Cursive - Vitriola
Big Scary Monsters / Al!veVÖ: 05.10.2018
Sturm der Entzückung
"I know there is no point to this", raunt Tim Kasher im Eröffnungstrack des neuen Cursive-Albums "Vitriola". Aus dem Kontext gerissen ein Satz, der durchaus zu den letzten beiden Alben seiner Band passt. Schlecht waren sie beileibe nicht, die Intensität von "The ugly organ" oder den kalkulierten Wahnwitz von "Happy hollow" erreichten sie aber nicht. Zu verklausuliert, zu verkopft waren sie, sodass bis auf wenige herausragende Songs nicht viel im Gedächtnis haften blieb. Es ist daher nachvollziehbar, dass der ewige Grantler und seine Mitstreiter sich eine Pause gegönnt haben. Und, so viel sei direkt zu Beginn verraten, diese hat sich mehr als gelohnt. Denn "Vitriola" ist die langersehnte Rückkehr Cursives zu alter Form.
Hauptverantwortlich für den positiven Eindruck ist zunächst, dass diesmal kein verquastes Konzept über dem Album thront. Stattdessen entsteht die Verbindung zwischen den einzelnen Songs aus rein musikalischen Elementen. Das fängt beim Sound an, der gleichzeitig unverkennbar nach Cursive und unbarmherzig druckvoll klingt. Ein perfektes Klangbild ist ohne die passenden Songs freilich wenig wert. Zum Glück gibt es derer auf "Vitriola" zuhauf. "It's gonna hurt" schafft beispielsweise das Kunststück, einen leisen Hauch von Terror durch den Einsatz sich überlagernder Cello- und Gitarrenfiguren zu einem Sturm der Entzückung anschwellen zu lassen. Auch Kasher präsentiert sich in guter Form. Egal, ob er säuselt, keift oder singt: Noch immer klingt er wie ein Robert Smith, dem man die Haare abrasiert hat. Wut und Verzweiflung treiben ihn, erst recht, wenn das Leben ihm allen Grund zum Schimpfen gibt.
Die Texte auf "Vitriola" kreisen größtenteils um die klaffende Lücke, die sich zwischen der Hoffnung des Einzelnen und dem Nihilismus der Masse auftut. So finden sich nur wenige Verschnaufpausen, einzig "Remorse" gönnt dem Hörer mit seinen perlenden Klavierläufen ein kurzes Durchatmen. Das direkt darauf folgende "Ouroboros" zielt hingegen voll auf die Zwölf. Wenn ein Song mit der Zeile "I am a parasite" beginnt, ist klar, dass eher nicht mit einer beschwingten Tanznummer zu rechnen ist. In gut sechs Minuten fackelt das Quartett nicht lang, sondern ab. Kasher wettert gegen Profitgier und Ignoranz, während sich seine Kollegen der kunstvollen Zerlegung ihrer Instrumente widmen. Apropos Konsum: "Live savings" präsentiert mit "There's no future / Only money" einen wunderbaren T-Shirt-Spruch für jene, die ihre Kritik gerne verkürzt mit sich herumtragen. Muss man nicht mögen, aber Musik darf ruhig mal plakativ sein, wenn die Lage ernst ist.
"We're back again with the same arguments", konstatiert Tim Kasher daher auch in "Pick up the pieces". Aus dem Kontext gerissen ein Satz, aus dem sich ein Vorwurf an seine Band konstruieren ließe. Ein radikaler Neuanfang ist "Vitriola" nämlich nicht. Dieser ist allerdings ob der durchweg hohen Qualität der Musik auch nicht nötig. Stattdessen ist es schön zu hören, dass Cursive sämtlichen Ballast abgeworfen haben und sich wieder aufs Kerngeschäft beschränken. So wunderbar kaputte Schrammelorgien wie "Ghost writer" können nicht viele verfassen. In einer Welt, in der man nur noch lebt, um beinahe ein Hosen-Zitat in einer Rezension zu verwursten, ist es wichtig, dass es Bands wie Cursive gibt. Bands, die sich nicht zu schade sind, den besten Song ans Ende zu platzieren. Bands, die man mit Eifer sucht. Auch wenn es manchmal bitter schmeckt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Pick up the pieces
- It's gonna hurt
- Ouroboros
- Noble soldier / Dystopian lament
Tracklist
- Free to be or not to be you and me
- Pick up the pieces
- It's gonna hurt
- Under the rainbow
- Remorse
- Ouroboros
- Everending
- Ghost writer
- Life savings
- Noble soldier / Dystopian lament
Im Forum kommentieren
Affengitarre
2020-04-30 12:59:27
Schon ein schönes Album, ist mir aber vom Sound her wohl schon fast zu nah an der "Ugly Organ". Hätte ich mir etwas eigenständiger gewünscht, auch wenn der Sound an sich klasse ist.
Patrick
2019-03-08 08:49:53
“Ghost Writer” macht richtig Laune.
Herr K.
2018-11-07 09:12:23
Meiner Meinung nach bestes Album seit Happy Hollow, vielleicht sogar Ugly Organ. Braucht einige Durchläufe, hat aber auch ein paar richtige Hits zu bieten.
Watchful_Eye
2018-11-01 00:43:13
Auffällig gutes Album, dabei ist das eigentlich gar nicht mehr so mein Sound.
Aber für ein paar Durchläufe auf Spotify lohnt es allemal.
Armin
2018-10-31 17:51:40- Newsbeitrag
Cursive haben heute ein neues Video zum Song "Life Savings" veröffentlicht, das gestern Abend exklusive Videopremiere bei Dread Central feierte. Neben Frontmann Tim Kasher spielen auch Jake Bellows (Neva Dinova) und Morgan Nagler (Whispertown) in dem Video mit, bei dem Matt Hewitt Regie führte. Das blutige Video könnt ihr euch hier anschauen:
Cursive - Life Savings (Video):
"Wir wollten schon immer ein Video mit unserem Freund Matt Hewitt drehen, der bereits seit seiner Jugend unglaublich gute Action- und Horror-Kurzfilme produziert hat. Er bekam von uns die Erlaubnis sich komplett auszuleben, sich die Story selbst auszudenken und so blutig und gewalttätig wie möglich zu sein." erzählt Sänger und Gitarrist Tim Kasher. "Ich liebe dieses Video."
Regisseur Hewitt erklärt weiter: "Ich habe Tim ein paar Dinge als Inspiration für das Video genannt, u.a. den Scott Smith-Roman und die ebenso gute Sam Raimi-Adaption "A Simple Plan". Es schien, als würden Passagen des Films hier und da perfekt zum Song und dem Text passen, und während die „find money in the woods“ Metapher für einen Feature-Film ein wenig ausgelutscht ist, haben wir uns darauf geeinigt, dass man damit ein spannendes und interessantes Musikvideo produzieren kann. Und wenn ich an Gangster mit Gewehren denke, die sich im Wald tummeln, kommt mir gleich wieder die Sopranos-Episode 'Pine Barrens' in den Sinn, die mich auch stark inspirierte."
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Referenzen
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