The Eye Of Time - Myth II: A need to survive

Denovali / Cargo
VÖ: 03.08.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

In der Zwischenzeit

Ambition birgt so manche Gefahr. Wer hoch hinaus will, fällt nicht selten gehörig auf die Schnauze. Doch ohne hehre Ziele ist die Langeweile nicht weit entfernt. Marc Euvrie, der als The Eye Of Time Musik veröffentlicht, ist kein Mann des Understatements. Seine Alben sind ausufernde, gerne verkopfte Brocken und enthalten griffige Songtitel wie "There is so much pain in this world that we have created robots to share it". Mit "Myth II: The need to survive" legt der Franzose sein insgesamt fünftes Werk und den zweiten Teil einer geplanten Trilogie vor. Um die Entwicklung der Menschheit soll es gehen. Um das große Ganze eben. Und Euvrie belässt es nicht bei bloßen Absichtserklärungen, sondern schafft Fakten.

Noch immer kommen die Tracks ganz ohne Gesang aus, diesen vermisst man jedoch keineswegs. Zu einprägsam sind die Melodien, zu ausgereift die Sounds, als dass irgendetwas fehlen würde. Zwar bleibt das Tempo über die gesamte Spielzeit eher gemäßigt, was die Intensität des Gehörten allerdings nicht mindert. Schon im bereits erwähnten Opener führt Euvrie Einflüsse aus Ambient und Post-Rock konsequent zusammen und lässt Bilder verwitternder Zivilisationswüsten vor dem inneren Auge entstehen. Der moderne Mensch hat sich ein Glashaus gebaut, das auf Steine wartet. Trotz aller technischen Errungenschaften ist das menschliche Dasein brüchiger denn je. Während im Reich der Prachtbauten Psychen zwischen Selbstoptimierung und -ausbeutung zerschellen, ist das Leid andernorts ganz und gar physischer Natur. Und dazwischen liegt ein Meer.

Dabei ist die Gesamtsituation ganz simpel: ein Planet, eine Spezies, eine Aufgabe. Überleben. Dass es Euvrier gelingt, ohne Worte die großen Fragen zu thematisieren, liegt an der außerordentlichen Dichte seiner Kompositionen. Auf Basis zunächst unscheinbar wirkender Motive errichtet er Soundscapes epischen Ausmaßes, wobei sporadisch auch elektronische Beats und E-Gitarren zum Einsatz kommen. Die Reduktion auf das bedingt Nötige öffnet Augen und Ohren. Wenn die Gitarren schwirren, ist die Euphorie nicht weit entfernt. Doch stets lauert der Abgrund im nächsten Takt. Synthie-Arpeggios greifen nach dem Bewusstsein des Hörers, versprengte Stimmsamples suchen nach Halt. Irgendwo dazwischen schlummert eine Melodie, die es zu genießen gilt. Wenn das Ende aller Dinge so schön klingt, dann darf es ruhig kommen.

Das Warten auf bessere Zeiten ist nämlich eine denkbar dumme Strategie. Handeln ist Pflicht. In der Einsamkeit des Vereinzelten liegt auch die Chance einer Generation. "To rise through our tears" greift Gedanken des Verlorenseins auf und transponiert sie in ein Gewirr aus Orgeln und Feedbacks. Wenn Müdigkeit allumfassend wird und Erschöpfung konkret, genau dann ist das Bewusstsein vielleicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. "A need to survive" nennt Euvrie einen zentralen Track seines neuen Albums. Die Übersetzung ins Deutsche bietet Interpretationsspielraum. Ob es nun nötig oder zwingend ist, am Leben zu bleiben, sei dahingestellt. Fest steht, dass es keine vernünftige Alternative gibt. Genau deshalb macht der Mensch weiter. Und Musik.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • There is so much pain in this world that we have created robots to share it
  • To rise through our tears

Tracklist

  1. There is so much pain in this world that we have created robots to share it
  2. In the name of Earth
  3. To rise through our tears
  4. A need to survive
  5. Foldings
  6. Notre amour est assez puissant pour détruire ce putain de monde
Gesamtspielzeit: 40:45 min

Im Forum kommentieren

Armin

2018-08-11 23:49:24

Danke, ist korrigiert.

yanqui

2018-08-11 09:54:41

Es heißt "A</ need to survive"!

Master

2018-08-02 19:48:27

Wir wars?
und wo kann man MythII anhoeren?

frank

2018-07-31 12:27:23

die erste "myth" war schon sehr grandios, und die neue jetzt hör ich ebenfalls seit ein paar tagen und bin ähnlich geflasht, die review trifft’s. tolle platte für dämmerung und dunkelheit und spätsommer-nachtgedanken.

falls heute abend jemand in berlin bock haben sollte: er spielt ’ne "outdoor acoustic piano show" im plänterwald.

https://www.facebook.com/events/492411234526065/

Siegfried Klein

2018-07-30 11:45:02

Ambient ist nicht jedermans Sache. Wer Brian Eno in seinen Hörgewohnheiten einbauen kann, ist mit dem o.a. Franzosen mehr als zufrieden. Das trifft zumindest auf mich zu und ich bin, nach dieser erstklassig geschriebenen Rezension, mehr als neugierig auf das Werk, während bei mir noch Myth I aus den Boxen klingt.

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