Mitski - Be the cowboy

Dead Oceans / Cargo
VÖ: 17.08.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Die Welt ist eine Bühne

Angeblich ist Mitski peinlich berührt, wenn ihre Musik Menschen zum Weinen bringt. Schade. Vor allem ihr letztes und bislang erfolgreichstes Album "Puberty 2" mit seinen brutal ehrlichen Hymnen auf unglückliche Liebe, Einsamkeit und Orientierungslosigkeit hat eine ähnlich kathartische Wirkung wie mit angezogenen Beinen am Fenster zu sitzen, Regentropfen am Glas zu verfolgen und sich im eigenen Elend suhlen. Mitski hat damit so genau ein bestimmtes Lebensgefühl beschrieben, dass viele ihrer Lyrics inzwischen als Tattoos Handgelenke und Schulterblätter zieren, was sie ziemlich irritiert. Es fällt leicht, die emotionale Wucht und die Zerbrechlichkeit auf die Interpretin zu übertragen. Und genau hier liegt der Fehler: Wie kommen wir dazu zu glauben, dies seien unmittelbare, tatsächliche Gefühlsausbrüche, und nicht mühsam erzeugte, raffinierte Effekte? Verzeih uns, Mitski, wir haben Dich verkannt!

Auf ihrem neuen Werk "Be the cowboy" will Mitski klarstellen, dass sie und sie allein die Zügel in der Hand hält: Sie erzählt darauf kunstfertig Geschichten, schildert vieldeutige Episoden, und niemand außer ihr selbst kann mehr unterscheiden, was hier tief empfunden und was rein fiktiv ist. Die Vielschichtigkeit offenbart sich allerdings erst bei genauerem Hinsehen: Im Opener "Geyser" singt die New Yorkerin zu schweren Orgeltönen und mit wehmütiger Stimme "You're my number one, you're the one I want and I turned down every hand that beckoned me to come." Anschließend baut sich der Song auf, changiert zwischen Dramatik und Begeisterung, ein polyphones Wechselbad der Gefühle. Nur wer recherchiert, findet heraus: Dies ist kein schmachtendes Liebeslied, sondern eine Hommage an ihre leidenschaftliche und komplizierte Beziehung zu ihrem Broterwerb, der Musik. Also Business statt Romance. Chapeau!

Mitski erweitert auch ihre musikalische Bandbreite, vor allem am hellen, fröhlichen Ende des Spektrums. "Why wouldn't you stop me" macht einen auf Disco – oder eher auf Disco-Persiflage? – mit wummernden Bässen und einer sirenenhaften Begleitmelodie. "Lonesome love" lässt Country-Klänge anschwingen und trottet zu gemächlichen Gitarrenakkorden einher. Mit trotzigem Humor schildert die Protagonistin eine misslungenen Verabredung. Auf der Heimfahrt "in the morning in a taxi I'm so very paying for" hat sie ganz offensichtlich schon damit abgeschlossen. Die dunkle Seite blitzt immer nur am Rand auf, wenn die übermütige Instrumentation Mitskis Stimme übertönt und diese mit einem plötzlichen Tonartwechsel oder einer Portion Hall plötzlich wieder ganz fragil und verloren klingt. Auch "Me and my husband" verbreitet mit übermütigem Klavier und Bläserfanfaren oberflächlich Partystimmung, im Text wird erst über den Tod sinniert und dann mit umso mehr Nachdruck die Beziehung zum Angetrauten beschworen. Die Harmonien werden jedoch irgendwann zu kompliziert, um wirklich Zuversicht auszustrahlen und strafen jede Hoffnung auf beständiges Glück Lügen.

Ein Schlüsselstück ist zweifelsohne "Nobody". Hier kehrt Mitski zu einem ihrer Kernthemen zurück, der unerfüllten Sehnsucht nach einer echten menschlichen Verbindung, und besingt mit geradezu motivierender Leichtigkeit ihre erstickende Einsamkeit. Nach einem eher verhaltenen Anfang stimmt die 27-Jährige mit dem einfachen Text "Nobody" einen tanzbaren und eingängigen Refrain an, im Laufe dessen die drei Silben so oft wiederholt werden, dass erst das Wort und dann das Konzept als solches zunehmend verschwimmt und ungreifbar wird. "Venus, the planet of love, was destroyed by global warming" lautet eine andere Zeile, und wer das als eine etwas zu dick aufgetragene Metapher abtut, hat Mitski schon wieder Unrecht getan: Der Planet Venus war vor zwei Billionen Jahren wahrscheinlich mal bewohnbar, durchlief dann aber tatsächlich eine Phase "globaler Erwärmung", die ihn unwirtlich machte. Wissenschaft statt Poesie. Wieder hat uns die Künstlerin hinters Licht geführt. Der sehenswerte Videoclip von Christopher Good greift die Diskrepanz zwischen Bühne und Kulisse oder Werk und Schöpfer spielerisch auf. Mitski featured sich darin selbst als Gaststar, und tritt außerdem noch als Regisseurin auf: Zu Ende des Videos zoomt die Kamera aus der Szene raus und offenbart das Filmset mitsamt Regisseur-Sessel. Alles nur Scharade, alles nur Inszenierung. Aber wieso erkennen wir uns in dieser Illusion so verdammt gut wieder?

(Eva-Maria Walther)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Geyser
  • Nobody
  • Two slow dancers

Tracklist

  1. Geyser
  2. Why didn't you stop me
  3. Old friend
  4. A pearl
  5. Lonesome love
  6. Remember my name
  7. Me and my husband
  8. Come into the water
  9. Nobody
  10. Pink in the night
  11. A horse named Cold Air
  12. Washing machine heart
  13. Blue light
  14. Two slow dancers
Gesamtspielzeit: 32:28 min

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