Mudhoney - Digital garbage

Sub Pop / Cargo
VÖ: 28.09.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Paranoia im Häschenkostüm

Wenn die Band Mudhoney in ihrer über dreißigjährigen Geschichte eines verlässlich gemacht hat, dann war das, ihrer Heimat einen zynischen Zerrspiegel vorzuhalten. Mit schräg angesägten Brachialriffs, fuzzigem Nervengeschmirgel und dem nöligen Gesang des ewig jungen dirty old man Mark Arm stand die Band, die dafür berühmt war, nicht so berühmt wie Nirvana zu sein, immer parat, wenn christlicher Fanatismus, Fremdenhass oder ganz einfach strunzdumme Präsidenten nur noch die Wahl zwischen Resignation oder einem beißenden Lachen ließen. Da Amerika zunehmend zu einer Karrikatur seiner selbst zu werden scheint, stellt sich aber schon die Frage, ob Mudhoney diesen Job überhaupt noch übernehmen müssen. Das neue Album "Digital garbage" beantwortet diese Frage mit einem lässigen aber passgenauen Arschtritt entschieden positiv.

Denn so direkt und zwingend, wie auf diesem Output klang die Band aus Seattle lange nicht mehr. Die "Nerve attack" wird direkt zu Beginn zwar routiniert aber nicht weniger druckvoll geritten. Dabei sind die Gitarren nach knapp drei Minuten bereits ziemlich ramponiert und ausgeleiert und das, wo noch so viel Arbeit wartet. "Paranoid core" beschwört eine Zeit herauf, in der Aliens und Roboter in schrulligen B-Movies synonym für die kommunistische Gefahr standen, jetzt sind es halt die Migranten. Mudhoney kommentieren dieses zwischenmenschliche Klima unter anderem mit einem mangelernährten Gitarrensolo aus der Strafecke, wenden sich dann aber gleich entschlossen der großen Schafherde zu, die in "Please, Mr. Gunman" nur einen Wunsch hat: Der potentielle Amokläufer möge doch bitte sein Werk in der Kirche verrichten, damit für die Herdentiere der Weg in den Himmel nicht allzu weit werde. Mudhoney und Mark Arm gehen textlich auf "Digital garbage" teilweise arg ins Extrem. Für einen effektvoll inszenierten Suizid, live on Social Media, empfiehlt die Band diesen süßen Häschen-Filter, dazu tanzendes Gemüse als Rahmen, zack, die likes schnellen hoch, dass einem schwindelig wird.

Mudhoney und gerade Mark Arm wirken bei all diesen durchaus giftigen und spitzen Rockwüstheiten immer ein wenig distanziert und gelangweilt, als ginge sie das alles eigentlich nichts an und als hätten es die Objekte ihres Spotts auch nicht anders verdient, doch aus einer coolen Abgeklärtheit hauen sie immer wieder fiese Hooks und schräges Kompositionsgut heraus. Da darf ein lustiges Bar-Piano mal über Gebühr klimpern und eine Orgel dudelt sich in eine trügerische Ausgelassenheit. Aber Mudhoney kommen immer wieder auf den Punkt, sei es creepy-gruftig in "Night and fog" oder in dem an der Grenze zur Debilität nagenden "Hey neanderfuck". Dass dann ausgerechnetet mit Akustikgitarren in "Messiah's lament" biblische Epik aufs Korn genommen wird, zeugt vom Humor dieser Starkstromband. Dazu kommt, dass Arm und seine drei Kollegen ihre Arbeit in der Regel in drei Minuten erledigen, wo früher auch mal ein Song acht Minuten aufgekocht wurde, soll heißen: Mudhoney haben keinen Altersspeck angesetzt, sondern durch Dringlichkeit definitiv ihre Relevanz behalten.

(Martin Makolies)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Paranoid core
  • Kill yourself live
  • Messiah's lament

Tracklist

  1. Nerve attack
  2. Paranoid core
  3. Please Mr. Gunman
  4. Kill yourself live
  5. Night and fog
  6. 21st century Pharisees
  7. Hey neanderfuck
  8. Prosperity gospel
  9. Messiah's lament
  10. Next mass extinction
  11. Oh yeah
Gesamtspielzeit: 34:42 min

Im Forum kommentieren

Telecaster

2018-12-09 21:35:04

Machwerk ist ein negativ belegter Begriff.

es gefällt

2018-12-09 17:36:20

Heute zum ersten Mal Digital Garbage gehört, was soll ich sagen, durchweg gute Platte, abwechslungsreich und auch das Schreiben von kleinen Ohrwürmern haben sie wieder drauf. Dazu recht zynische Texte, Mark Arm nörgelt sich durch die Songs, singen lernt der übrigens nicht mehr aber egal. Soll das Machwerk auch keinesfalls schmälern.

Fuzzgun '18

2018-10-21 13:09:49

Habe es mir auch vor ein paar Tagen angehört, das Album ist schon recht gut - klar, man sollte keine Revolution erwarten, aber es ist insgesamt eine gute bis sehr gute Gitarren-Fuzz-Platte. Kann mich da den Vorrednern anschließen.

Telecaster

2018-10-21 11:49:49

Cooles Album! Gitarrensound 1a, unerwartet politische Lyrics inzwischen, was mich am Anfang eher irritiert hat, aber insgesamt finde ich die LP wieder um einiges inspirierter als Vanishing Point. Die Pause hat ihnen gutgetan.

noise

2018-10-07 00:51:43

Mir gefällt das Album ausgesprochen gut. Bin aber anscheinend so ziemlich der einzige den diese großartige Combo noch interessiert.
Sollte man sich aber auf jeden Fall mal anhören. Kann man auf Bandcamp

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