish
- Be yourself / Year of the sadist
- Congratulations
- Rejoice!
- New equations (at the Copacabana)
Im Forum kommentieren
Armin
2019-05-02 20:20:46- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Armin
2019-03-21 18:52:33- Newsbeitrag
CLINIC
Willkommen zu Wheeltappers und Shunters! Nach einer beispiellosen siebenjährigen Pause kehren Clinic, Liverpools beliebte Post-Punk-Pop-Experten mit ihrem achten Album zurück. Der ungewöhnliche Name des Albums stammt aus der seit langem vergessenen (bei uns wohl eher unbekannten) 70er Jahre ITV-Show The Wheeltappers and Shunters Social Club, einer von Bernard Manning moderierten Unterhaltungsshow, die die rauchig, versoffene Atmosphäre nordenglischer Männerclubs für ein Sofa-gebundenes Publikum nachempfand. "Es ist schon seit einigen Jahren eine Art geflügeltes Wort zwischen uns", verrät Ade Blackburn. "Wann immer wir über einen Song sprechen, der zu 'Kabarett' oder zu schön klingt, sagen wir: 'Das ist ein bisschen Wheeltappers und Shunters'. Aber dieses Album ist weder eine Huldigung noch eine Verunglimpfung der Kultur der Zeit, in der Blackburn und sein Chefkollaborateur Hartley aufgewachsen sind. "Es ist ein satirischer Blick auf die britische Kultur – die Hochkultur und den Trash", erklärt Blackburn. Das Album wurde letztes Jahr im Studio Liverpool von Gründungsmitglied Hartley aufgenommen, bevor Dilip Harris (King Krule, Sons Of Kemet, Mount Kimbie) zum Mischen dazukam. "Wir hielten es für richtig, in diesen dunklen und konservativen Zeiten ein lustiges Dancefloor-Album zu machen", fährt Blackburn fort. Lustig? Ja klar - aber das sind eben Clinic: der Spaß ist voller Bedrohung.
Album: Wheeltappers And Shunters
VÖ: 10.05.2019
Video: Rubber Bullets
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